Gespaltene Persönlichkeit

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Samstag. Ein Wochentag, der für Serrin zu etwas Besonderen geworden ist. Normalerweise hat sie das Wochenende immer alleine auf dem Sofa verbracht. Doch nun hat sie Jemanden in ihrem Leben, mit dem sie ihre Zeit teilen kann. Serrin steht gerade unter einem Apfelbaum und betrachtet sehnsüchtig die leuchtend rote Früchte. Egal wie sehr sie sich auch ausstreckt, sie kommt einfach nicht an die knackige Frucht heran. Plötzlich erscheint neben ihr ein zweiter Arm. Seine warme, gelbe Farbe erinnert an das Sonnenlicht. Spielend leicht kommt dieser an die Äpfel heran. Sunny lächelt, als er ihr den Apfel reicht. Serrin strahlt über beide Wangen und grinst ihn glücklich an. „Dankeschön, Sunny. Manchmal ist es echt ein Fluch so kurze Beine zu haben." Sie nimmt den Apfel dankbar entgegen. Danach fällt sie ihm gleich um den Hals. „Schön, dass du es einrichten konntest!" Er lacht und muss sie ein wenig festhalten. „Ich freu mich auch dich zu sehen. Ich muss mich nochmal bei dir wegen vorheriger Woche entschuldigen."

Serrin schüttelt sanft den Kopf. „Ist schon okay, sicher hattest du deine Gründe dafür. Außerdem benimmst du dich immer etwas seltsam." Sie reibt nun den Apfel an ihrer Hose ab und beißt hinein. Sofort fangen ihre Augen an zu leuchten, da er im wahrsten Sinne des Wortes zuckersüß ist. „Du findest ernsthaft, dass ich mich seltsam benehme?" Irgendwie kann ihr Sunny wegen der Aussage nicht einmal böse sein. „Hmm...vielleicht ist seltsam einfach das falsche Wort dafür. Ich denke du weißt was ich meine." Beide müssen darüber einfach nur lachen. „Wo gehen wir diesmal hin?", will Sunny wissen. „Ich habe beim letzten mal entschieden, heute suchst du den Ort aus." Der Sonnen-Animatronic ist überrascht. „I-Ich?!"
„Ja, du! Was ist so schlimm daran?"
„Ähm..." Sunny scheint gerade ein bisschen überfordert zu sein.

„A-Also wenn es dir keine Umstände macht, dann lass uns doch in den Tierpark gehen." Tatsächlich ist sie darüber doch sehr erstaunt. Serrin hat eigentlich eher mit einem Kinobesuch oder dem Theater gerechnet, doch der Tierpark eignet sich auch gut dafür. „Was für eine wundervolle Idee! Lass uns gehen." Sunny wirkt erleichtert. Er hat nicht umsonst einen hellen, mit Licht überfluteten Platz ausgewählt. Tatsächlich versucht der Sonnenmann dunkle Orte zu vermeiden. Allein eine Höhle könnte ausreichen, um die Kontrolle an Moon zu verlieren. Daher ist Sunny wirklich froh, dass seine alte Freundin nicht weiter nachgefragt hat, denn sie weiß nichts von seiner anderen Persönlichkeit. „Schau mal, Sunny, hier kann man Tierfutter kaufen." Serrin liebt Tiere und muss alles anfassen was ein Fell hat. „Das ist doch nicht euer Ernst, ihr wollt echt in einen stinkenden Tierpark gehen?" Sunny versucht die gereizte Stimme in seinem Kopf zu ignorieren. „Du kannst mich nicht ewig ignorieren. Früher oder später wird sie es sowieso erfahren."

