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Rena verbrachte den restlichen Tag in ihrem Zimmer, doch obwohl sie noch mehrmals versuchte, mit Sahaa darüber zu sprechen, was sie wohl meinte und vorhatte, sowie auch Chhed mit Gideon, dem Alpha, ... sie meldete sich nun einfach nicht mehr.

Ach je.

Bisher waren sie doch noch immer so gut miteinander ausgekommen. Also, warum hatte sie nun das Gefühl, in ihren Augen gerade zu verlieren oder sie sogar enttäuscht zu haben?
Es war doch wirklich nicht ihre Sache, ob Gideon nur Freundschaft wollte, oder?
Und wenn hier sogar echte Götter noch mit involviert waren und sich einmischten, dann war sie doch nun wirklich die Letzte, die dagegen Aufbegehren würde.

Naina hatte früher immer gesagt, dass die Götter ihrer aller Leben lenken würden.
Und natürlich musste sie den Götterwillen auch stets berücksichtigen und ihnen gehorchen.
Auch wenn sie nun keine Eltern mehr um sich hatte, die ihr noch raten konnten, so blieben doch immer noch die Göttin und auch Naina übrig, oder?
Ja. Ganz sicher sogar.

Rena verbrachte also geraume Zeit damit, darüber nachzudenken, wie sie die Werwolf- Göttin Luna ihr nun besser wohlgewogen stimmen konnte. Vor allem, nachdem sie Rena ja schon so dermaßen beschützt hatte.
Natürlich wollte sie gleiches auch für dieses kranke und unglückliche Werwolf-Rudel wie auch für Gideon.
Er sollte nicht mehr darunter leiden müssen, nur weil er das richtige tat und die Verantwortung für 2000 gebissene Wölfe übernommen hatte.
Aber wie stellte sie das nun an?
Tiergötter mochten es doch Opfer zu erhalten.
Also, was zu Essen, das was sie bevorzugten. Was also würde die Werwolfgöttin bevorzugen zu essen?
Rohes Fleisch?
Oh, sie konnte sich da sicher nicht zu überwinden, ein kleines Tier extra für sie zu töten. Das nicht. Aber vielleicht könnte sie ihr tatsächlich etwas rohes Fleisch opfern... und einen hübschen Altar für sie im Haus errichten.

Ob die geborenen Werwölfe wohl ein Abbild von ihr besaßen? 
Oder sollte sie selbst vielleicht ein solches zeichnen oder errichten?
Doch welche Gestalt sollte sie der Göttin geben?
Sie verwandelte sich in einen Wolf und alle ihre Kinder ebenso. Also war wohl auch die Erscheinung der Göttin ein Wolf, oder?
Ach, wenn sie es doch nur wüsste.
Dann wäre es nun so viel leichter...

Gideon kam, derweil sie so überlegte, noch dreimal zu ihr hinein, und blieb dann eine Weile, während sie aß und trank. Er saß einfach neben ihr, schaute auf sein Handy, und seine Hand berührte die ihre.
Es war ein Gefühl, wie 1000 Funken, die zwischen ihnen hin und her stoben. Die reinste Elektrizität.
Es wärmt sie, und bald schon ging es ihr immer besser, sodass er wieder hinausgehen konnte. Doch bevor er das Haus verließ, kam er noch einmal zurück und brachte ihr sowohl ihr Handy als auch ihren Rucksack, in dem sich der Laptop befand. Beides hatte wohl noch unten in der Küche gestanden.

„Kommst du jetzt vielleicht mal für eine Stunde oder zwei ohne mich aus?", fragte Gideon sie kurz darauf und sie nickte ihm lediglich schweigend zu.
„Ruf mich im Link falls was ist. Und bitte Sofort wenn dir kalt wird!", sagte er noch kurz ernsthaft. Schon war er weg.
Noch bevor sie ihm überhaupt hätte antworten können.

Gut so.
Endlich mal ein bisschen Abstand zu dem attraktiven Jungen der auch noch ein Wolf war...
Ihr Papa hätte diese Beziehung sicherlich missbilligt. Er hatte immer gewollt dass sie sich bis zur Ehe mit Salih von Jungs fern hielt.
Doch nun ... war alles anders.
Sogar ihre moralischen Prinzipien.

Sie schloss den Computer ans Stromnetz an, checkte kurz ihre Mails, und sah, dass sie sowohl zehn Mails vom Taunus als auch fünfzehn Mails aus der Rhön bekommen hatte.
Das war schon irgendwie seltsam, oder?

Was wollten die denn jetzt noch von ihr, nachdem sie sie einfach hierher verfrachtet und offiziell abgelehnt hatten?
Sie hatte um Hilfe gerufen um Asyl ersucht, aber beide Frauen hatten sie letztlich in diese Falle laufen lassen.

