Kapitel 5

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ELODIE


Schlaftrunken stellte ich den Wecker ab, nahm mein Handy und las die neuen Nachrichten. Svenja feiert ihren Geburtstag am Freitag und ich war eingeladen. In einem Gruppenchat wimmelte es nur so von GIF's. Ich sah sie gar nicht an sondern klickte auf den Chat und ging gleich wieder zurück. So leuchteten sie nicht mehr als neue Nachrichten auf. Auch im Insta hatte ich ein paar wenige Nachrichten, doch ich konnte sie ja auch in meiner Mittagspause noch anschauen.

Ich hob die Decke zurück und wollte schon die Füße auf den Boden schwingen als mir der Dreck auffiel. Die ganze untere Hälfte war sowas von dreckverschmiert. Sogar meine Beine waren bis zu den Knien schlammverkrustet und das Nachthemd sah nicht besser aus. Oh mann, das war bestimmt wieder ein dummer Streich meines kleinen Bruders. Benji kannte da manchmal keine Grenzen. Wut überfiel mich. Manchmal übertrieb er es echt! Ich stapfte ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Warte nur Benji. Wenn ich dich erstmal zu fassen kriege, dann kannst du was erleben, schwor ich mir.
Immer wenn ich wütend war kam mir Tante Maria in den Sinn. Mit ihren Weisheiten hatte sie eigentlich immer Recht und so kam auch jetzt wieder ein Spruch von ihr in meinen Kopf. "In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz." Eigentlich ist dieser Spruch von Dalai Lama aber sie hat ihn so oft benutzt, dass ich nicht weiß ob ihn Dalai Lama nicht vielleicht von ihr hat.

Also versuche ich mich zu beruhigen und Köpfchen zu bewahren. Als ich zurück in meinem Zimmer bin und die Schweinerei in meinem Bett betrachte kommt mir plötzlich ein ganz anderer Gedanke.

Das matschige Feld.
Golan.
Das Feuer.

Wie kommt der Matsch von meinem Traum in mein Bett?
War es denn gar kein Traum?
Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Ich glaubte nicht an Übernatürliches wie Hexen, Zauberei und all den anderen Kram. Nein. Es gab bestimmt eine logische Erklärung. Während ich mich anzog kreisten meine Gedanken ständig darum. Ich wollte eine logische Erklärung. Vielleicht hatte ich ja doch einen fiesen Bruder und zufälligerweise einen dazu passenden Traum gehabt? Oder ich hatte in der Nacht schlafgewandelt und war tatsächlich in Schlamm umherspaziert. Das wäre zumindest eine logische Schlussfolgerung.

Am liebsten wäre ich um unser Haus gelaufen und hätte nach Spuren gesucht, aber die Zeit dafür reichte nicht mehr. Ich musste dringend los, ansonsten wäre ich zu spät bei der Arbeit. Das wollte ich auf keine  Fall.
Was würde auch Samael von mir denken, wenn ich schon an seinem zweiten Arbeitstag zu spät komme?
Also stieg ich in mein kleines Auto und brauste los. 