Er bläst einmal gewaltig seine mechanischen Lungen auf. „Aus den Augen, aus dem Sinn", knurrt Sunny seinem Bruder leise entgegen. „Wie bitte? Hast du etwas gesagt?" Serrin sieht ihn verwundert an. „...Na das macht doch Sinn! In einem Tierpark sollte man auch Tierfutter bekommen. Lass uns welches mitnehmen."
Glücklich über diesen Vorschlag, hat Serrin gleich eine große Portion gekauft, die Sunny natürlich bereitwillig für sie durch den Park schleppt. Er stöhnt einmal lautlos und beobachtet sie. An den verschiedenen Gehegen sind Futterstellen angebracht, an denen man die Tiere füttern kann. Die meisten kommen bereitwilligen angelaufen, um das angebotene Futter direkt zu verspeisen. „Wieso bin ich nicht auf die Idee gekommen?" Anscheinend hat Sunny mit seinem Vorschlag direkt ins Schwarze getroffen. Insgeheim mag die Weißblonde alle Tiere, doch ihr haben es besonders die niedlichen Pinguine und die flauschigen Flamingos angetan.

„Wie süß...mir kommen gleich die Tränen. Schön, dass wenigstens du deinen Spaß hast...findest du nicht auch, dass es fair wäre, wenn ich sie auch einmal persönlich kennenlerne?" Sunny sieht zu ihr. Serrin ist gerade abgelenkt, weshalb er ein bisschen auf Abstand geht. „Moondrop, hör endlich auf damit mich zu nerven und lass mich in Ruhe. Ich werde ihr nicht sagen, dass du existierst."
„So...? Wirst du das nicht?"
„Nein", faucht er.
„Wie schade...dabei hätten wir sicher viel Spaß zusammen..."
„Du wirst ihr auf keinen Fall wehtun, verstanden?"
„Wer hat etwas von wehtun gesagt? Ich habe da...an etwas anderes gedacht..."
„...Das wagst du nicht..."
„Hehehe..."

„Sunny?" Erschrocken sieht er auf Serrin herunter. „Mit wem redest du?" Wäre er ein Mensch würde er nun aus allen Poren schwitzen. „Ich...rede mit mir selbst...", versucht er eine Ausrede zu finden. „Ich, ähm...übe ein neues Theaterstück...genau, ein neues Theaterstück!" Serrin sieht ihn misstrauisch an. „Sunny..." Sie greift nach oben und zieht ihn an einem seiner Sonnenstrahlen zu sich auf Augenhöhe herunter. „Was ist los?" Mist – sie hat den Braten gerochen. Energisch zieht sie ihre Augen zu schmale Schlitze zusammen. „...Verheimlichst du mir etwas...?" Sunny seufzt einmal leise. „Ja...", gibt er schließlich zu. „...Na schön, die Wahrheit ist..."
„Na endlich! Los, sag ihr was Sache ist, hehehe..."
„...Die Wahrheit ist...du machst mich nervös. Wir haben uns das letzte mal gesehen, wo du noch ein kleines Kind warst. Im Gegensatz zu dir altere ich nicht und so unbeschwert mit dir als erwachsene Frau herumzulaufen macht mir Angst..."
„Was?! Das ist aber nicht die Wahrheit!"
Sofort wird ihr Blick weich und sie lässt ihn wieder los. „Wieso hast du denn nicht eher was gesagt, Sunny? Bin ich dir zu aufdringlich?" Er schüttelt den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Es ist viel eher ich habe Angst, dass ich mich...in...dich...ver..."

„Oh mein Gott! Schaut doch mal was die Pferde da machen!" Beide drehen sich um. Sunny schießt die Röte ins Gesicht. „Ahhh!" Sofort drückt er Serrin seine große Hand ins Gesicht. „Das ist nicht für Kinderaugen bestimmt. Sicherheitsalarm...Sicherheitsalarm!" Serrin quiekt leise, als Sunny sie unter seinen Arm klemmt und davonläuft. Erst als er außer Sichtweite ist und sie kräftig das Strampeln anfängt, lässt er sie wieder herunter. „Sunny! Was zur Hölle...? Ich bin doch keine fünf Jahre alt. Ich weiß wie Babys entstehen." Schuldbewusst schaut sie der Sonnen-Animatronic entschuldigend an. „Tut mir Leid, da ist der Kinderpfleger in mir rausgekommen." Scheinbar wütend auf ihn stemmt sie ihre Hände in die Hüften, fängt aber wenige Sekunden später an zu lachen. „Ich weiß", grunzt sie. „Du warst schon immer etwas seltsam, daher kann ich darüber hinwegsehen."
„Also bist du nicht wütend auf mich?"
„Nein, ich habe keinen Grund dazu. Du bist ein guter Kerl der versucht das Richtige zu tun. Und das weiß ich zu schätzen." Sie hakt sich bei ihm ein und erkunden den Tierpark zusammen weiter. Allerdings schwebt Serrin noch immer der Verdacht vor, dass Sunny nicht komplett ehrlich zu ihr war. Denn zu ihrem Erstaunen weigert er sich durch eine dunkle Unterführung zu laufen.

