32 - Dank

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Böhm hatte Rose seine Jacke übergeworfen und stützte ihn, als sie einen Rettungswagen auf den Hof fahren sahen. Er drückte auch fest auf die Wunde, die quer über Roses Brust klaffte und hoffte die Blutung zu stoppen. Gleich würde er Rose in die fürsorglichen Hände von geschulten Rettungssanitätern übergeben.

Einige Streifenpolizisten waren schon vorher eingetroffen und sicherten den Bauernhof. Zwei von ihnen kamen gerade aus dem Gebäude.

„Da oben liegt ein toter Opa! Sie haben wahrscheinlich Glück gehabt, Rose, dass Ihnen nicht das selbe Schicksal ereilt ist", merkte einer der beiden Polizisten an. Rose winkte ab. Er wollte jetzt nicht über so etwas nachdenken. Er war gerade einfach nur froh, dass es vorbei war.

„Wie Sie vermutlich mitgehört haben, war es nicht meine erste Entführung", scherzte Rose, „Trotzdem danke!"

„Gern geschehen! Es tut mir leid, dass das alles so gekommen ist und Sie das durchstehen mussten! Aber so konnte ich nicht nur Ihren Arsch retten, sondern auch den Fall lösen. Auch wenn sich diese Irre vor keinem irdischen Gericht mehr verantworten muss."

„Sie sind gar nicht so ein übler Bursche, wie ich gedacht habe, Böhm."

„Danke, aber ich glaube nachdem wir das heute zusammen durchgestanden haben, sollten wir zum Du wechseln. Ich bin der Jan." Eigentlich hätte Rose ihm das Du anbieten müssen, da er der ältere von den beiden war, das wusste Böhm auch, aber ihm war es wichtig, dass diese Geste ihre neue Beziehung zueinander unterstrich.

„In Ordnung, Jan. Ich bin der Maximilian."

„Wäre Maxi auch okay?", scherzte Böhm.

„Auf gar keinen Fall!"

Der Rettungswagen hielt direkt vor den beiden Kriminalbeamten und zwei Sanitäter sprangen heraus. Einer begann, einem routinierten Ablauf folgend, Roses Vitalzeichen zu prüfen.

„Ja, ich lebe noch!", raunte Rose ihn an.

Der Sanitäter lachte und holte eine Trage aus seinem Fahrzeug.

„Eine Frage hab ich noch an dich", wandte Böhm das Wort an Rose.

„Okay, schieß los!"

„Wie bist du aus den Fängen dieses Monsters entkommen?"

Rose hielt einen Moment inne. Er hatte heute schon genug unverarbeitete Erinnerungen seiner belastenden Kindheit preisgegeben. Sie waren wie ein Geist, den er stets in einer Schatulle weggesperrt hatte. Wenn der Geist auch manchmal seinem Gefängnis entkommen war, so hatte er ihn stets schnell wieder einsperren können. Doch heute hatte er ihn freigelassen. Jan Böhm hatte ihn in der Stunde der Not aus den Fängen einer krankhaften Männerhasserin gerettet, er hatte damit sein Vertrauen verdient, also sollte er auch die ganze Geschichte kennen.

„Du willst also die ganze Geschichte hören, was? Nun gut! Als ich in die Pubertät kam und mir fortan das Kindliche fehlte, verlor er mehr und mehr das Interesse an mir, denn er wünschte sich wieder einen kleinen Jungen. Er zog los und entführte mit derselben Masche, die zuvor auch bei mir funktioniert hatte, einen Fünfjährigen. Ich ertrug es nicht, dass dieses unschuldige Kind das gleiche Schicksal wie ich erleiden sollte. Da nun nicht nur meins, sondern auch das Leben eines weiteren Kindes zerstört werden würde, brachte ich endlich den Mut auf alles zu beenden und wir ergriffen gemeinsam die Flucht. Ironischerweise konnten wir als Anhalter mittels einer Mitfahrgelegenheit zur nächsten Polizeidienststelle gelangen und alles erzählen. Dort endete dann meine Leidensgeschichte."

„Das war sehr mutig von dir! Wurde er geschnappt? Bekam er, was er verdiente?" Die Frage nach der Gerechtigkeit interessierte Böhm brennend.

Rose winkte ab. „Er muss geahnt haben, was wir tun würden und ist untergetaucht. Er muss das gut vorbereitet haben, weil er so schnell verschwunden war. Seither war er wie vom Erdboden verschluckt. Einfach weg! Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass dieses Monster irgendwann doch noch für seine Taten büßen wird!"

Die Trage wurde nun mitsamt Rose in das Fahrzeug geladen.

„Wieso hast du ihr das alles über dich erzählt?"

„Es klingt sicher merkwürdig, aber irgendwo konnte ich auch verstehen, dass sie so geworden war. Die Männer in ihrem Leben hatten ihr wahrlich übel mitgespielt. Sie musste diesen Dampf irgendwann ablassen, sie hat nur das falsche Ventil gewählt."

„Was? Du konntest sie verstehen?" Böhm klang überrascht. Wie konnte Rose nur Empathie gegenüber einer Frau empfinden, die ihn folterte und töten wollte?

„Wer selbst in Not und Elend saß, der weiß Not und Elend des Nächsten zu würdigen", lautete seine Antwort. Böhm wusste nicht viel damit anzufangen.

Die Türen des Rettungswagens wurden geschlossen und dann setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Rose würde sich in Kürze erneut im Krankenhaus wiederfinden.

Böhm sah dem Rettungsfahrzeug hinterher, wie es in Richtung der Stadt fuhr und langsam in der Ferne verschwand. Er verspürte Stolz. Er hatte seine erste Mordserie aufgedeckt und Roses gut behütetes Geheimnis zudem auch noch! Hinter dessen harten Schale steckte eigentlich ein recht sympathischer Kollege und ganz tief darin ein bemitleidenswertes, traumatisiertes Kind.

🐈ENDE🐈

Katzenmorde - Kommissar Roses erster Fall (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt