21. Kapitel - Erin

21 6 3
                                    

Mir war unbeschreiblich heiß und das Atmen fiel mir schwer. Ich schlug die Augen auf und mit schmerzenden Gliedern richtete ich mich auf.

Um mich herum war dichter, schwarzer Rauch und es war so unerträglich heiß. Ich hustete und kämpfte mich auf die Füße, während es über mir laut knackte.

Wankend lief ich auf die Zimmertür zu und versuchte sie zu öffnen. Aber das Metall des Türknaufes war so heiß, dass ich mir sofort die Handfläche verbrannte.

Dennoch drückte ich die Tür, hustend und nach Luft ringend, auf und trat raus in den Flur.

„Mum!? Dad?!"

Ich hustete und kämpfte mich durch den Rauch zum Schlafzimmer meiner Eltern.

„Mum! Dad! Wir... wir müssen... hier raus!"

Eine erneute Hustensalve brach über mich ein und ich krümmte mich. Meine Lunge fühlte sich an, als würde sie jeden Moment explodieren.

Ich stemmte mich gegen die Tür und ignorierte den Schmerz in meiner Hand.

„Mum!"

Als ich die Tür endlich öffnen konnte, trat ich ins Schlafzimmer. Alles was ich sah, war Rauch und helllodernde Flammen, die sich bereits durch das gesamte Zimmer gefressen hatten.

„MUM! DAD!"

Ich hustete und hielt in den Flammen Ausschau nach einer Bewegung. Irgendein Zeichen, dass meine Eltern noch lebten.

„Mum... Dad..."

Das Schluchzen endete in einem Hustenanfall und meine Beine gaben unter mir nach. Über mir knackte es gefährlich und als ich nach oben sah, fiel mir bereits einer der Holzbalken entgegen.

„Aaaah!"

Ich setzte mich ruckartig auf und brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich geträumt hatte.

„Erin?"

Ich sah zu Henry rüber, der sich aufrichtete und sich müde durchs Gesicht fuhr.

„A-alles okay", sagte ich schnell und wischte mir über die Wangen, um die Reste der Tränen wegzuwischen.

„Sicher?"

Henry sah mich an und allein der besorgte Ausdruck in seinem Gesicht, sorgte dafür, dass mir erneut Tränen in die Augen stiegen.

„Ich hab nur... geträumt", gab ich zurück und schluckte.

„Es war nur ein Traum", sagte Henry sanft und ich schüttelte den Kopf. Ich presste meine Lippen aufeinander und sah auf meine Hände.

Noch immer hatte ich das Gefühl, die Verbrennungen auf den Handflächen zu spüren, auch wenn nicht einmal Narben zurückgeblieben sind.

„Es war nicht nur ein Traum", flüsterte ich und eine einzelne Träne fiel auf meine Handfläche.

„Ich... ich war wieder da... in unserem Haus. Ich... alles war voller Rauch und es war so unerträglich heiß. Ich... ich..."

„Hey... schon okay", unterbrach Henry mich leise und legte einen Arm um mich. Schluchzend vergrub ich mein Gesicht an seiner Brust und wünschte mir einfach aufzuwachen.

Ich wollte in meinem Bett in London aufwachen und runter in unsere Küche gehen. Ich wollte mit Mum am Tisch sitzen und Tee trinken, während Dad Waffeln machte.

Ich wollte von der Schule nachhause kommen und mit Mum über den Tag reden, bis Dad nachhause kam und wir alle gemeinsam kochten.

Ich wollte Mum's Geschichten lauschen und mit der Gewissheit ins Bett gehen, dass sie noch Jahre an meiner Seite sein würden.

„Ich bin da. Ich bin da und ich halte dich. Du bist nicht allein Erin..."

Ich hörte Henrys Worte kaum, die er ganz leise vor sich hinmurmelte. Ich nahm auch kaum wahr, wie er mich fest an sich drückte und beruhigend über meinen Rücken strich.

