Vaghar

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Rhaenyra fühlte sich recht hilflos und genau das hasste sie. Sie hasste es hilflos zu sein, in einer Lage, die sie nicht zu kontrollieren im Stande war. Sie hatte ihre Söhne verloren. Sie hatte ihre Nichte Baela verloren. Doch um Ehrlich zu sein war sie erstaunt wie gut sie mit dem großen Verlust zurecht kam. Dieses Leben hatte sie hart gemacht. Ihre einzige, ganz und gar einzige Schwachstelle war Daemon. Daemon, den sie liebte. Ja, sie liebte ihn so sehr und dennoch hatte das Schicksal über all die Jahre andere Pläne mit ihnen gehabt. 10 Jahre hatte sie es nicht geschafft sich an ihn zu wenden. Bis zu Laenas Beerdigung. Es war nur bei verschwindenden Augenblicken und diesem einen Moment im Bordell geblieben. Sie und er, sie fügten sich ihrer Pflichten. So lange. Zu lange?

Wütend. Daemon war wutentbrannt und das spürte Caraxes im selben Ausmaß. Was fiel seiner Tochter ein sich einfach so davonzumachen? Trotz seiner Rage lächelte er kurz, denn sie war ihm nicht unähnlich. Er wäre genauso, also was sollte er ihr vorwerfen? Intuitiv flog Caraxes schneller, in eben die Richtung die Daemon ein Mulmiges Gefühl bereitete. Nicht wegen ihm. Wegen Rhaena. "Sie wird doch nicht so dumm sein..." murmelte er unentwegt. Geduldig hatte er seine Panik niedergekämpft, so wie er es viele, viele Male getan hatte. Daemon Targaryen war der Schrecken der Lüfte, jeder fürchtete ihn. Er würde nichts fürchten. Nichts. Sein Drache war unruhig. Ungewohnt unruhig. "Scht. Alles ist gut. Ja wir sind richtig. Jetzt ruhig. Ganz ruhig. Wir schauen nur." Denn Daemon hatte sie beide hinter die Drachengrube maneuvriert, in ein Waldstück. Laena hatte Vaghar oft frei fliegen lassen und ist ihn dann mit ihren Töchtern besuchen gegangen. Sie hatte die Vorstellung von der Drachengrube nicht unbedingt gemocht. Sie wollte, dass er möglichst frei war, schließlich war Vaghar verdammt riesig. Daemon hatte sich immer ziemlich von ihm fern gehalten, denn er war einzig und allein der Drachen seiner Frau gewesen. Zwar waren Caraxes und Vaghar ein Team, doch mit dem Tod einer Reiterin oder eines Reiters verblassen solche Verbindungen bald. Er respektierte Vaghar, denn er war einer der größten Drachen die er je gesehen hatte. Natürlich gab es noch größere, die wilden, freien Drachen. Außerhalb der Gruben. Doch Vaghar...er hatte so lange zu Laena gehört...er betete, dass er Rhaena als ihre Nachfolgerin sah.  Die Sonne ging unter, als er von Caraxes Rücken rutschte und ihm deutete, dass er ruhig sein sollte. Es war still. Absolut still und der Wind wehte seine zu einem losen Dutt gebundenen schulterlangen, silbernen Haare zurück. "Laena, ich sags dir, mit was hast du mich da nur allein gelassen..." zischte der Prinz leise, als er tiefer in das Waldstück lief und horchte. Er hörte ihn schon atmen.

Urplötzlich sah er sie. Rhaena schlich sich an Vaghar an, ihr weißes eng geflochtenes Haar offen, das Kleid noch besudelt von Blut, die Gliedmaßen eingebunden. Abwarten, dachte sich Daemon, wenn er sie jetzt stoppte würde sie ausrasten und Vaghar wäre ohne Vorwarnung wach. Das war zu gefährlich. Was tat sie da? Alles in seinem Herz schrie, dass er sie aufhalten musste, doch er wusste, sie würde ihm das niemals vergeben. Und den Hass seiner Tochter konnte er nicht ertragen. Sie war ihnen ähnlicher als er gedacht hätte. Sie ging tatsächlich zu ihm. Stand ein paar Meter entfernt, meine Güte seine Tochter war vielleicht so groß wie die Pfote dieses Drachens. Caraxes Schnauze stupfte ihn gegen den Rücken, seine Nüstern blähten sich. Daemon hob die Hand und schüttelte den Kopf. "Nein." flüsterte er ohne den Blick von Vaghar zu nehmen. Laena hatte ihm immer vorgesungen. Ein altes Valyrisches Lied, dass er noch aus seiner Kindheit kannte. Es war ein Schlaflied für Drachen. Aus einer alten Geschichte. Es überraschte Daemon nicht, als Vaghars Kopf in die Höhe schoss, weil Rhaena die Seile an seinem Sattel, die zur Leiter gemacht worden waren berührte. Er wusste, dass Vaghar seine Stimme kannte. Also begann er zu singen, sanft, gerade so, dass er wusste, Vaghar hörte ihn. Das musste sie schützen, mehr konnte er nicht tun. Also blieb Daemon im Schatten der Bäume und beobachtete, sang die alte, uralte Melodie weiter.

