6 - 𝐒𝐓𝐎𝐑𝐆𝐄

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Seokjin atmete tief durch, als sich die Fahrstuhltür vor ihm schloss. Er hatte die Dokumente zusammen mit Taehyung gesichtet, sie waren alles durchgegangen, hatten alle auffälligen Zusammenhänge festgehalten. Nun lag es nicht mehr in ihren Händen weiter zu erforschen, in welchem Verhältnis die Leiter ihrer Abteilungen standen und welche Verstrickungen die Institutionen zueinander pflegten.

Sauer war es dem Amor aufgestoßen, dass er hier die Arbeit eines anderen erledigte, der anscheinend zu schlampig arbeitete, um seine wichtigsten Aufgaben zu erfüllen. Aber das dem obersten Amor an den Kopf zu knallen, wäre keine gute Idee. Es war vermutlich schon übergriffig genug, dass er – noch dazu in Kooperation mit einem Persephoner – das Beweismaterial zusammengesucht hatte und es dem Zuständigen jetzt vor die Füße warf.

Es könnte Seokjin nicht egaler sein; lediglich die pflichtbewusste Pietät in ihm hatte ihn davon abgehalten, einen publikumsreichen Zirkus in der Halle der Amoren abzuhalten. Taehyung hatte das alles etwas gefasster aufgenommen, aber gut, Seokjin war von ihnen beiden schon immer der Dramatischere gewesen. Auch er hatte sich auf den Weg gemacht, um seiner Chefin von den Vorkommnissen in ihren Reihen zu berichten.

Mit einem hellen Ding! öffnete sich die Fahrstuhltür und Seokjin schritt durch denselben Raum, durch den er schon vor gut einer Woche geschritten war, immer noch mit Wut im Bauch. Aber diese Wut war nicht mehr dieselbe wie die der letzten Woche; die alte war dem Unwissen geschuldet, die neue dem Wissen. Was nun von beidem besser war? Seokjin beschloss schon bevor er die Faust zum Klopfen erhob, dass er lieber die Quelle seiner Wut kannte, anstatt keinen Auslöser formulieren zu können.

Die altbekannte Tenorstimme des obersten Amors bat ihn herein und Seokjin zwang sich sein freundlichstes Lächeln auf.

„Guten Tag", begrüßte er den dicklichen Mann, der in seinem Stuhl saß und erwartungsvoll zu ihm aufsah, und deutete eine Verbeugung an.

„Guten Tag, Kim Seokjin. Ich habe zwar bereits eine Idee, wovon dieser Besuch handeln könnte, aber nur zu: Warum suchst du mich denn auf?"

Seokjin musste sich ein süffisantes Schnauben verkneifen. Er bezweifelte, dass der oberste Amor wirklich eine Idee hatte, was er ihm nun darlegen würde.

„Nachdem Sie mir letzte Woche das nächste Paar verraten hatten, welches getrennt werden sollte, habe ich mich an den Ort begeben, an dem ich es für am wahrscheinlichsten hielt, sie aufzufinden. Dort bin ich dann auf den entsprechenden Persephoner gestoßen und habe mich mit ihm... unterhalten." Wie genau diese Unterhaltung ausgesehen hatte, musste der oberste Amor ja nicht wissen.

„Er fand es ebenso sehr komisch und, nun ja, durch einen Zufall haben wir etwas sehr Merkwürdiges mitbekommen: dass ein Amor wenige Wochen zuvor ein Trennungsserum für ein Ewigkeits-Pärchen gekauft hatte." Bei diesen Worten atmete der Chef schwer aus und lehnte sich in seinen Sessel zurück, die Arme vor die Brust gekreuzt.

„Wir hatten keine Angaben, wer dieses Paar oder der entsprechende Amor war, aber der Zeuge erinnert sich an ein Brustwarzenpiercing. Wir sind daraufhin – also, wir haben uns Akten aus dem Archiv der Persephoner besorgt", die Augenbraue seines Chefs wanderte nach oben, aber er schwieg weiterhin, „und haben in Kombination mit dem Wissen aus unserem Archiv nachverfolgen können, dass innerhalb der letzten Wochen beinahe sämtliche Ewigkeits-Pärchen aus einem bestimmten Zeitraum, nämlich Oktober bis Anfang Dezember, getrennt wurden. Das war jedoch nicht die einzige Gemeinsamkeit: Sie wurden alle aufgrund einer falschen Liebesbindung getrennt. Und bei fast allen dieser Pärchen hatte der Leiter meiner Einheit dem Plan des zuständigen Amors widersprochen und die Bindungsart beschlossen, die später aufgelöst wurde."

Behutsam legte Seokjin die Akte – sie hatten ihre Rechercheergebnisse extra zusammengeschrieben und ausgedruckt, um das Ganze etwas stichhaltiger wirken zu lassen – auf den Tisch des obersten Amors, der immer noch in seinem Sessel lehnte und schweigend die Hände überschlagen hatte. Eine ganze Weile kam nichts von ihm, vermutlich die gesamten Regelverstöße oder zumindest bedenklichen Dinge im Kopf, die Seokjin unternommen hatte.

SEMPER FIDELIS ǁ ᵀᴬᴱᴶᴵᴺWhere stories live. Discover now