Vertrauensbruch

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Stille. Eine endlose Ruhe hat sich in der dunklen Kita ausgebreitet. Es ist so still, dass man eine Stecknadel problemlos fallen hören könnte. In der Dunkelheit blitzen zwei rote Augen auf. Moon sitzt auf dem Podest und starrt gedankenlos die Wand an. Nicht einmal Sunny weiß, was momentan in seinem Kopf vor sich geht. Eine Woche ist das kleine Abenteuer seines lichtliebenden Bruders nun her und mit jeder Nacht ist sein Groll größer geworden. Schließlich springt Moon auf und streift zähneknirschend umher. „Ich hasse dich...ich hasse dich...ich hasse dich...", knurrt er immer wieder. Es ist jede Nacht das gleiche. Es hat sich nichts geändert. Der Nachtbetreuer greift sich an den Kopf und stößt einen grauenhaften Schrei aus. „Moon? Was ist los?" Es ist äußert selten, dass der inaktive Sunrise zu ihm spricht. Meistens wird er von seinem bösen Zwilling komplett unterdrückt, doch durch seine instabile Psyche hat er ein kleines Schlupfloch gefunden.

„Halt den Mund, Sunrise...", knurrt er bösartig. „Als ob du nicht weißt was los ist." Sunny schweigt kurz. „Bist du sauer wegen Serrin?" Sofort fängt er bei diesem Namen an zu Fauchen. Er grollt bösartige Wörter vor sich her. „Ganz genau...", knurrt er. Moon zieht sich in sein Privatzimmer zurück. Dort flitzt er in den Kellerraum, um sich eine große Kartoffel zu holen. In der kleinen Küche wird sie auf eine lange Gabel aufgespießt, bevor ihr mit Wackelaugen und Glitzerkleber ein Gesicht verpasst wird. „Was ist das, Sunrise?" Die beiden kommunizieren ständig oder zumindest die meiste Zeit miteinander. Sie teilen sich die gleichen Erinnerungen und können das Bewusstsein des jeweils anderen wahrnehmen. „Irgendein kinderfreundliches Kartoffelkunstwerk?" Moon schmunzelt. Er geht in einen anderen Raum und holt eine braune Flasche, in der eine ätzende Flüssigkeit schwimmt. „Was ist das?"
„Sieht aus wie die Säure, die sie drüben im Steinbruch benutzen. Wo hast du die denn her?"

„Richtig!" Damit hat er voll ins Schwarze getroffen. „Und das hier, mein Freund..." Er schwingt die Kartoffel einmal demonstrativ herum. „Das hier ist das Gesicht von einem hübschen, unterernährten Ding. Einem Ding, die dir alle Aufmerksamkeit schenkt und mich abwertend Halbgesicht nennt." Seine roten Augen ziehen sich kurz zu bedrohlich schmalen Schlitzen zusammen. „Und jetzt sperr mal deine Lauscher weit auf, Sunrise. Wenn du dieses Miststück je wiedersiehst, noch einmal mit ihr redest, oder je wieder an diese kleine Hure denkst, dann wird genau das mit ihr passieren." Moon schüttet die Säure über die Kartoffel, die sich binnen weniger Sekunden in eine schwarze, ätzende Masse verwandelt. „Moon, das kannst du nicht machen! Serrin ist unschuldig. Sie kann dafür nichts, also lass sie bitte in...-"

„Und ob sie etwas dafür kann", grollt er. „Ich warne dich, Sunrise...das ist keine leere Drohung gewesen. Ich werde ihr hübsches Gesicht in eine hässliche Blasenlandschaft verwandeln. Ich werde ihr das Auge herausreißen und mit ihrem abgetrennten Bein in aller Ruhe Gator-Golf spielen. Und ich werde deine kleine Freundin so zurichten, dass sie ihr eigenes Spiegelbild nicht mehr ertragen kann. Haben wir uns verstanden, mein Kleiner?"

