11 - Trauer

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„Nehmen Sie doch bitte Platz", forderte Böhm höflich.
„Wo ist mein Sohn?! Ich will ihn sehen. Vielleicht ist das ja alles nur ein großer Irrtum!" Daniela Steiner wirkte aufgebracht und äußerst emotional. Ein menschliches Inferno, das sich auszubreiten und alles in Flammen zu setzen drohte, würde man nicht besonders sorgsam vorgehen.
„Das können Sie natürlich, aber ich kann Ihnen sagen, dass der Leichnam bereits identifiziert wurde und es sich leider eindeutig um Ihren Sohn Dennis handelt", antwortete Böhm sachlich. Rose konnte nur mit den Augen rollen angesichts des forschen Handelns seines unerfahrenen Kollegen, dem es nicht gelungen war die grausige Botschaft gefühlvoller zu überbringen.
Frau Steiner brach in Tränen aus und weinte bitterlich. Dicke Tränen liefen ihr über die Wangen, an die sie sich klammerten, ehe sie zu Boden fielen. Wenn sie noch ein kleines Stückchen Hoffnung auf ein Missverständnis und ein Wiedersehen mit ihrem Sohn gehabt hatte, so hatte Böhm diese nun ein für alle Mal zerstört. Es war eine unangenehme Wahrheit und nun auch traurige Gewissheit.
„Sie können ihn natürlich sehen, wenn Sie möchten, sobald die Rechtsmedizin den Leichnam freigegeben hat", versuchte Böhm die Wogen zu glätten, „Seien Sie sich aber bitte bewusst, dass er unter Gewalteinwirkungen zu Tode kam und sein Körper nicht in bestem Zustand ist. Sicher haben Sie ein Bild von ihm im Kopf, wenn Sie an Ihren Sohn denken und das wollen Sie sicher nicht kaputt machen, indem Sie ihn so sehen."
Die trauernde Mutter verfiel regelrecht in einen Heulkrampf und stand einem Nervenzusammenbruch erschreckend nahe. Rose konnte es nicht fassen, wie ungeschickt sich sein neuer Kollege hier anstellte. Er musste nun wieder das Ruder in die Hand nehmen!

„Frau Steiner, es tut uns unendlich leid, was Ihrem Sohn zugestoßen ist. Unser aufrichtiges Beileid für Ihren schmerzlichen Verlust." Rose versuchte einen Zugang zur trauernden Mutter zu finden, fasste sie bei der Hand und führte sie zu dem Platz am Tisch, welcher für sie vorgesehen war. Sie bewegte sich als würde sie ferngesteuert werden und setzte sich. Von ihrer Umwelt schien sie gerade kaum etwas wahrzunehmen.

„Er war doch noch so jung und hatte das ganze Leben vor sich. Den Kopf voller Träume..."

„Mein Name ist Maximilian Rose und das ist mein Kollege Jan Böhm. Ich verspreche Ihnen, wir tun alles um aufzuklären, was passiert ist. Fühlen Sie sich denn bereit dazu, dass wir Ihnen ein paar Fragen stellen?"

„Was wird denn nun aus meinem Mann und mir? Dennis war doch unser einziges Kind, unser Stammhalter", murmelte Frau Steiner während sie apathisch in die Leere starrte, „Es macht doch jetzt alles gar keinen Sinn mehr."

Rose analysierte die Situation und erkannte, dass Dennis Mutter typische Verhaltensmuster starker Trauer aufzeigte. In diesem Schockzustand war nicht viel aus ihr herauszubekommen. Sie würde keine große Hilfe für seine Ermittlungen sein, wurde ihm augenblicklich klar, aber er konnte sie durchaus verstehen. Er hatte zwar selbst keine Kinder und hatte für sich schon vor langer Zeit ausgemacht, niemals Vater werden zu wollen, doch konnte er die Verzweiflung einer Mutter, die gerade mit dem Tod ihres einzigen Kindes konfrontiert wird, gut verstehen. Ein Kind zu haben stellte Rose sich als eine gewaltige Bürde vor: Sich selbst aufzugeben für das Wohl eines kleinen Menschen und ständig in Sorge um dessen Wohlergehen. Sein Kind zu überleben, wäre dann wohl das schlimmste Schicksal, das einem passieren könnte, insbesondere wenn es keine natürliche Todesursache war und die Gründe für den schrecklichen Mord nicht verständlich waren. Diese Ungewissheit müsste einen geradezu zerreißen. Das sollte Ansporn genug sein, diesen Mordfall zügig aufzuklären. Vielleicht würde dieses Häufchen Elend, welches ihm gerade gegenübersaß, ja erst dann Frieden finden und Abschied nehmen können. Im Moment schien es aber noch eine lange, beschwerliche Reise bis dorthin zu sein.

„Es wird nicht leicht, auch wenn ich Ihnen gerne etwas anderes sagen würde, aber Sie und Ihr Ehemann werden sicherlich auch weiterhin ein erfülltes Leben führen, wenn Sie das alles erstmal verarbeitet haben. Wo ist Ihr Mann denn gerade?"

Katzenmorde - Kommissar Roses erster Fall (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt