Kapitel 3

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Seufzend ließ ich mich mit dem Gesicht zuerst in die Kissen meines Bettes fallen. Mein Kopf dröhnte und ich genoss die wohltuende Linderung, die meine brennenden Augen empfing als ich diese schloss. Das frühe Aufstehen bekam mir ganz und gar nicht gut. Ein kurzes Nickerchen würde schon nicht schaden, um mich wieder fit für meinen Besuch bei Maik Faller zu machen, beschloss ich und kurz darauf war ich auch schon eingeschlafen.

Als ich mehrere Stunden später wieder erwachte, dämmerte es draußen bereits. Mein noch immer benebeltes Gehirn verarbeitete diese Information nur langsam und so suchte ich erst einige Minuten später panisch mein Handy zwischen den Laken, um die Uhrzeit zu checken. 20:23 leuchteten mir die weißen Ziffern entgegen. „Verdammt", fluchte ich und schmiss mein Handy wieder achtlos neben mich. Jetzt brauchte ich auch nicht mehr losfahren.

Als sich mein adrenalingeflutetes Herz allmählich wieder beruhigte und mein Bauch ein lautes Grummeln verlauten ließ, schwang ich die Beine aus dem Bett und machte mich auf den Weg in die Küche. Ernüchtert stellte ich fest, dass sich neben zwei angetrockneten Scheiben Graubrot, einem letzten Rest Käse und einem kleinen Stück Butter nichts wirklich Brauchbares für eine schnelle Mahlzeit finden ließ. Ich musste echt mal wieder Einkaufen gehen.... Frustriert knallte ich die Kühlschranktür zu. Ich genehmigte mir einen großen Schluck Orangensaft, ehe ich mich mit meinem Geldbeutel bewaffnet aufmachte, um wenigstens noch gebratene Nudeln vom Asia-Imbiss die Straße runter in meinen Magen zu befördern, der sich inzwischen in regelmäßigen Abständen bemerkbar machte.

Auf der Straße war immer noch eine Menge Trubel. Es war Freitagabend und warm, die Menschen wollten im Park Grillen, Feiern, Spaß haben. Normalerweise hätte ich das jetzt auch getan, aber allein wäre das dann doch eine eher trostlose Unternehmung geworden. Mit einem Mal fühlte ich mich ziemlich einsam. Ich musste an Collins Einladung denken. Ich konnte ihn zwar nicht leiden, aber das seltsame Gefühl, dass sich gerade in meinem Körper ausbreitete, ließ mich ernsthaft darüber nachdenken, vielleicht später doch noch hinzugehen. Ich meine, etwas Gesellschaft konnte doch nicht schaden, oder?

Das Jackson war eine recht beliebte Bar, gar nicht weit von meiner Wohnung entfernt. Zu Fuß brauchte ich vielleicht gerade mal 10 Minuten. Nachdem ich meinem Magen endlich das gegeben hatte, nach dem er so vehement verlangt hatte, war ich gleich losgelaufen. Ein kurzer Blick auf meinen Handybildschirm hatte mir verraten, dass es inzwischen zehn nach neun war, aber ich zögerte dennoch als ich vor der schweren dunklen Holztür der Bar stand. Darüber hing ein etwas heruntergekommen aussehendes schwarzes Schild auf dem in weißen Lettern Jackson prangte.

Eine Hand, die sich plötzlich schwer von hinten auf meine Schulter legte, ließ mich zusammenzucken. „Wird das heute auch nochmal was?" - „Äh, ja klar. Sorry", entschuldigte ich mich schnell bei dem großen Typen, dessen Hand noch immer auf meiner Schulter ruhte, öffnete die Tür und trat ein.

In der Bar war es stickig, es roch nach Bier und Zigaretten. Der Kerl von draußen quetschte sich links an mir vorbei und ich sah wie er eilig Richtung Theke verschwand. Ich ließ meinen Blick schweifen. Rauchschwaden hingen in der Luft und erschwerten zusätzlich zum eh schon vorherrschenden Dämmerlicht die Sicht. Leise Musik wurde aus Boxen gespielt. Da ich Collin nicht entdecken konnte, beschloss ich, mir erst einmal ein Bier zu besorgen, bevor ich mich auf machte, in den vielen Winkeln der Bar nach ihm zu suchen.

Hinter dem Tresen arbeiteten zwei Männer. Der eine war der Kerl von draußen. Er bediente gerade eine junge blonde Frau als ich herantrat und der andere Typ stand mit dem Rücken zu mir und spülte Gläser. Also stützte ich mich mit meinen Unterarmen auf das glatte Holz und wartete geduldig bis einer der beiden Zeit für mich hatte.

Es war der Spültyp, der sich schließlich mit dem Martiniglas in der Hand, das er gerade abtrocknete, zu mir umdrehte und mich anlächelte als hätte er schon längst gewusst, dass ich da stehe. „Ja, bitte?", fragte er und seine Stimme war etwas rau, so als hätte er sie schon länger nicht mehr benutzt. „Ein helles Weizen, bitte." – „Gern." Er stellte das trockene Martiniglas zu den anderen auf das Regal, warf sich das Geschirrtuch lässig über die Schulter und griff mit einer flinken Bewegung zu einem der Weizengläser, die scheinbar in einem der Fächer unter der Arbeitsfläche verstaut waren. Als er an die Zapfanlage herantrat, ließ ich meinen Blick erneut durch den Raum schweifen. Auf den Barhockern saß niemand, aber dafür waren die Sitzplätze im vorderen Bereich des Schankraumes, den man von hier aus gut überblicken konnte, gut besetzt. Collin sah ich noch immer nicht.