Sunny antwortet nicht. Der Neid, der Hass und die Eifersucht von Moon muss noch größer sein als er gedacht hat. „Du bist verrückt, Moon. Vollkommen verrückt."
„Haben wir...uns verstanden, Sunrise?", fragt er erneut. Und der Sonnenmann weiß, dass sein finsterer Zwilling keine leeren Drohungen ausspricht. Sunny schluckt einen dicken Kloß hinunter. „...Ja...", antwortet er bitter. Moon lächelt zufrieden. „Sehr gut..." Ein breites Grinsen legt sich auf sein unheimliches Gesicht. Nein. Er muss Serrin loswerden. Und das um jeden Preis. Wenn er sie nicht haben kann, soll sein immerzu fröhlicher Bruder sie auch nicht bekommen. Moon hat mitbekommen, dass er mit Serrin ein schönes Schäferstündchen gehalten hat. Und das hat das Fass zum überlaufen gebracht. Es war der letzte Tropfen, der noch gefehlt hat. Genau aus diesem Grund nimmt Sunny die Drohung seines Bruders durchaus ernst. Er weiß, zu was Moon fähig ist. Und er weiß auch, dass er sie wahr machen wird.


Serrin dreht sich einmal fröhlich Kreis. Glücklich bleibt sie vor dem Spiegel stehen und hat jeweils ein Kleid in einer Hand. Sie weiß nicht was sie heute anziehen soll, immerhin will sie Sunny überraschen. Nach ihrem kleinen Abenteuer will sie extra hübsch für ihn aussehen. Wobei – wenn sie genauer darüber nachdenkt, dann würde er sie auch in einem Kartoffelsack toll finden. Daher erleichtert sie sich die Entscheidung und schlüpft in das schwarze Baumwollkleid. Zufrieden hängt sie das andere in den Kleiderschrank zurück und betrachtet sich im Spiegel. Schüchtern legt sie sich einen Halsschmuck an, der eine kleine Sonne als Anhänger hat. „Sunny wird es lieben", sagt sie. Immerhin kennt sie ihn einfach zu gut. Ihn und seine freundliche, aufgedrehte Art. Sunny ist leicht zu begeistern, daher will sie sich auch einmal richtig anstrengen, um ihm zu gefallen. Serrin blickt auf die Uhr. Bald ist es Zeit zu gehen, weshalb sie sich noch ein paar passende Schuhe zu dem schwarzen Kleid anzieht. Endlich ist sie fertig. Serrin macht sich auf dem Weg in die Kita, um ihren liebsten Freund für den gemeinsamen, wöchentlichen Ausflug abzuholen.

Serrin grüßt die Wache am Gebäudeeingang freundlich. Mit klopfenden Herzen und voller Vorfreude hat sie schließlich die Kita erreicht. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, macht sie nun auf sich aufmerksam. „Klopf, Klopf, wer ist da?" Sunny sitzt mit dem Rücken zu ihr und scheint etwas an einem der Basteltische zu machen. Er reagiert nicht. Serrin legt den Kopf schief. „Sunny? Hast du mich nicht gehört?" Der Sonnen-Animatronic reagiert noch immer nicht. Er bastelt einfach an dem Tisch weiter. „...Sunny....?" Nun kommt sie noch näher und legt ihre Hand auf seine Schulter. „Hey, was ist denn...?" Kaum hat sie ihn berührt, zieht er seinen Arm zurück. „Was willst du hier?", fragt er schroff. Serrin runzelt die Stirn. „Ähm...wir...sind verabredet...heute ist Samstag..."
„Aha...", sagt er desinteressiert. „Schön, dass du da warst, jetzt kannst du wieder gehen. Und tschüss, du weißt wo der Ausgang ist."
„Sunny, was ist denn los mit dir? Habe ich dich verärgert? Wenn ja, dann tut es mir Leid." Nun dreht er sich langsam zu ihr um. „Habe ich dir nicht gerade gesagt, dass du gehen sollst? Hau ab! Verschwinde von hier." Sein seltsames Verhalten macht ihr langsam Angst. „Hast du einen Kurzschluss erlitten, Sunny? Soll ich vielleicht...-"
„Nenn mich nicht Sunny! Ich heiße Sunrise, verstanden?" Nun ist sich Serrin sicher. Irgendetwas muss passiert sein. „Was um Himmels Willen ist los mit dir? Wieso redest du so mit mir?" Sein fröhliches und nettes Sonnengesicht verwandelt sich in eine bösartige, unfreundliche Fratze. „Was sollte schon mit mir los sein? Anscheinend kennst du mein wahres Ich doch nicht so gut."