Melanie kam mir schon grinsend entgegen, kaum hatte ich das Auto abgestellt.
Freudig wie ein kleines Kind klatschte sie in die Hände. "Also das Betriebsreglement habe ich durch. Du hast grünes Licht." schoss sie gleich los. "Und hast du schön geträumt?" Ihr Grinsen zog sich breit über beide Backen. Ich lachte. "Also geträumt habe ich schon, aber Samael kam darin nicht vor." Enttäuscht fragte sie. "Dann aber wenigsten ein anderer Typ? Vielleicht ein blonder Surfer Typ?"
"Nein er hatte schwarze Haare." meinte ich möglichst sachlich. Melanie lechzte nach Klatsch und quetschte bei jeder kurzer Erwähnung von irgendwelchen Männern immer alles aus einem heraus. Auch wenn es nur um meinen Cousin ging. Da sie single ist, kommen für sie immer alle in Frage.
"Und was war mit diesem Typen im Traum? Vielleicht eine Traumversion von Samael?"
Ich erzählte ihr die ganze Traumgeschichte so kurzgefasst wie möglich.  Es fühlte sich gut an mit jemandem darüber zu sprechen. Das mit meinen verschmutzten Füssen ließ ich jedoch aus. Erst wollte ich Benji danach fragen. Als ich fertig war überlegte Mel kurz. "Ich hab mal gelesen, dass es Menschen gibt die ihre Träume kontrollieren können. Man kann das lernen und es werden sogar Kurse dafür angeboten. Du bist vielleicht einer dieser Menschen." "Es fühlt sich alles richtig echt an und ich kann mich an jedes kleine Detail erinnern. Ich war nun zwei Nächte sowas wie am selben Ort und hatte einen völlig klaren Kopf. Das ist es, was mich so verwirrt an dem Ganzen."
"Ich wünschte ich könnte meine Träume auch kontrollieren. Dann läge ich mit den schönsten Männern der Welt am Strand in der heißen Sonne." Melanie war schon wieder mit sich selbst beschäftigt. Manchmal störte es mich, dass sie mir nicht half für mich eine Lösung zu finden aber andererseits war ich auch froh nicht weiter durchlöchert zu werden.
Schon waren wir bei unserem Büro angekommen. Samael wartete bereits an der Tür. Ein breites Grinsen zeigte seine perfekten weißen Zähne. Es schien als habe er den letzten Teil unserer Unterhaltung mitgehört. Hoffentlich nur der letzte Satz, alles andere wäre unangenehm für mich.
Mel machte sowieso kein Hehl daraus, dass sie Gefallen an schönen Männern fand. Das wussten hier schon alle. Ich kramte die Schlüssel hervor und musste nah zu ihm hin um die Tür zu öffnen. Samael trat ein klein wenig zur Seite und ließ mir kaum Platz. Ich stand dicht an seiner Seite und sein Parfum stieg mir in die Nase. Ein leichter Duft, der einem nicht gleich husten ließ und doch etwas unverkennbares an sich hatte. Endlich hatte ich die Tür offen und trat in das Büro. Richtig froh um den Abstand zwischen uns steuerte ich auf meinen Computer zu. Heute hatte ich für Samael Aufgaben, die er selbst am eigenen Computer bearbeiten konnte. So hatte auch ich Zeit meinen Stapel auf dem Tisch zu verkleinern.
Während ich ihn in die Aufgaben einwies konnte ich Melanies Blick im Rücken spüren. Sie beobachtete genau wie ich mich verhielt und wahrscheinlich noch genauer wie Samael sich benahm. Ihren Adleraugen entging nie etwas. "Starrt Melanie die Praktikanten immer so durchdringend an?" flüsterte Samael mir leise zu." Verdutzt über seine Frage antwortete ich ohne lange nachzudenken. "Nur wenn sie so heiß sind wie du." Als mir die Bedeutung meiner Worte bewusst wurde, schoss mir die Röte ins Gesicht.
Samael lächelte anziehend. "Du findest mich also heiß?" Eine seiner Augenbrauen zog sich leicht in die Höhe und seine Augen beobachteten mich neugierig. Ich wurde noch röter, wenn das überhaupt möglich ist und wünschte mir so sehr ein Loch im Boden, durch das ich verschwinden könnte.
"Also Mel findet das auf jeden Fall." versuchte ich mich herauszureden. "Und du nicht?" Hackte er nach. "Ich hab schon hässlichere Männer gesehen." meinte ich ausweichend. Innerlich klopfte ich mir auf die Schultern für diese gute Antwort.
"Na, da bin ich aber froh." meinte er und eine Reihe weißer Zähne blitzten wieder auf.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen. Er spielte doch sowieso mit jeder. Sollte er es nur versuchen. Ich falle nicht so leicht auf Männer rein. Meine zuvor sehr freundlich Haltung beim erklären der Aufgaben ließ etwas nach und eher kurz angebunden erläuterte ich ihm den Rest. Danach kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück. Unsere Tische standen sich mit etwas Abstand gegenüber und der vom Mel in der Mitte auf der rechten Seite.
Mehrmals spürte ich Samaels Blick auf mir, aber jedes Mal wenn ich seinem begegnete, schaute er schnell weg. Ich konnte mich den ganzen Tag nicht richtig konzentrieren und wusste, dass Mel das genaustens mitbekam.
Endlich läutete es zur Mittagspause. Mel und ich aßen immer zusammen und so auch heute. Samael verließ mit uns das Gebäude, zog dann aber in eine andere Richtung davon. Wir wünschten ihm einen guten Appetit und liefen zum Essensstand an der Straßenecke. "Samael hat definitiv ein Auge auf dich geworfen" meinte Mel als wir uns auf eine Bank in der Sonne setzten.
"Also ich denke er hat noch beide."
"Elodie ich meine es ernst. Das kannst du nicht ignorieren. Er hat dir sogar die Tür aufgehalten vorhin." "Viele nette Menschen tun das." ich war nicht überzeugt. "Und ich kenne ihn nun genau ein ein halb Tage. Da fall ich ihm doch nicht schon um den Hals." Nicht, dass ich das jemals tun würde dachte ich bei mir. Mel wollte noch nicht aufgeben. "Du musst mal wieder was mit einem Mann unternehmen. Seit Alex bist du nie mehr mit einem Typen ausgegangen." Meine Beziehung mit Alex liegt nun ca. ein Jahr zurück und Mel hatte Recht und doch konnte ich es nicht. "Ich will keine Beziehung. Mir gefällt das Single sein." "Ach komm schon, es muss ja nichts Ernstes sein..." beharrte Mel. "So bin ich nicht und das weisst du." Gab ich leicht gereitzt zurück. "Ja entweder ganz oder garnicht." sprach sie mein Mantra aus. "Du könntest ja mit ihm ausgehen." kam mir die Idee. "Das täte ich, wenn er nicht die ganze Zeit dich anstarren würde." Kam es etwas missmutig von Mel. "Ach das Leben ist manchmal einfach zu verdreht." meinte ich mehr zu mir selbst.
Schweigend aßen wir weiter und brachen dann langsam auf um zur Arbeit zurückzukehren. Ich genoss die frische Luft am Mittag sehr und hatte auch im Sommer sämtliche Fenster unseres Büros geöffnet, doch nun war es noch Winter und zu kalt dafür. Bevor wir reingingen sagte Mel nochmal aufmunternd. "Gib ihm einfach ne Chance ja?"
"Ich versuche es aber verspreche nichts, okey?"
Ich wusste nicht ob ich es schon konnte oder überhaupt wollte. Da stiess auch bereits Samael zu uns. "Na, habt ihr was Gutes gegessen?" Ein lockeres unverfängliches Thema. "Si, muchos Gracias" antwortete Mel ihm und küsste ihren eigenen Zeigefinger und Daumenspitze, die sie zu einem Kreis geformt hatte, wie ein italienischer Chefkoch. "Belissimo" schloss ich mich an. Heute trug er ein weisses Hemd, dass ihn so nobel aussehen liess. Er lächelte freundlich und hielt uns beiden die Tür auf. "Ladies first." Mel ging voraus danach ich und Samael schloss hinter uns die Tür.  Also ich konnte bis jetzt keine Macke an ihm feststellen. Ehm, vielleicht doch. Manche Männer hielten Frauen die Türe auf und liessen sie vorangehen um ihnen danach auf den Arsch starren zu können, schoss es mir durch den Kopf. Mel hatte doch vorhin gesagt, er hätte ein Auge auf mich geworfen. Sofort fühlte ich mich unwohl vor ihm zu gehen. Hätte ich doch Mel nicht vorgelassen. Okey, das war jetzt egoistisch und trotzdem wünschte ich es wäre so.
Wenigstens zog ich anständige Kleidung an. Das verbesserte meine Situation etwas. Eigentlich wusste ich nicht mal ob er so unverschämt war. Ich mache mir bestimmt einfach zu viele Gedanken.

