Kapitel 8

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GOLAN

In einem angenehmen Tempo kamen wir voran. Unser Gespräche war seit längerem verstummt. Ich freute mich immer mehr darauf endlich zuhause anzukommen, in unsere Küche zu treten und dem freudigen Blick meiner Mutter zu begegnen. Auf die darauffolgenden Knuddeleien könnte ich gerne verzichten, aber da war sie kaum zu bremsen.

Die kahle Welt zog an uns vorbei und irgendwann spürte ich, wie Elodie sich leicht an mich lehnte. Dann sank ihr Kopf nach vorne und ich merkte, dass sie eingeschlafen war. Sie begann plötzlich seitlich zu kippen. Meine Arme hielt ich auf beiden Seiten um sie herum und führte so die Zügel. Doch nun nahm ich die Zügel in eine Hand und schloss den freien Arm um ihre zierliche Taille, damit sie nicht vom Pferd fiel. Am Vortag zuckte sie merklich bei jeder kleinsten Berührung zusammen, doch nun reagierte sie nicht mehr verängstigt darauf. Und in diesem Moment im Schlaf bekam sie es wohl nicht mit.
Es freute mich irgendwie, ihr Vertrauen gewonnen zu haben.

Sie schlummerte mehrere Stunden vor sich hin und das leichte schaukeln brachte sie immer näher zu mir. Mit leicht gekrümmten Rücken lehnte sie nun friedlich schlafend an meiner Brust. Ihre Haare kitzelten mich zeitweise am Kinn, wenn der Wind in ihnen herumwuschelte.

Irgendwann, als die Sonne langsam unterging, standen wir vor der Spalte in der Felswand. Die Felswand ragte gezackt gegen den Himmel. Der Boden war noch genauso karg wie auf der Ebene, nur lagen hier riesige Felsbrocken verteilt. Dazwischen immer wieder kleinere Stücke und das der ganzen Felswand entlang. Ein Ende war nicht zu erkennen. Elodie schlief immernoch an meiner Brust und ich wollte sie nicht wecken. Ich wusste sowieso nicht genau wie ich es anstellen sollte. Also hielt ich Persa an und liess mich sachte von ihr heruntergleiten. Mit dem einen Arm hielt ich immernoch Elodie fest und zog sie in meine Arme sobald ich beide Füsse auf festem Boden hatte. Ich öffnete mühsam mit einer Hand die Brosche des Felles und es fiel ausgebreitet zu Boden. Ich legte Elodie darauf ab. Kurz betrachtete ich ihr friedliches Gesicht. Das Abbild eines Engels. Sie war wunderschön. Und das schönste an ihr war, dass sie es selbst nicht wusste.

Ich drehte mich zurück zu Persa und nahm ihr die Taschen vom Rücken, sowie den Sattel und die Decke darunter. Leicht tätschelte ich ihren Hals und sie schnaubte leise. Es war ein anstrengender Ritt für sie gewesen.

Ich drehte mich zurück zu Elodie, doch sie lag nicht mehr auf dem Fell, wo ich sie nur einen Augenblick zuvor abgelegt hatte. Automatisch schweifte mein Blick umher. Wohin war sie denn so schnell verschwunden? Nirgens konnte ich sie entdecken. "Elodie" rief ich nach ihr. Doch es blieb still. Ich drehte mich um die eigene Achse und suchte den ganzen Horizont nach ihr ab. Nirgens bewegte sich etwas. Erneut rief ich nach ihr aber es kam Nichts. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Wie kann das sein, dass sie sich so plötzlich in Luft auflöst?

Lange sass ich grübelnd am Feuer. Es wollte einfach keine Erklärung dafür geben. Schon letzte Nacht war sie eine Zeitlang nicht im Lager und ich konnte sie auch nirgends finden, jedoch dachte ich da eher noch an eine Pinkelpuse. Nun da sie aber innert Sekunden nichtmehr zu finden war und auch bis jetzt nicht wieder aufgetaucht war, konnte ich mir keinen Reim daraus machen. Trotzdem versuchte ich irgendwann zu schlafen. Um mich abzulenken dachte ich an zu Hause. Morgen komme ich an. Oder wir? Würde sie am Morgen wieder da sein?
Wieso konnte ich nicht einfach nicht daran grübeln? Es könnte mir ja auch einfach egal sein. Vor zwei Tagen erst, gabelte ich sie auf einem zertrampelten Feld auf.
Anscheinend hätte dort ein Kampf stattfinden müssen. Doch als ich ankam, fand ich nichts als Huf und Fusspuren. Keine Toten, keine abgebrochenen Lanzen, keine Überbleibsel. Einfach Nichts.
Bis auf Elodie. Unwirklich stand sie barfuss inmitten des Schlamms. Nur in einem dünnen Unterkleidchen, dass ihr knapp bis zu den Knöcheln reichte.
Irgendwie wollte ich sie dort nicht alleine lassen. Reiner Beschützerinstinkt eines Mannes, musste das gewesen sein.
Oder redete ich mir das nur ein?

Ich war nun mehr als ein Jahr unterwegs gewesen. Der Brauch unseres Stammes verlangte danach. Jeder Bursche muss sein 25. Lebensjahr ausserhalb der Ländereien des Stammes verbringen und kehrt erst dann als Mann zurück, wenn sein 26. Geburtstag ansteht. Ich war nun beinahe immer alleine auf einem Pfad gegangen. Natürlich begleitete mich Persa auf Schritt und Tritt und das Alleinsein gefiel mir mehr als ich dachte.
Aber nun fühlte ich mich plötzlich einsam an diesem Feuer. Elodie war eine erstaunlich angenehme Begleitung gewesen. Ganz anders als ich erwartet hätte. Bei ihr konnte ich genau so sein, wie ich war. Vielleicht lag das aber nur daran, dass sie, im Gegensatz zu den Mädchen in meinem Dorf, nicht wusste wer ich war?

DreamwalkerWhere stories live. Discover now