Nachdem der Spültyp mir mein Bier hingestellt und ich bezahlt hatte, machte ich mich mit meinem Glas in der Hand auf den Weg in den hinteren Bereich der Bar. Es gab viele einzelne, abgetrennte Bereiche, was das Ganze sehr verwinkelt, aber auch gemütlich machte. Von überall drang Stimmengewirr an meine Ohren, im Hintergrund immer die leise Musik.

Ich fand Collin allein und rauchend an einem kleinen Tisch sitzen. Er hatte sich fast bis in den letzten Winkel der Bar verkrochen, weshalb es inzwischen bestimmt fast halb zehn sein musste, da ich dementsprechend lange umhergeirrt war. Er blickte nicht auf als ich mein Glas mit einem hellen Geräusch zu seinem deutlich kleineren Cocktailglas auf das dunkle Holz des Tisches stellte. Daneben lag eine angebrochene Dunhill-Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug. „Ich dachte schon, du kommst nicht", sagte er ruhig und zog an seiner Kippe. „Dachte ich auch", erwiderte ich seufzend und ließ mich ihm gegenüber auf den Stuhl sinken. „Schön, dass du es dir noch mal anders überlegt hast." Er sah auf und lächelte. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, vor allem, da ich noch nicht genau wusste, ob ich es „schön" finden sollte, dass ich so kurzentschlossen hierhin aufgebrochen war. Also griff ich nur nach meinem Bier und nahm einen kräftigen Schluck.

„Und, wo bist du nach der Ausbildung gelandet?", fragte ich unbeholfen, bevor die aufgekommene Stille noch unangenehm werden würde. „Gruppenführer bei der Hundertschaft. Du?" - „Im Innendienst bei der Verwaltung. Ziemlich öde, wenn du mich fragst. Würde lieber in den Außendienst wechseln, aber das ist eben nicht so einfach", gestand ich und nahm einen weiteren Schluck meines Getränks. Collin aschte ab und betrachtete mich eingehend. „Frag doch einfach deinen Vater", meinte er schließlich achselzuckend und lehnte sich vor, um ebenfalls nach seinem Glas zu greifen. „Guter Witz", sagte ich trocken und konnte beobachten wie sich seine Stirn in Falten legte. „Nicht?", kam auch schon prompt die verwunderte Nachfrage. „Nee, besser nicht. Erzähl' du lieber Mal wie du nach so kurzer Zeit schon an so 'nen Posten gekommen bist." Gespannt sah ich Collin an. Es war recht ungewöhnlich, dass man innerhalb der ersten zehn Jahre an eine Führungsrolle kam. Und dass es ausgerechnet Collin war, dem dies gelungen war, störte mich doch etwas mehr als es vielleicht sollte.

„War ja klar, dass dich ausgerechnet das interessiert", sagte Collin, aber ich hörte, dass er es nicht spöttisch meinte. „Eigentlich gibt's da nicht viel zu sagen. Ich war die ersten fünf Jahre ganz gewöhnlich im Einsatztrupp. Vergangenes Jahr ist dann mein Gruppenführer unerwartet verstorben und ich hab mir gedacht, es kann ja nicht schaden, sich mal auf den Posten zu bewerben. Naja, und jetzt bin ich hier." Er griff nach der Schachtel auf dem Tisch und zog eine weitere Zigarette heraus. Als er nach dem Feuerzeug griff, hielt er kurz inne: „Das stört dich doch nicht?" Ich schüttelte den Kopf und er ließ die Kappe des Feuerzeugs aufschnappen und entzündete seine Zigarette. Er schien echt viel zu Rauchen.

Da seine Erläuterung wahrlich unspektakulärer war als ich erwartet hatte und mir bis auf ein schlichtes „Achso" nicht wirklich etwas zu antworten einfiel, nahm ich einen weiteren großzügigen Schluck meines Biers. Collin sah mich unterdessen weiterhin so seltsam intensiv an, was mich nervös machte. Dann veränderte sich plötzlich etwas in seinem Gesicht. „Liam, was ich dir noch sagen wollte... Es tut mir leid, dass ich während der Ausbildung so ein Arsch zu dir war. Das war echt scheiße." Er zog an seiner Zigarette. „Echt verdammt scheiße. Sorry." Fast schon reumütig sah er mich an. „Schon vergessen", wank ich ab, denn das hatte ich tatsächlich schon fast. Und ich hatte auch kein Interesse daran, die Erinnerungen wieder aufleben zu lassen.

Der restliche Abend wurde dann tatsächlich noch recht lustig. Auch wenn wir, und vor allem unsere Konservation, erhebliche Startschwierigkeiten hatten und ich die negativen Gefühle gegenüber Collin nicht gänzlich abschalten konnte, stellte sich heraus, dass wir erstaunlich viel gemeinsam hatten. Er sang gerne und spielte Schlagzeug. Und er hatte zwei Meerschweinchen, was ich irgendwie nicht erwartet hätte. Grinsend hatte ich mir einen rauchenden Collin in abgewetzter Lederjacke, zerrissener Jeans und schwarzen Doc Martens mit einem Meerschweinchen auf dem Arm vorgestellt. Und als hätte er gewusst, was in meinem Kopf vorging, nickte er nur und sagte lachend: „Ja, genau so sieht das wohl manchmal aus."
Als ich spät in der Nacht endlich in meinem Bett lag, schlief ich mit dem Gedanken ein, dass Collin eigentlich doch ganz okay war.

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Germany, ©ZxynsXngel | 08. Februar 2023

Written in the stars • ZiamWhere stories live. Discover now