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POV Rezo

Die Zeit verging langsam, so langsam, dass ich fast dachte, die Uhr, die in meiner Küche hang, wäre stehen geblieben. Die letzten anderthalb Stunden hatte ich damit verbracht, nervös im Zimmer herumzulaufen. Jedes Mal, wenn ich versuchte mich mit irgendetwas abzulenken, sei es Tiktok schauen, eine Instastory aufnehmen, oder einfach nur lesen, schweiften meine Gedanken innerhalb von kürzester Zeit wieder zurück zu Mexi.

Mittlerweile war es 18:50. Noch zehn Minuten.
Ich startete die Spülmaschine.
Noch acht Minuten.
Ich rannte wieder in der Wohnung herum.
Noch fünf Minuten.
Ich setzte mich hin und versuchte mich zu beruhigen.
Noch drei Minuten.
Ich begann stark mit meinem Bein zu zittern, ohne es überhaupt richtig zu bemerken.
Noch eine Minute.
Ich starrte nur noch auf die Uhr, schaute dem Sekundenzeiger zu, wie er dem Zwölfer immer näher rückte.

Durch das offene Fenster hörte ich die Kirchenglocken läuten.

„Mexi, bitte, bitte komm her. Bitte leb noch."

Und in dem Moment klingelte es. Ich sprang auf, stieß mit der Zehe an der Kante des Tisches an, humpelte so schnell ich konnte zur Tür und öffnete sie.

Da stand er. Ich war so, so unfassbar erleichtert, dass ich ihn so stürmisch umarmte, dass er fast das Gleichgewicht verlor.

Sicher dreißig Sekunden standen wir so, bis ich ihn endlich losließ.
„Hi Rezo."
„Hey, Kleiner."
„Ich bin größer als du.",

Er versuchte zu grinsen, es gelang ihm sogar ein wenig. Das Lächeln schien sein ganzes Gesicht zu erhellen, als würde ich einen Teil von Mexi zu Gesicht zu bekommen, der eigentlich schon seit vielen Jahren verloren war.

Ich lächelte zurück und nahm ihm die Tasche aus seiner Hand. „Mehr brauchst du nicht?", wunderte ich mich, als ich merkte, wie leicht die Tasche war.

„Ach das ist eh nur Gewand, sonst brauch ich nichts", meinte er und wich meinem Blick aus. Ich konnte nur hoffen, dass er keine Klingen mitgenommen hatte.

„Na dann, komm mal rein", redete ich weiter und trat zur Seite.
Mexi ging an mir vorbei ins Vorzimmer und sah sich um.

„Ich würd gerne sagen, dass ich keine Zeit hatte aufzuräumen, aber die Wahrheit ist, dass es hier einfach immer unordentlich ist, also ja", entschuldigte ich mich und ging weiter in die Küche.

„Ja das ist, wie man sieht die Küche, da drüben das Wohnzimmer und Fernseher. In dem Zimmer", ich öffnete die nächste Tür, „streame ich immer und drehe Videos und sowas."

„Schlafen kannst du entweder hier auf einer Matratze, auf der Couch, oder bei mir, ich hab ein Doppelbett. Aber egal wo du schlafen willst, du kannst dich jederzeit hierher zurückziehen, falls du mal deine Ruhe brauchst."

„Danke. Aber es ist mir relativ egal wo ich schlafe ehrlich gesagt", meinte Mexi monoton, das Lächeln war schon längst wieder verschwunden. Aber immerhin lebte er noch. Er hatte entschieden dem Leben noch ein letztes Mal eine Chance gegeben und dafür war ich ihm verdammt dankbar.

POV Mexi
.Ich wollte nicht hier sein, immer noch nicht, auch wenn ich für Rezo hierher gekommen war. Ich wollte sterben und das würde sich auch nie ändern. Aber trotzdem mochte ich es hier. Es fühlte sich sogar ein wenig wie ein Zuhause an, etwas was ich bis jetzt noch nie wirklich gehabt hatte.

Bei meinen Eltern sowieso nicht, sie hatten mich nicht verstanden, es nicht einmal versucht. Und statt sie zu hassen, hatte ich immer nur mich gehasst. Jedes Mal wenn sie gesagt hatten ich wollte nur Aufmerksamkeit, hatte ich mir weitere Schnitte verpasst. Jedes Mal wenn sie gesagt hatten, ich hätte keine Depressionen sondern wäre nur faul, wollte ich mich umbringen. Jedes Mal wenn sie gesagt hatten ich solle froh sein, dass sie mich nicht in ein Heim steckten, hatte ich mich gehasst, weil ich sie verstand. Niemand wollte jemanden wie mich als Kind.

a tiny light - RezofyWhere stories live. Discover now