Vertieft in die Arbeit, überhörte ich das Klopfen an der Tür. Mel stand auf und öffnete sie. Mrs. Martinez stand herausgeputzt im Türrahmen und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Überfreundlich grüsste sie mich und Mel. "Und sie sind bestimmt Samael Scalk?" Wendete sie sich an ihn. Von meinem Platz aus, konnte ich die Überraschung in seinen Augen sehen. Doch so schnell sie aufgeblitzt war, war sie auch wieder verschwunden. Federleicht erhob er sich und streckte ihr die Hand entgegen. "Richtig, ich bin Samael Scalk." "Freut mich mit ihnen Bekanntschaft zu machen Mr. Scalk. Ich bin Martina Mendez, die Geschäftsführerin." "Oh, welche Überraschung,  sie persönlich zu treffen", schmeichelte er ihr.
Kurz wechselte ich einen Blick mit Mel. Sie dachte das gleiche wie ich. Ein Aufreisser. Ich wusste es doch. Und Mrs. Martinez hatte soeben einen neuen Stellenwert in der Unbelibtheitsskala bei mir erreicht.
"Ich würde sie gerne kurz herumführen und ihnen unser Unternehmen vorstellen."
Aber natürlich würde sie das gerne, dachte ich bei mir. Mit ihm herumzu stolzieren und anzugeben, das sah ihr ähnlich. Wichtig war, dass jeder wusste, wer sie war. Und Samael würde so ein Angebot bestimmt nich ablehnen. Es wäre ein grosser geschäftlicher Vorteil, jemanden wie sie, für sich gewonnen zu haben.
"Das freut mich sehr, jedoch hat mir Elodie bereits ihr Unternehmen gezeigt." antwortete er nun voller Bedauern.
Überrascht blickte ich zu ihm. Unbemerkt zwinkerte er mir zu.
Das Gesicht von Mrs. Martinez überspielte ihre Wut, aber ein kurzer giftiger Blick, schoss sie dennoch in meine Richtung. Nun war es also wieder meine Schuld. War ja klar.
"Ach, ich werde sie in die Bereiche führen, die für Elodie nicht zugänglich sind" meinte sie erklärend. War das nur ich, die die Abschätzigkeit darin höhrte?
"Aha, wenn das so ist, dann bin ich natürlich sehr interessiert." Entgegnete Samael und trat ein Schritt in ihre Richtung. "Dann kommen sie."
Zusammen verliessen sie unser Büro. Wieso musste sie nur so Mittelpunktsgeil sein?
Und zu welchen Bereichen hatte ich denn nun keinen Zugang? Der einzige Raum, der ich nie ohne Mrs. Martinez betritt, war ihr eigenes Büro.
Was bitteschön, wollte sie von Samael in ihrem Büro?
Für Mel war klar. "Die werden eine Schreibtischszene schieben." Ich rollte mit den Augen "Oh genial" antwortete ich sarkastisch. Diese Frau konnte mich rasend machen. Ich hätte sie gleich fragen sollen, welche Bereiche für mich denn nicht zugänglich sind. Stattdessen sass ich da und sagte nichts.

