Sechsundvierzig

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~ Linn ~

Leos eiserner Blick sagte eine Sache ganz deutlich aus, die er promt auch drohend aussprach. "Fass dieses Handy noch einmal an und ich ziehe eine ganz andere Seite von mir auf."
Gelangweilt blickte ich von meinem Handy, dass auf dem Esstisch in Leos Haus lag, zu Leo auf der gegenüber von mir stand. "Und was soll das für eine Seite sein? Willst du mir wieder mein Eis wegessen? Telefonstreiche spielen?"
"Linn, ich meine es ernst. Du schaust jede fünf Minuten auf dieses Teil und es ändert sich nichts."
"Aber vielleicht melden sie sich ja.", versuchte ich hoffnungsvoll, doch es kam kindlicher herüber, als ich es gewollt hatte. Mehr wie ein Quengeln, wie wenn Leo mir wirklich mein Handy abgezogen hätte, weil ich etwas ausgefressen habe. "Ich schau nur noch ein letztes Mal!", rief ich dann spontan aus und hatte mein Handy schon beinahe in der Hand, als Leo mich am Handgelenk festhielt und mein Handy zu sich zog und es in der Seitentasche seiner Jogginghose verschwinden ließ.

Dann überschwamm mein inneres Glas endgültig und ich drohte zu platzen. Leo auch. Ich schrie ihn an und ich spürte, dass seine Müdigkeit und Erschöpfung die Überhand über ihn gewannen und er genauso laut wurde. "Was soll das? Gib mir mein Handy zurück!"
"Mensch, Linn. Es reicht!"
"Das ist mein Handy!"
"Das ist mir egal. Du drehst ja beinahe durch!"
"Na und? Sie haben sich noch nicht gemeldet! Ich mach mir Sorgen!"
"Sie werden sich bestimmt noch melden, aber bestimmt nicht eher wenn du ständig abcheckst ob noch etwas kommt!"
"Dann lass mich noch einmal versuchen sie anzurufen. Wenn sie rangehen, dann ist doch eh alles vorbei und ich höre auf."
"Du hast sie gerade eben angerufen. Viermal! Vielleicht sind sie unterwegs, Linn, oder sie sind beschäftigt, leerer Akku oder keine Ahnung!"
"Ich will aber keine 'keine Ahnung'!", platzte es mir schlussendlich heraus und ich riss mein Handgelenk aus seinem Griff. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare und nahm mehrmals tief Luft. "Ich will doch nur hören, dass es ihnen gut geht!"

Genervt stürmte ich davon und verschanzte mich in Leos Bad. Kindisch, ich weiß, aber langsam keimte immer mehr Verzweiflung in mir auf. Warum verstand er das nicht? Es sind bereits Tage vergangen und ich habe nicht einmal eine Nachricht von ihnen bekommen außer der, als sie mir ein Selfie aus dem Flugzeug geschickt haben und in ihr Hotel eingecheckt sind. Danach folgte Funkstille ihrerseits. Nicht dass es mich stören würde, aber ich konnte meine Wölfin in mir spüren, obwohl sie sich nicht dominant oder laut wie ich sie kannte bei mir zeigte. Es war wirr, weil es unüblich für sie war und beinahe schon so wie es vor meiner letzten Versiegelung war. Aber jetzt hatte sie Zugang zu ihrer Stimme und sie nutzte es nicht. Irgendetwas verlief hier nicht so wie es sollte und mich ließ genau dieses Gefühl nicht los. 

Außerdem war es absolut nicht möglich, dass meine Eltern sich nicht bei mir meldeten - vor allem wenn sie auf Geschäftsreisen sind. Sie bestanden ja selbst immer darauf, dass ich mich mindestens zweimal am Tag bei ihnen melde, weil sie mich sonst gewöhnlicherweise nicht mehr in Ruhe lassen. Jetzt saß ich aber in einer anderen Situation fest, da meine Eltern weder meine Nachrichten gelesen noch darauf reagiert haben. Normalerweise würde ich es nicht so ernst nehmen, aber... Das waren einfach keine guten Anzeichen.

Leises Klopfen an der Tür riss mich zurück aus meinen Gedanken. "Linn?", sprach Leo angeschlagen durch die Tür und ich konnte hören, wie er sachte seinen Kopf gegen die Tür schlug. "Ich kann verstehen, wenn du sauer bist, aber ich will nicht, dass du durchdrehst. Du bringst dich sepbst nur um den Verstand und am Ende ist vielleicht nicht einmal etwas schlimmes passiert. Komm schon... du hast heute noch nichts gegessen. Ich mach dir sogar Pancakes." Pancakes waren so ziemlich die einzigen Sachen, die Leo machen konnte was Kochen und Backen anbetraf. Doch dafür konnte er sie verdammt gut machen und er wusste, dass er mich damit immer ködern kann.
"Du verstehst nicht, Leo...", fing ich erschöpft an, doch er unterbrach mich ungeniert.
"Ich hab sogar Schokosoße und Streusel gekauft."
"Ich hasse dich." Ausatmend öffnete ich das Türschloss und erblickte sofort Leos müden Blick.
"Erzähl mir in der Küche mehr."

ᴡɪᴇ ʜᴇɪßᴛ ᴅᴇɪɴᴇ ᴡᴏ̈ʟғɪɴ? ✔️Where stories live. Discover now