Rhaena hielt inne, als Vaghars riesiger Kopf, weitaus größer als ihr eigener Körper sich in die Höhe hob. Orangene, feurige Augen starrten sie an. Dennoch sprach sie mit ihm auf Valyrisch. "Ruhig. Ruhig. Du bist doch genauso allein wie ich. Lass mich bei dir sein. Wir beide. Ich schwöre dir, ich bin gut zu dir." Mit einem tiefen Atemzug nahm sie das Seil der Leiter zum Drachensattel fester in die Hand, als Vaghar sich langsam rührte, den Kopf nicht von ihr wegdrehte. Sie musterte. Sie würde ihn für sich haben. Dann hätte sie nicht nur einen Drachen, sondern DEN Drachen. Ihrer Mutter Drachen, sie würden sich so unfassbar rächen können, an diesen Teufeln. Seine Schuppen waren so scharf, dass sie sich daran aufschnitt. Noch nie hatte sie Vaghar wirklich angefasst, sie war zu klein gewesen, ihre Mutter hatte es immer verboten. Nur angesehen hatte sie ihn. Bewundert. Seine Stärke. Seine Größe. "Vaghar. Ich bins Rhaena." ihre Stimme war fest, selbstsicher, auch als sie die Leiter hinaufkletterte und der massive Körper unter ihr sich aufrichtete. Vaghars Kopf schoss in eine Andre Richtung als würde er etwas hören. Jemandem zuhören.

Lauter wurde Daemons Lied, als er sah, wie sich dieses wunderschöne, riesige Tier aufrichtete, mit seiner Tochter an einer verdammten Leiter hängend. Doch sie hatte keine Angst, zumindest machte sie keinen Rückzieher. Mut, Mut war nie Rhaenas mangelnde Eigenschaft. Starrsinn war ihre tödlichste. Also sang Daemon weiter, eindringlich. Sein Herz wurde leichter, als der große Kopf Vaghars, der unübersehbar zwischen den Bäumen war, in seine Richtung schoss. Er hatte ihn. Immer schön ruhig, Vagh, dachte er sich. Caraxes hatte es sich hinter ihm bequem gemacht, dennoch war er sehr aufmerksam. Sie waren sich der Gefahr bewusst. Caraxes würde ihn zur Not am Gürtel zurückschleifen, wenn Vaghar daran dachte sie anzugreifen, das wusste der Prinz von Drachenstein. Sein Lied erfüllte den Wald langsam.

Rhaena saß doch tatsächlich auf dem Sattel, sie konnte es kaum glauben. Sie hatte es geschafft. Niemals hätte sie gedacht, dass er sie aufsitzen ließe. Von weitem hörte sie eine Melodie, die sie kannte, aber das Blut pochte so tosend in ihren Ohren, dass sie das ausblendete. Als Vaghar aufstand krallten sich ihre Hände in die Riemen des Sattels. Er war monströs. Gott, was hatte sie gedacht...? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wollte das. Sie wollte Vaghars neue Reiterin sein. Aber es war immer noch ein Drache...krampfhaft hielt sie sich fest, als der Sattel in Position rutschte. Plötzlich schoss Vaghars Kopf herum, sie blickte in die riesigen roten Augen dieses Drachens, die zusammengekniffen waren, die heiße Luft aus den Nüstern bließ sie an, ließ ihre Haare nach Hinten wehen. "Ich bins, Rhaena, Vaghar. Laenas Kind. Wir beide werden ein Team, hörst du?" flüsterte sie lächelnd.

Sein Atem stockte, als er sah, dass Vaghars Kopf sich zu Rhaena drehte. Doch er schien inne zu halten. Es war als würde die Zeit stehen bleiben. Daemons Lied verstummte nicht, auch nicht, als Vaghar seine Flügel ausbreitete und damit Bäume umriss. "Caraxes, wenn sie abheben kann ich nichts tun." Angst erfüllte seine Stimme zum ersten Mal seit sehr langer Zeit. Unendlich langer Zeit. Aber er hatte recht. Nur glaubte er an Rhaena. Er glaubte an ihr Feuer.


Tbc.

Is it Madness?Where stories live. Discover now