Der restliche Nachmittag verlief ziemlich ruhig. Der Stapel auf meinem Tisch wurde etwas kleiner. Immer wieder kehrten meine Gedanken zurück an Mrs. Martinez und Samael. Was sie nun wohl taten. Mit der Handfläche schlug ich mir leicht gegen die Stirn und vertrieb die Bilder aus meinem Kopf.
"Elodie, zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Ich werde ihn schon ausfragen, wenn er zurückkommt." meinte Mel.
Zur Ablenkung vertiefte ich mich wieder in die Arbeit. Bald erklang der Gong und mit viel Schwung, klappte Mel ihren Ordner zu. "So. Ab nach Hause." Meinte sie fröhlich.
Samael war nicht wiedergekommen und seine Tasche lag noch an seinem Arbeitsplatz.
"Sollten wir auf Samael warten? Er wird doch seine Tasche mitnehmen wollen?" Überlegte ich. "Ach, die kann er Morgen wiederhaben und zudem hat auch Mrs. Martinez einen Schlüssel zu unserem Büro."
Stimmt, da hatte sie Recht. Also verliessen wir das Büro und schlossen ab.

Müde fiel ich in mein Bett. Natürlich nicht ohne vorher den kompletten Bettanzug zu wechseln. In einem Wäschekorb wollte ich ein Beweismittel haben um Benji auszuquetschen, also behielt ich ihn in meinem Zimmer. Das Nachthemd hatte ich obendrauf gelegt und ein identisches aus dem Schrank genommen.
Nun überkam mich langsam der Schlaf. Meine Gedanken kreisten noch um Benji und seine dummen Streiche als ich einschlummerte.

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