„Heehehehehe..." Er kann das schadenfrohe Lachen seines bösen Zwillings hören. „Komm schon, Sunny, worauf wartest du?" Er starrt die Dunkelheit in der Gasse an. „...Ich...i-ich..." Serrin grinst. „Verstehe, du hast Angst im dunkeln, was?" Geistesgegenwärtig nickt er. „Das braucht dir doch nicht peinlich zu sein. Dann lass uns einfach den Umweg über das Wildscheingehege nehmen." Erleichtert über diese Tatsache folgt Sunny ihr einfach. Auch wenn es ein etwas seltsamer Tag gewesen ist: Serrin hat sehr viel Spaß mit ihm gehabt. Zum Abschied drückt sie ihn einmal ganz fest. „Das nächste mal suchst du aber den Ort wieder aus."
„Darüber reden wir nochmal. Wir sehen uns nächste Woche. Bis bald." Sie winkt ihm fröhlich hinterher, bevor sie die Kita wieder verlässt. Sunny stöhnt einmal erleichtert. „Moondrop! Hast du den Verstand verloren? Was sollte das?"
„Kannst du dir das denn nicht denken?"
„Ich will es gar nicht wissen..."
Sunny hat keinen Nerv dafür, um sich mit seinem Bruder herumzuschlagen. Er kann das vertraute Geräusch einer sich abschließenden Tür hören, sodass er müde und erschöpft Moon den gemeinsamen Körper bedenkenlos übergeben kann.

„Hallo, neuer Freund! Schön, dass du mich wieder besuchen kommst." Der kleine Leon grinst Mister Sonne an. Ihm hat es doch in der Kita gefallen, weshalb er wieder hierher kommen wollte. Kaum hat sich seine Mutter verabschiedet, nimmt der Junge seine Hand und will basteln. Schließlich lernt er auch neue Freunde kennen, mit denen er spielen und toben kann. So wie es aussieht hat sich auch dieses Kind gut in der Tagesstätte eingelebt. „Seht mal! Da ist die Tante von neulich!" Sunny folgt dem Finger des Kindes und glaubt nicht, was er da sieht. „...Serrin?" Sie lächelt und winkt ihm freundlich zu. „Hallo, Sunny!"
„Was machst du hier?"

„Ich habe heute frei und wollte dich besuchen. Oder bin ich zu alt für die Kita?"
„Eigentlich schon. Trotzdem bist du immer willkommen." Plötzlich stürzen sich die Kinder auf sie. „Spiel mit uns, Tante!"
„Nein! Kinder, ihr könnt doch nicht einfach..." Doch sie hat keine Chance gegen die kleinen Wirbelwinde. Serrin lacht. „Sieht so aus, als ob es ein längerer Besuch wird." Sunny kratzt sich überfordert am Kopf und weiß nicht so ganz was er davon halten soll. Allerdings sollte es kein Problem darstellen, solange sie damit einverstanden ist. Serrin unterstützt Sunny heute bei seiner Arbeit und kümmert sich rührend um die Kleinsten. Schließlich wünschen sich die Kleinsten ein Puppentheater, wo die beiden gemeinsam aufführen. Serrin sieht einmal auf die Uhr und schmunzelt. „Ich sollte nun wieder gehen, Sunny. Danke, dass ich bei dir sein durfte."
„Ich habe dir zu danken, immerhin hast du mich entlastet. Bis bald." Er winkt ihr hinterher und dreht sich wieder den Kindern zu.

