Kapitel 1

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ELODIE

Plötzliche Kälte umschloss meine nackten Füsse. Heftiger Wind wehte um mich herum und zerrte an meinen Haaren. Das dünne, weisse Nachthemd flatterte und bot nur einen geringen Schutz vor der Eiseskälte. Zusammengekauert hob ich dennoch den Kopf und beobachtete die Umgebung. Es lag eine dünne Schicht Schnee soweit ich blicken konnte. Ich befand mich in einer schwachen Senke. Die zwei Hügel auf beiden Seiten stachen blendend weiss in meine Augen. Ich kniff sie stark zusammen, damit er mich nicht erblinden liess. Die Sonne entdeckte ich nicht direkt. Sie lag hinter einer Schicht Nebel, die gerade so dicht war, dass sie einem blendete aber keine Wärme spendete. War es Winter?
Plötzlich begann die Erde zu ruckeln. So wie ein kleines Erdbeben, aber es hörte nicht auf sondern wurde immer stärker. Ich richtete mich auf und drehte mich im Kreis. Nirgends konnte ich eine Veränderung entdecken. Wo um alles in der Welt war ich denn eigentlich und was ging hier vor? Da überkam mich unvermittelt das Gefühl von Wut. Nicht den Ärger, den ich fühlte wenn mein kleiner Bruder mal wieder das Ladekabel für mein Handy genommen hatte. Nein. Diese Wut war so aufgestachelt, dass sie eher als Mordlust bezeichnet werden sollte. Augenblicklich ballten sich meine Hände zu Fäusten und ich biss die Zähne zusammen. Wieso war ich denn so plötzlich voller verbittertem Zorn? Hier gab es nichts, auf das ich hätte wütend sein können. Ich stand hier ganz alleine und fror. Die Erde bebte nun immer mehr und da begriff ich, als ich die Umrisse auf den Hügeln sah. Plötzlich erkannte ich woher die Wut kam, die sich in mich frass. Es war nicht meine Wut die ich spürte, sondern die der Reiter. Am höchsten Punkt des Hügels erschienen dunkle Umrisse. Und nun zeichnete sich über den ganzen Horizont eine dunkle Reihe von Silhouetten ab. Schatten auf ihren Pferden konnte ich erkennen und weiter gegen den Rand hin noch viele mehr, aber diese waren zu Fuss unterwegs. In dunkle Lederkleider gehüllt erinnerten mich diese Gestalten an eine längst vergangene Zeit. Ich konnte ihre Waffen erkennen. Die Männer auf den Pferden hatten lange Speere neben sich auf den Boden gestellt und manchmal blitzte das Eisen eines Schwertes auf. Fasziniert flog mein Blick über die endlos  scheinende Reihe an Silhouetten.  Die Wut verpuffte für einen kurzen Moment und ich konnte einfach nur staunen. Als ich den Blick endlich von den Reitern abwenden konnte, glitt er auf die gegenüberliegende Seite des Hügels. Auch hier stand eine riesige Armee die komplett in schwarz gehüllt schien.
Plötzlich wurde es still, der Boden bebte nicht mehr und die Männer verharrten regungslos in einer todbringenden Front. Diese Totenstille kam mir unendlich lang und furchtbar vor, denn die Wut blieb. Sie wurde zusehends rasender. Ich versuchte mein Bestes um sie nicht in mich hienein zu lassen. Ich war nicht wütend. Wie durchsichtiger Nebel waberte sie von beiden Hügeln herab, aufeinander zu und liess die Luft um mich herum flimmern.  So kam es mir zumindest vor. Denn ich spürte sie ganz deutlich um mich herum und wie sie versuchte auch mich auszufüllen. Als mir langsam klar wurde, dass ich zwischen zwei unbekannte Fronten geraten war, breitete sich Angst in mir aus. Einen kurzen Moment war ich erleichtert, dass ich nun keinen Platz mehr für die Wut in mir hatte. Sobald sie losreiten würden, träfen sie in dieser Senke zusammen und ihre wilde Wut und den triefenden Hass, mit dem sie um sich schlagen würden, bedeutete kein gutes Ende für mich. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte die Gesichter der Reiter zu erkennen. Stur hatten sie ihre Blicke auf die gegenüberliegenden Seiten gerichtet, als versuchten sie mit den Augen und dem Blutdurst darin zu töten. Beide Reihen entlang kam keiner auf die Idee nach unten zu schauen und ein wehrloses Mädchen in einem weissen wehenden Nachthemd zu entdecken. Immer klarer wurde mir, dass ich hier sterben würde. Was sollte ich bloss tun? Ich wollte losrennen. Auf eine der Seiten, aber meine Beine liessen sich nicht bewegen. Genau wie in Träumen, wenn man fliehen sollte, aber sich nur so unendlich schwer und schleppend langsam bewegen konnte.
Auch meine Arme hingen steif an meinen Steiten herunter. Ich konnte niemanden auf mich aufmerksam machen. Und sogar wenn. Würde es überhaupt einen Unterschied machen? Die Angst in mir wurde grösser und ich konnte mich nicht gegen sie wehren, bis ein anderes Gefühl meine Aufmerksamkeit forderte. Ich spürte einen Schrecken, es war aber nicht meiner. Ich liess meinen Blick über die Männer schweifen um zu erkennen woher das Gefühl kam. Da begegnete ich einem Augenpaar, dass direkt in meine blickte. Links in der vordersten Reihe, unweit von den Fahnenträger und einem Mann mit Horn, der vermutlich der Anführer war, stand er. Er hatte sich von der Wut um uns herum gelöst und spürte nun Angst. Aber nicht um sich, nein. Angst um mich. Seine leuchtenden hellblauen Augen liessen kurz von mir ab und schweiften durch das Tal. Eine braune Locke fiel ihm in die Stirn. Alles andere wurde von einem eisernen Helm bedeckt. Dann kehrte sein eindringlicher Blick zurück zu mir. Es fesselte mich wie seine hellen Augen fast leuchteten. Er drehte sich dem nächsten Mann zu seiner rechten Seite, als wollte er ihm etwas sagen. Genau in dem Moment erklang das Horn der gegenüberliegenden Seite und Kampfschreie folgten ihm. Eine neue Welle der Wut und des Hasses kam auf mich zu, doch die Angst in mir gab keinen Platz frei.

Einige Pferde bäumten sich auf und dann galoppierten sie los. Auch auf der Seite meines Entdeckers wurden Kampfschreie gerufen. Als das Horn ihrer Seite blies, ritten sie mit erhobenen Waffen und voller Wut auf ihre Gegner zu und auch direkt auf mich zu. Ich verlor meinen Entdecker in der Menge und drehte mich verzweifelt herum. Der Boden zitterte unter meine Füssen. Bald würden die beiden Seiten zusammentreffen und mich unter den Hufen oder mit ihren Waffen niederstrecken.
Ich liess die Todesangst in mir zu und konnte fühlen, wie sie jede Faser meines Körpers einnahm. Die ersten Reiter waren nun so nahe bei mir, dass ich jede ihrer Falten in den wutverzerrten Gesichter genau erkennen konnte. Die Angst in mir bäumte sich auf. Ich konnte sie nicht mehr in mir behalten. Die schiere Panik überkam mich.
Mein Mund öffnete sich und ich schrie.
Ich schrie aus Leibeskräften, schleuderte meine Todesangst laut hinaus in die kalte Luft.

Ich erwachte und mir war kalt. Erschrocken setzte ich mich auf und versuchte mich zu beruhigen. Ich erkannte mein Zimmer und die warme Decke war um mich herum gewickelt. Meine Füsse fühlten sich aber trotzdem an wie zwei Eisklötze und begannen langsam zu kribbeln, als die Wärme in sie zurückkehren wollte.
Es war nur ein Traum gewesen. Erleichtert liess ich mich in mein Kissen zurücksinken. Kurz schloss ich die Augen aber das Bild der näherkommenden Reiter liess mich die Augen wieder aufreissen. Ich wollte diese Angst nicht mehr spüren. "Elodie es war nur ein Traum" flüsterte ich mir leise zu und fuhr mit den Fingern über mein Gesicht. Es hatte sich alles so wirklich, so echt angefühlt. Ich seufzte tief und stellte mich schonmal auf einen Arbeitstag mit zu wenig Schlaf ein. Aus dem Zimmerfenster sah ich den Mond wie er die Nacht erhellte und mir wurde klar, dass es noch mehrere Stunden dauerte bis mein Wecker klingeln würde. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich war müde aber getraute mich nicht mehr die Augen zu schliessen, also nahm ich mein Handy und begann durch Insta zu scrollen. Zu Vieles was mich eigentlich gar nicht interessierte und so wurden meine Augendeckel immer schwerer. Als meine Augen sich mehrere Sekunden schlossen und mich die Bilder des Traumes nicht gleich heimsuchten, wollte ich trotzdem noch etwas Schlaf kriegen. Ich legte das Handy zurück und liess mich schläfrig ins Kissen sinken. Eingekuschelt in die warme Decke trieben meine Gedanken davon.

DreamwalkerWhere stories live. Discover now