Kapitel 4

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Wäre es nicht lustig einfach alle Kontakte zu löschen?"

[Ab jetzt - frei erfunden]

Mein Daumen schwebt über dem Display meines Smartphones und stoppt vor einer willkürlichen Nummer. Löschen - denke ich.

Wie wäre es wohl sich mit diesem einen Knopfdruck zu erleichtern?

Das Gute ist, es bliebe ja nicht nur bei einem. Mein Puls beschleunigt sich, während ich an die Genugtuung denke und mir vorstelle wirklich jeden einzelnen Menschen aus meinem Leben zu löschen. Keiner würde übrig bleiben und damit gäbe es auch niemanden. Es gäbe niemanden mehr, der auf mich scheißt!

Löschen - Dieser Button zieht mich einfach magisch an. Es erinnert mich an eine Szene aus Alice im Wonderland, denn mein Inneres schreit: Los fall' - Fall' endlich hinab in die Tiefe!

Urgh. Das war ein Fehler.
Plötzlich denke ich an ein großes, schwarzes Loch und mir wird speiübel. Da meldet sich wohl Shot Nr. 7. Also lasse ich meinen Hintern auf die Fliesen plumpsen und beschließe die Kacheln der Wand zu zählen. Fuge für Fuge.

Okay, ich habe es heute Nacht echt übertrieben.

Die Tür zur Damentoilette öffnet sich und eine Plastik-Brünette auf hohen Hacken crashed die Szene.

Oh. Gesellschaft.
Die kann ich ja echt gut gebrauchen.

Ein Laut entfährt. Es hört sich an als würde sie ein klebriges Kaugummi unter ihrem Schuh entdecken: »Ouh. Du siehst ja furchtbar aus. Geht es dir gut, Süße?«

Ich brauche ihr nicht mal antworten, denn keine fünf Sekunden später hat sie mich vergessen. Mrs Big Tits betrachtet sich im Spiegel.

Immer diese „Geht es dir gut? - Fragen".

Wie geht's? Wie steht's?
Na alles klar bei dir?
Das meint doch sowieso niemand ernst!

»Heuchler,« brumme ich und meine damit nicht nur sie.

»Sag' mal, hast du nicht eine Freundin, die dir die Haare hält oder sowas?« sie verzieht angewidert das Gesicht.

Nein, es hatte nur Liam gegeben. Es war immer nur Liam gewesen - die einzige Person, der ich wirklich traute. Die einzige Person, die mir schwor in dieser ganzen Scheiße ‚mein zu Hause' zu sein.

Tja, und jetzt besitze ich nicht mal mehr seine Handynummer. Es war erleichternd. Um ehrlich zu sein stelle ich mir seitdem vor, wie erleichternd es auch wäre, alle anderen Menschen um mich herum zu vergessen. Zumindest rede ich mir ein, ich hätte Liam dadurch vergessen und aus meinem Leben verbannt.

Liam. Wahrscheinlich hatte er heute Besseres zu tun. Womöglich schiebt er Überstunden mit seiner Lieblingskollegin - wie heißt sie nochmal? Ach ja, ‚Kim'.

Ich versuche den Gedanken beiseite zu schieben, er würde gerade mit seiner Geliebten in „unserer" Küche stehen und kochen. Mein Blick fliegt wieder zu Mrs. Plastic. Ich stelle mir vor, sie wäre ‚Kim'. Keine gute Idee.
Mein Körper hatte sich gerade wieder gefangen, jetzt wird mir wieder speiübel.

Mein Blick schweift zurück zu meinem Handy.
Die letzten Nachrichten handeln tatsächlich von Personen die mir mal sehr nahen standen. Genau - Vergangenheitsform - „standen". Jessica und Harald, sogar meine Mom...

Sie alle schreiben, ‚sie würden sich Sorgen um mich machen'. Nach der Sache gestern mit Liam bin ich einfach nur durchgedreht. Jeder ist verständnisvoll. Jeder behauptet zu wissen, wie es mir wirklich geht. Doch keiner weiß, dass ich mich heute Nacht in meinen Wagen gesetzt habe und einfach stur in die nächstgroße Stadt gefahren bin, um mich nun ja... zu besaufen?

Sie würden mich nicht mal vermissen, denn alle Fragen die sie stellen, sind eh nur unverblümte Lügen.

Ich liebe ja Lügen.
Ich meine, ich habe ja die letzten zwei Jahre quasi davon gelebt. Liam bewegt sich durch meine Gedanken und ich spüre wie sich mein Kopf erwärmt. Nicht vom Alkohol, es ist Wut.

Ich fahre mir durch das Gesicht. Es ist echt anstrengend so lange auf einen Bildschirm zu blicken. Noch dazu merke ich, wie mir die Magensäure wieder nach oben rinnt. Hier drin stinkt es eben viel zu sehr nach Pisse. Doch vielleicht liegt es auch einfach nur an dem Tequila?

Ohja, Tequila.
Ich vertrage keinen Tequila.
Und genau das war auch der Sinn an der ganzen Sache. 

Hoffentlich reicht mein Geld noch für den nächsten Drink. Scheiß' auf das Taxi. Wahrscheinlich würde ich heute Nacht sowieso in meinem Wagen schlafen. Oder eventuell auch woanders...

»Warte nicht so lang, ruf ihn einfach an, Honey,« murmelt das Püppchen plötzlich zum Spiegel.

Die hatte ich ja schon fast vergessen.
Sie hat ja sowas von KEINE Ahnung...

Sie fährt sich ihren roten Lippenstift nach und zupft ihr Dekolleté zurecht. »Du tust mir echt leid. Aber naja wie sag ich das jetzt? Nicht alle können so viel Glück mit Männern haben.« - wie ich? äffe ich gedanklich vor. »Weißt du ich hab da diesen mega Typen... Sein Name ist Kyle und er ist so... ist so... Er ist einfach mega und hach' er macht's mir eben jeden Tag.«

Okay. Ich muss wieder zurück zur Bar.

Viel zu schnell schieße ich in die Höhe. Es bleibt nicht mal Zeit, den Rock glatt zu streichen, da bemerke ich plötzlich wie es mich überkommt. Wie eine eklige Welle.

Ein angewiderter Blick rollt zu mir herüber.
Oh. Wie passend.

»Hey!« kreischt sie, als ich jetzt nach dem Waschbeckenrand greife, lauthals würge und ihr dann meine Meinung direkt vors Gesicht kotze. Wortwörtlich.

Lovely Lies - Die Lügen die ich liebteМесто, где живут истории. Откройте их для себя