Langsam aber sicher wird die Kita leer. Sunny verabschiedet jeden seiner Schützlinge einzeln. „Bis morgen und seid lieb zu euren Mamas und Papas." Plötzlich ist es sehr still geworden. Er seufzt einmal leise und wirkt ein bisschen erschöpft. Auch an diesem Abend kann er das vertraute Geräusch einer sich abschließenden Tür hören. In wenigen Minuten werden die Lichter abgeschaltet, sodass er sich seine wohlverdiente Ruhe gönnen kann. „Ich wusste gar nicht, dass du dich einsperren lässt." Sunny rutscht das Herz in die Hose, als er sich umdreht. „S...S...Serrin...? W...Was m...machst du denn h...hier...?" Sein nervöses Stottern zeugt davon, dass etwas nicht in Ordnung ist. „Es tut mir Leid, Sunny, aber ich glaube dir nicht. Du verschweigst mir etwas." Sie kommt auf ihn zu. Sanft umfasst sie einen seiner großen Finger. „...Sunny, was ist los...? Ich dachte wir sind Freunde und können uns alles erzählen..." Sie hat sich all die Zeit unbemerkt in seinem Aufenthaltsraum versteckt. Plötzlich weicht der sonst so fröhliche Sonnenmann ängstlich vor ihr zurück. „Nein...Nein...du darfst nicht hier sein. Bitte verschwinde, bevor es zu spät ist."

Er krallt sich in seinen Sonnenstrahlen fest. „Was ist los mit dir? Wieso stößt du mich von dir weg?" Serrin ist verletzt und lässt ihn das auch spüren. Tränen steigen ihr in die Augen. „Das ist nicht der Sunny, den ich immer geliebt hab..." Plötzlich hält er inne. „...Was...?" Das scheint ihn tatsächlich beruhigt zu haben. „Sunrise...", sagt sie sanft. „...Du kannst es mir sagen, wenn dich etwas belastet. Schließlich hat man dafür Freunde..." Daraufhin kehrt sein fröhliches Lächeln wieder zurück. „...Serrin, ich..." Und dann geht das Licht aus, was in ihm eine Panikattacke auslöst. „Nein, Nein, Nein! Das ist gar nicht gut! Mach das Licht an...MACH DAS LICHT AN!" Zuerst denkt sie, dass er einfach nur Angst vor der Dunkelheit hat, doch es sollte viel schlimmer kommen. „..Serrin...", keucht Sunny noch leise. „...Lauf...weg..." Dann wird sein Körper schlaff. Er rührt sich nicht mehr. Nun bekommt sie es doch mit der Angst zu tun. „...Sunny...?" Sie kommt vorsichtig näher. „...Sunny...? Was...ist mit dir...? Das ist nicht lustig..."

Plötzlich verändert er sich. Seine hellen Sonnenstrahlen ziehen sich komplett zurück. Seine freundlichen Augen färben sich rot ein und haben auf einmal etwas boshaftes an sich. Durch das schwache Licht der Reklametafeln, kann sie die Transformation sehen. Vor ihr steht eine schlanke, geschmeidige Gestalt, dessen silberblaue Farbe sie an den Mond erinnert. Alleine sein purer Anblick jagt ihr Angst an. „...Ungezogenes Mädchen...Freches Mädchen..." Seine dunkle, rauchige Stimme hat etwas furchterregendes an sich. Serrin reißt die Augen auf und starrt ihn an. „...Wer...wer....bist du...? Wo ist Sunny...?"
„Heehehehehe....Sunny hat Sendepause...du hast deine Schlafenszeit verpasst...böse Mädchen müssen bestraft werden...."

Moon lässt seinen Kopf einmal im Kreis rotieren. „Endlich lerne ich dich auch einmal kennen. Ich bin Moon, und wir beide...werden jetzt eine menge Spaß zusammen haben..." Serrin ist soeben ein lauter Schrei entwichen. Sie hat keine Ahnung wie so etwas möglich ist. Doch nun weiß sie, vor was Sunny sie die ganze Zeit beschützen wollte.

Moondrop weiß was du in der Dunkelheit tust (Abgebrochen)Where stories live. Discover now