Kapitel 10

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ELODIE

Das kleine Häuschen außerhalb unseres Dorfes ist mein liebster Rückzugsort. Tante Maria hatte schon immer ein Bett für mich bereit, wenn ich am Wochenende bei ihr übernachten wollte. Sie war eigentlich meine Großtante und doch hatte ich viel die nähere Beziehung zu ihr, als zu meiner Oma. Tante Marie war sozusagen meine Oma.
Sachte läutete ich das kleine Glöcklein, welches sie schon seit Jahren neben der Tür aufgehängt hatte. Früher war ich noch zu klein um an die Schnur zu kommen und hatte dann immer laut nach ihr gerufen.
Es dauerte einen Moment, da tauchte sie im Glas der Tür auf. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie mich erkannte. Sofort öffnete sie die Tür und umarmte mich fest. "Oh Elodie, das ist aber eine Überraschung. Schön, dass du mich besuchen kommst." Hi Tante Maria" grüßte ich sie zurück. Nach der Umarmung zog sie mich an der Hand in ihr Häuschen. Sie benützte meine Hand gleich als Stütze zum gehen. Sie war nun schon über 80 Jahre alt und ihr Körper war geprägt von der schweren Arbeit. Während sie körperlich bei jedem meiner Besuche schwächer wurde, so blieb ihr Verstand zum Glück klar und scharf.
In der Küche ließ sie meine Hand los und stellte sich an das Waschbecken. "Magst du eine Tasse Tee?" fragte sie und drehte den Wasserhahn bereits voll auf. Wir tranken immer zusammen mindestens eine Tasse. Meistens wurden es aber mehr. "Sehr gerne, komm ich helfe dir." antwortete ich ihr und nahm den vollen Topf aus ihren Händen, trug ihn zum Herd und schaltete die Platte ein.
Sie griff von der Theke zur Stuhllehne und stützte sich während sie die wenigen Schritte zum Tisch machte. Es machte mich traurig, sie immer schwächer zu sehen. Doch so war nun mal der Lauf des Lebens. Gegen die Zeit hatte niemand eine Chance. "Ach ich werde langsam alt." Meinte Tante Maria. Manchmal hatte ich echt das Gefühl sie könne meine Gedanken lesen. "Naja... Irgendwann werden wir das alle." meinte ich. "Kind ich sage dir eins. Das einzige Mittel gegen die Zeit ist es, das Leben auch zu leben.
Ich nicke auf ihre Worte und setze mich zu ihr an den Tisch. "Und Elodie? Was passiert gerade in deinem jungen Leben?" Ihr Blick hatte mich bereits durchleuchtet und sie wusste, etwas lag mir auf dem Herzen.
Ich konnte aber nicht gleich damit rausrücken. Irgendwie wusste ich nicht wie. Deshalb fing ich ganz einfach mit der Arbeit an.
"Wir haben seit Montag einen neuen Praktikanten." Ich erzählte ihr nun die kurze Geschichte von dem hübschen Samael, wie er mir die Tür ins Gesicht geschlagen hatte, seine zuvorkommende Art und auch, dass ich langsam ein ungutes Gefühl bekam, weil er mich immer so anstarrte. Auch, dass Melanie ihn absolut hinreißend fand und wollte, dass ich ihm eine Chance gebe. Melanie sah immer alles auf die Liebesdrama-Art, wenn es sowas überhaupt gibt. Tante Maria hingegen Blickte mit ganz anderen Augen auf die Geschehnisse meines Alltags.
"Dann willst du ihm keine Chance geben?" fragte sie nach meinem Bericht. Genau diese Frage hatte ich mir auch gestellt und Mel wollte das unbedingt, aber ich wusste einfach nicht recht. Wie heikel bin ich denn nur geworden?
Golan hingegen war ein einfacher aber guter Kerl.
Dieser eigenständige Gedanke meines Gehirns lässt mich langsam an meiner geistigen Gesundheit zweifeln.
Golan gibt es nur in meinem Kopf du Dummerchen, denke ich bei mir.
Tante Maria wartete geduldig auf eine Antwort. "Also ich weiss nicht."
"Ist denn da noch ein Anderer?" Mein Schweigen hatte sie wohl zu der Annahme geführt, oder sie las wirklich meine Gedanken. Nein, das kann nicht sein.
"Also den Anderen gibt es nur in meinem Kopf. Ich träume seit drei Nächten immer wider von demselben Typen. Ich bin immer am gleichen Ort und dabei fühle ich mich hellwach. So langsam habe ich das Gefühl verrückt zu werden."
Es war das Thema, wegen dem ich hergekommen war. Nun war der gröbste Teil raus und ich hoffte inständig, dass sie mir helfen konnte.
Das heiße Wasser pfiff in der Pfanne. Ich stand auf, nahm den Deckel ab und goss uns beiden eine Tasse ein. Als ich sie auf dem Tisch abstellte, hatte Tante Maria mir noch nicht geantwortet.
Still nippte sie an ihrem Tee und starrte ins Leere, als hinge sie ihren eigenen Gedanken nach. "Und wie ist es da so, in deinem Traum?" fragte sie schließlich.
Etwas verwundert über ihre Frage, beschrieb ich nun Pedroja. Vom ersten Traum mit den Kriegern, wie die Erde bebte und ich sie oben auf dem Hügel entdeckte. Da kam mir in den Sinn, dass nur ein einziger mich gesehen hatte. Die hellen beinahe leuchtenden Augen tauchten in meinen Erinnerungen auf.
Plötzlich kam eine Erkenntnis. Erschrocken drehte ich mich zu Tante Maria um. "Samael hat genau diese Augen!" Sie leuchteten so speziell und ich hatte schon am ersten Tag mit ihm das Gefühl, ich hätte seine Augen schon mal gesehen. Glaubte ich nun doch, dass es Pedroja gab?
Jetzt hab ich einen kompletten Dachschaden.

Eine Erklärung muss her, dachte ich bei mir selbst. Aussergewöhnlich still, nippte Tante M. an ihrem Tee.

"Wenn ich ein Ereignis meines Lebens im Traum verarbeite, dann kann ich das doch erst, wenn ich es erlebt habe... Aber Samael sah ich erst am Morgen nach dem Traum. Das macht keinen Sinn."
Hilflos nahm ich einen Schluck des dampfenden Tees.

"Die Möglihkeit, dass Träume wahr werden können, macht das Leben erst interessant." meinte Tante M. tief in Gedanken, mit einem starren Blick in ihren Tee.  




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