„Nein, das ist nicht der Sunny, ich meine Sunrise den ich kenne und liebe. Egal was passiert ist, bitte rede mit mir. Wir haben doch sogar als ich noch ein Kind war zusammen so viel Spaß gehabt. Hast du das etwa alles vergessen?" Sunny schaut sie einmal kalt an. „Wie könnte ich das nur vergessen...", sagt er schließlich und kurz keimt neue Hoffnung in ihr auf. „...Wirklich...?", fragt sie. „Ja, wirklich. Du warst das schlimmste Kind gewesen, das mir je aufgebrummt wurde. Ich habe dich schon damals verachtet. Als Tagespfleger ist mir damals wie heute nichts anderes übrig geblieben, als ständig auf euch elenden Blagen aufzupassen." Serrin glaubt sich verhört zu haben. „...Was...?" Sie sieht ihn geschockt an. Jeden Moment wartet sie darauf, dass er gleich aufspringt und lachend 'war nur ein Scherz' brüllt. Doch sein Gesicht bleibt hart und ausdruckslos. „Das...das...kann doch nicht...dein Ernst sein. Und was war dann mit neulich? Und unsere ganzen gemeinsamen Ausflüge?"

Sunny zeigt in seinem Gesicht noch immer keine Regung. „Pah, du bist noch dümmer als ich gedacht habe. Was sollte damit schon sein? Ich wollte dich einfach nur mal flach legen und dafür habe ich dich ausgenutzt. Jetzt wo ich bekommen habe was ich wollte brauche ich dich nicht mehr. Du kannst gehen und aus meinem Leben verschwinden." Noch in der gleichen Sekunde füllen sich ihre Augen mit dicken, salzigen Tränen. Serrin kann einfach nicht glauben, was er ihr da an den Kopf gedonnert hat. „Wie süß, dass du es nicht gemerkt hast. Muss ich deutlicher werden? Du hast Hausverbot auf Lebenszeit und jetzt raus!" Serrin spannt ihren Kiefer an. Sie ballt ihre Hände zu Fäusten und lässt ihrer angestauten Wut freien Lauf. Kurz hat sie darüber nachgedacht ihm eine Ohrfeige zu verpassen, doch auf Metall zu schlagen würde äußerst schmerzhaft für sie enden. „Ich will nie wieder mit dir reden!", weint sie. Dann dreht sie sich um und rennt davon. Sunny sieht ihr kalt hinterher. Erst als sie die Kita verlassen hat, lässt er seine Maske fallen und bricht zusammen.

„Serrin..." Dicke, ölige Tränen laufen aus seinen Augen. Seine Hände sind so sehr geballt, dass seine Gelenke quietschen. „...Es tut mir so Leid, Serrin..." Sunny ist keine andere Wahl geblieben. Er hat sie verletzt, um sie zu beschützen. Das hat ihm mehr wehgetan als ihr. Während Sunny diese bestialischen Schmerzen kaum aushält, kann er das Lachen seines Bruders hören. „Jetzt weißt du einmal, wie sich das anfühlt, Sunrise...", kann er Moon in seinem Kopf hören. Die Wache schaut ziemlich irritiert, als Serrin weinend an ihr vorbeirennt. Sie kann einfach nicht verstehen, warum Sunny das getan hat. Sie kann sich doch nicht all die Jahre so sehr in ihm getäuscht haben. Auf der Straße bleibt sie schließlich stehen. Serrin überlegt kurz, ob sie zurückgehen und nochmal mit ihm reden soll. Doch dann spuken ihr all die bösen Worte im Kopf herum, die er ihr entgegengespuckt hat. Erneut bricht Serrin in salzigen Tränen aus, bevor sie zutiefst verletzt und äußerst verzweifelt nach Hause geht.


Moondrop weiß was du in der Dunkelheit tust (Abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt