22. Kapitel - Henry

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Erin schlief noch tief und fest und obwohl ich eigentlich in die Büsche verschwinden musste, wollte ich nicht aufstehen, aus Angst, dass ich sie wecken könnte.

Und ich wollte sie unter keinen Umständen wecken. Sie sah einfach viel zu friedlich und zufrieden aus und sie lächelte sogar ganz leicht im Schlaf.

Nie im Leben könnte ich sie jetzt wecken, nur weil ich pinkeln musste. Mir war es sogar egal, dass die Sonne längst aufgegangen war und wir langsam aber sicher unsere Reise fortsetzten mussten, wenn wir irgendwann auch mal am Gebirge ankommen wollten.

Aber egal wie sehr ich es versuchte, ich konnte mich nicht dazu durchringen, Erin von mir wegzuschieben und aufzustehen. Viel zu sehr genoss ich ihre Nähe gerade.

Und wie konnte ich diesen wunderschönen Engel...

„Oh verdammte Scheiße..."

Unweigerlich kamen mir Corys Worte wieder in den Sinn: „Deshalb warst du so komisch, wenn es um sie ging! Du bist in sie verknallt!"

Hatte er Recht? Hatte ich Gefühle für Erin?

Ja, sie war mir aus irgendeinem Grund unglaublich wichtig und so wie ich mit ihr redete, hatte ich mit noch niemanden geredet.

Selbst mit Mum hatte ich nie über meine Bedenken, Ängste und Gefühle gesprochen.

Aus irgendeinem Grund vertraute ich Erin so, wie ich noch nie jemanden zuvor vertraut habe.

Erin seufzte leise im Schlaf und ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie sich enger an mich schmiegte. Ich strich ihr über den Arm und sah sie an.

Vielleicht waren da wirklich Gefühle, aber im Moment konnte ich nicht wirklich einordnen, was sie zu bedeuten hatten.

Vielleicht hatte ich diese Gefühle auch nur, weil wir im Moment so viel Zeit miteinander verbrachten. War es nicht normal, dass man sich zu jemand hingezogen fühlt, wenn man viel Zeit miteinander verbrachte?

Eine kleine Schwärmerei? Nichts Ernstes?

„Und trotzdem hat es mich gewurmt, dass Cory etwas mit ihr angefangen hat..."

Ich dachte daran zurück, wie ich die beiden im Freibad gesehen hatten, als sie sich küssten. War der Kuss nicht der Auslöser gewesen, dass ich unbedingt gehen wollte?

Allein der Gedanke daran, dass Erin und Cory noch zusammen sein könnten, oder wieder Zeit miteinander verbringen könnten, war ein Gedanke, den ich ungern zulassen wollte.

Und ich wusste, dass Cory nicht nur wegen seines verletzten Stolzes so reagiert hatte. Er schien Erin wirklich zu mögen und ich musste leider zugeben, dass in der gesamten Zeit, in der er mit ihr etwas am Laufen hatte, wirklich glücklich gewirkt hatte und diverse Flirtversuche von anderen Mädchen abgelehnt hatte.

„Und trotzdem werde ich nicht zulassen, dass er ihr irgendwie wehtut. Egal, ob er sie wirklich mag, oder nur Interesse hat, weil sie neu ist!"

Erin bewegte sie und blinzelte mehrmals.

„Guten Morgen", sagte ich leise und Erin lächelte leicht, ehe sie sich langsam aufsetzte und gähnte.

„Morgen... wann reiten wir weiter? Es ist schon so hell draußen", sagte sie und streckte sie, so gut es in dem kleinen Zelt ging.

„Ich wollte dich ausschlafen lassen. Sobald du bereit bist, packen wir zusammen und machen uns auf den Weg", gab ich zurück und sie nickte, noch immer ganz verschlafen.

„Okay", murmelte sie und gähnte erneut. Ich lächelte.

„Ich schaue mal nach den Pferden und lass dich in Ruhe umziehen", sagte ich, nahm mir zwei Äpfel aus der Satteltasche und krabbelte aus dem Zelt.

Die Sonne stand bereits höher, als ich erwartet hatte und ich bezweifelte ein wenig, dass wir heute sehr weit kommen würden.

Wenn wir schnell waren, dann schafften wir es vielleicht zum Lager der Zentauren, noch bevor die Sonne ganz untergegangen war.