Natürlich musste sie nun auch dem Willen der Rudel und ihrer Göttin gehorchen. Aber die Umstände waren mies gewesen.
Noch nicht einmal vorgewarnt hatten sie sie.
Sie las also zunächst einmal die Mails aus der Rhön.
Die ersten fünf davon waren voller Entschuldigungen und Fragen, wie es ihr nun ging ... wohl von dieser rothaarigen Luna. Sie bedauert es sehr, dass sie Rena nicht hatten rausholen können und fragte dauernd, ob Gideon immer noch so ein Drecks-Wolf zu ihr war.
Ob er ihr weh tat, ob sie reden wollte, ob sie mal in den Norden kommen sollte, um Gideon den Kopf zurecht zu rücken...
Doch erst in der sechsten Mail kam die eigentliche Botschaft, welche Rena bereits anbei vermutet hatte. Da sprach die Luna gar nicht mehr von ihr oder Gideon oder fragte sie wie es ihr ging, nein... Da ließ die Rhön-Luna sich darüber aus wie weit weg und allem gegenüber verschlossen das Nordrudel nun lebte.
Und das nun wenigstens Sie sich jetzt bitte gegenüber den anderen Rudeln und gemeinsamen Belangen öffnen sollte, damit sie nun auch besseren Kontakt untereinander halten konnten.
Es konnte schließlich nicht immer nur darum gehen, einen Menschen aus einem der altangestammten Rudel heraus zu holen, der dort vielleicht von irgendwem unter den Geborenen gemobbt oder gequält wurde.

Wow...

Halt mal!
War das wirklich so?
Holten Gideon und sein Rudel gemobbte und gequälte, gebissene Menschen aus den anderen Rudeln raus und schottet sich ansonsten komplett von Ihnen ab?

Das würde dann auch die vielen traumatisierten Werwölfe erklären, die gerade ganz wahnsinnig waren und ständig weglaufen wollten. Das sie nun gegen alles und jeden rebellierten, wenn sie vorher grausame Gewalt erfahren hatten, war doch klar. Und genau das würde letztlich auch erklären, warum die Leute im Bus auf dem Weg in den Norden so erleichtert gewesen waren, endlich aus dem Taunus zu verschwinden.
Sie hatte das alles gar nicht wirklich verstanden. Sie hatte doch selbst lieber dort bleiben wollen. Aber all diese gebissenen Menschen nicht.

War also all den gebissenen Menschen, aus denen dieses Rudel hier bestand, schweres Unrecht und Leid in den anderen Rudel zugefügt worden? Und nun sahen sowohl der Taunus als auch die Rhön, weil sie ja noch mit Ihnen Kontakt aufgenommen hatte, in ihr also eine Chance dazu ... - was genau eigentlich zu tun...?
Wieder Kontakt zu den geflohenen Wölfen herzustellen, die nicht bei Ihnen hatten bleiben wollen? Oder um sie wieder zurückzuholen?

Wow... nee, oder?

Sie öffnete rasch die siebte, achte und neunte Mail und lass sich alles durch.
Oh, da sprach die Rhön – Luna tatsächlich davon, auf geheimen Wegen mit ihr in Kontakt zu bleiben, was ihr Alpha ja nicht wissen musste... Sie bekam ihre Nummer für WhatsApp oder für Telegramm, bekam noch dazu bildliche Anleitungen, wie man das auf einem Handy einrichten konnte, und irgendwie schrieb die Rothaarige auch immer nur total einfach mit ihr. Wenige Wort Sätze, kurze Sätze...
Als sei sie ein kleines Kind, das lange Sätze nicht verstehen würde ...
Oder eben ein Ausländer, der schlecht Deutsch konnte, fiel es ihr wieder ein und seufzte einmal mehr resignierend auf.

Ja, Klar doch... sie war mal wieder Inderin.
Egal, ob nun in Deutschland aufgewachsen oder nicht, der deutschen Sprache mächtig oder nicht, sie war und blieb auch als Werwölfin immer noch Inderin.
Kopfschüttelnd wandte sie sich also den Taunus-Mails zu und öffnete die erste.
Mia entschuldigte sich bei ihr dafür, sie so wenig vorbereitet zu haben. Doch sie hatte tatsächlich befürchtet, dass das Mädchen dann einfach nicht gegangen sein würde, wenn sie erführe, für wie viele Leben sie demnächst mit verantwortlich sein sollte.

Des Weiteren hatte noch dieser Doktor Ole ihr drei Mails geschickt mit Anweisungen, die gegen das Wolfsfieber und gegen Overdrive Symptome helfen sollten.
Und die restlichen E-Mails waren in sehr persönlicher Weise wieder von Mia geschrieben, die darauf hinwies, dass sie ja nun viele gute Verbindungen zum Taunus hatte und auch Freunde dort ...
Sie sollte sie doch mal gelegentlich besuchen kommen. Am besten zum nächsten Mate-Ball.
Und sie sollte auch ruhig Gideon und ein paar Single-Wölfe mitbringen.

Das war so...
Oh... ihr fehlten die Worte.

Bevor sie es noch in die Ecke schmeißen würde, schloß sie ihr Laptop nun lieber, ohne noch irgendwie auf die Mails zu antworten und nahm lediglich ihr Handy, um Naina in Indien anzurufen.
Doch da klingelte und klingelte es, und niemand ging dran. Vermutlich war es noch zu früh, oder zu spät. Sie ließ es also schließlich wieder sein und steckte das Handy weg, stand auf und ging zum Fenster hinüber, wo gerade die Sonne unterging. Nachmittag. 16:30 Uhr.

Irgendwie kam er alles immer noch so absolut unwirklich vor. Auch trostlos...

Seelenverwandt, Rena - Die auserwählte LunaWhere stories live. Discover now