Eigentlich wäre jetzt eine Sitzung bei Dr. Day genau richtig und ich wünschte, dass ich Williams Angebot nicht abgelehnt hätte, dass er sie vor der Reise noch einmal zu uns bestellte.

„Ich sollte diese Reise überhaupt nicht machen. Ich sollte nicht hier sein..."

Wenn Lavandia und die Geschichte meiner Familie der Grund war, weshalb ich das Feuer überlebt hatte, aber Mum und Dad nicht, wieso sollte ich dann für Lavandia diese Reise überhaupt machen?

Wenn Mum keine Hüterin gewesen wäre, dann würde sie bestimmt noch leben und mein Leben wäre kein verwirrender Scherbenhaufen, voll wundersamer Wesen.

„Ich vermisse sie so...", sagte ich leise und ich spürte, wie Henry nickte.

„Natürlich vermisst du sie... sie waren deine Eltern und es ist absolut schrecklich, was passiert ist", gab er leise zurück. Ich schluchzte.

„Aber sie sind immer bei dir. Sie werden dich nie ganz verlassen und was auch immer du tust, sie stehen hinter dir und sie lieben dich. Deine Mum hat Avaglade verlassen, weil sie ihre Familie – dich – beschützen wollte. Sie liebt dich und sie wird immer ein Teil von dir bleiben Erin", fügte Henry weiter hinzu und ich sah ihn an.

Vorsichtig wischte er mir die Tränenreste von den Wangen und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Du solltest versuchen, noch ein wenig zu schlafen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wir müssen einen ganzen Teil der Strecke zu Fuß gehen", fügte er leise hinzu und lächelte leicht.

Ich schluckte und senkte den Blick.

„Kannst... kannst du mich vielleicht festhalten, bis ich eingeschlafen bin?"

Ich merkte selbst, wie mir bei dieser Frage die Röte ins Gesicht schoss, aber zurücknehmen konnte (und wollte) ich sie dennoch nicht.

„Natürlich... was auch immer du brauchst", antwortete Henry und kurz darauf lag ich auch schon, eng an ich gekuschelt neben ihn. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und ich hörte seinen regelmäßigen Herzschlag, was mich irgendwie beruhigte.

„Erzähl mir ein bisschen mehr über die Zentauren... irgendwas, was ich noch wissen sollte, ehe wir sie morgen irgendwann treffen", sagte ich leise, während ich bereits meine Augen schloss und auf Henrys regelmäßige Atemzüge achtete.

„Nun... sie sind irgendwie beängstigend und ziemlich traditionell. Sie haben feste Regeln und Grundwerte und sie halten sich eigentlich aus allem raus, was mit Lavandia zu tun hat", fing Henry leise an, während er mir über den Rücken strich.

„Sie respektieren uns Hüter zwar, aber sie würden uns nie um Hilfe bitten. Es sei denn, sie könnten das Problem wirklich nicht alleine lösen. Außerdem – und das ist meiner Meinung nach ihre schlechteste Angewohnheit – hören sie so gut wie nie auf das, was eine Frau ihnen sagt..."

„Patriarchalische Gesellschaft also", murmelte ich schläfrig und Henry lachte leise.

„So kann man es auch nennen, ja. Sie respektieren ihre Gefährtinnen zwar, aber dennoch entscheiden sie alles. Wann die Herde weiter zieht, oder wie mit einem Problem umgegangen wird. Ich weiß nicht genau, wie sie auf eine weibliche Hüterin reagieren werden, aber ich denke, dass du sehr gut klarkommen wirst..."

„Zur Not habe ich dich..."

„Immer...", gab Henry leise zurück und ich lächelte, was in einem Gähnen mündete. Henry seufzte leise.

„Du solltest wirklich versuchen zu schlafen...", flüsterte er. Vielleicht sagte er es auch in einer völlig normalen Lautstärke und ich hörte ihn nur fast nicht mehr.

Denn nur wenig später, war ich fest eingeschlafen.

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Where stories live. Discover now