Aber ich befürchtete fast, dass wir erst Morgen ankommen würden, da wir beinahe den gesamten Weg zu Fuß zurücklegen würden. Und bis wir hier aufbrechen würden...

Salima stupste mich sanft an und ich lächelte.

„Dir auch einen guten Morgen meine Süße", sagte ich und schmiegte mich an sie.

Pocahontas trottete langsam zu uns und stupste mich ebenfalls an. Ich lachte leise, als sie an meiner Tasche schnupperte.

Auch Salima schnaubte neugierig und ich strich beiden Pferden lachend über die Nüstern.

„Ist ja gut", sagte ich und nahm die zwei Äpfel.

„Hier, ihr zwei Nimmersatte", fügte ich hinzu und lächelte zufrieden, als die beiden Pferde genüsslich die Äpfel verspeisten.

„In nächster Zeit werdet ihr es ein wenig entspannter haben. Und sobald wir bei den Zentauren sind, bekommt ihr das beste Futter", sagte ich leise und Salima drehte ihre Ohren in meine Richtung.

„Ihr beide seid wirklich perfekt", fügte ich hinzu und drückte erst Salima und dann Pocahontas einen Kuss auf den Hals.

„Hier, ich hab ein wenig Brot aufgeschnitten", sagte Erin und ich drehte mich überrascht zu ihr um.

Ich hatte nicht gemerkt, dass sie bereits aus dem Zelt gekommen war. Jetzt hielt sie mir ein belegtes Brot hin, welches ich dankbar annahm.

„Danke", sagte ich und sie lächelte.

„Wenn du willst, kann ich die Pferde soweit fertig machen, während du dich umziehst und so. Dann können wir schneller los", fügte sie hinzu und folgte mir zum Zelt zurück.

„Hmm", stimmte ich mit vollem Mund zu und zog eine Wasserflasche aus der Satteltasche. Sie war halbleer und ich würde sie definitiv bald auffüllen müssen.

„Wie viel Wasser hast du noch?", fragte ich an Erin gewandt und schob mir den letzten Rest Brot in den Mund, ehe ich ins Zelt ging und mich umzog.

„Eine halbe Flasche noch", hörte ich Erin von außerhalb antworten und ich schlüpfte in das schwarze T-Shirt, welches etwas dicker war, als die dünnen Leinenoberteile, die wir Hüter normalerweise trugen.

Darüber zog ich mir einen dünnen Pullover, ehe ich alles im Zelt zusammenpackte und nach draußen warf.

„Baust du das Zelt ab und packst alles zusammen? Ich fülle die Wasserflaschen auf und verschwinde dann mal wohin", sagte ich, als ich aus dem Zelt krabbelte.

Erin nickte und ich nahm mir ihre Wasserflasche.

Ich ging zum Fluss, füllte die Flaschen auf und reinigte das Wasser, mit Hilfe von ein klein wenig Magie, ehe ich mich zum Waldrand begab und endlich pinkeln ging.

Als ich zum Lager zurückging, hatte Erin bereits alles zusammengepackt und war gerade dabei, die Pferde fertig zu machen.

„Wir werden nicht auf ihnen reiten. Ich möchte die Zentauren ungern verärgern und für die Pferde ist der Weg ohnehin schon anstrengend", sagte ich und zog den Sattelgurt bei Salima fest.

„Okay", sagte Erin und klang ein wenig nervös. Ich sah sie an.

„Alles in Ordnung?", fragte ich und sie nickte leicht.

„Denke schon... ein wenig nervös vielleicht, weil ich nicht weiß, was mich erwartet", gab sie zu und ich lächelte.

Wir nahmen die Zügel in die Hand und machten uns auf den Weg.

„Ich bin bei dir. Und du wirst sehen, im Prinzip sind die Zentauren wirklich in Ordnung. Solange man ihre Regeln und Werte respektiert", sagte ich und Erin sah mich an.

„Das sagt sich so leicht... muss ich irgendwas beachten? Irgendwas, was ich auf keinen Fall tun sollte?", fragte sie und ich schüttelte den Kopf.

„Sei du selbst. Wir sind Hüter und als solche sollten sie dich auch behandeln. Aber wenn du dir wirklich unsicher bist, dann überlass mir das Reden, okay?"

Sie nickte und ich hoffte, dass ich ihr zumindest ein wenig die Unsicherheit nehmen konnte.

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Where stories live. Discover now