EPILOG: Panta Chorei, früher/später/jetzt

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Wynn Denholme umkreiste den Thron. Es half ihm beim Nachdenken; sorgte dafür, dass seine wirren Gedanken sich neu ordneten und in einen gleichmäßigeren Rhythmus fanden.

Durch das dachständige Opaion in der Kuppel fiel ein schmaler Lichtkegel auf die leere Steinauflage des Throns und ließ die eingelassene Metallfassung hinterlistig glimmen. Die winzigen Staubkörner, die in der Lichtsäule erfasst waren, verharrten fast bewegungslos auf der Stelle und sanken ab einer gewissen Tiefe in einer spiralförmigen Abwärtsbewegung gen Thron.

Wynns beinahe lautlose Schritte auf den schweren Steinplatten verklangen abrupt. Eine verärgerte Steilfalte machte sich auf seiner blassen Marmorstirn breit, während er den leerstehenden Herrscherstuhl mit neuem Verdruss fixierte.

»Ich weiß nicht, was du von mir willst«, sagte er schließlich mit hörbarer Verärgerung in der Stimme. »Du hast mich seinetwegen in die Existenz gerufen. Am Tag seiner Geburt bin ich in die Ebene getröpfelt und jetzt möchtest du mir weismachen, dass er überhaupt nicht der Auserwählte ist? Der König, den ich zu krönen bestimmt bin?«

Natürlicherweise erhielt er keine Ahnung, aber das schmälerte kaum das Bedürfnis, weiterhin seinem bislang zeugenlosen, nur mühsam beherrschten Wutanfall zu frönen.

»Es soll sein Onkel sein. Ein Mann, dem du nicht mal einen Königsmacher zugewiesen hast. Er hat gerade in der Starren Welt seine Farben bekannt. Ist das alles Teil deines Plans?«

Wynn setzte sich wieder in Bewegung, und begann, die endlosen Umkreisungen des Throns wieder aufzunehmen. Er rieb sich verärgert über den Nacken, während er zum Opaion aufblickte, durch das ein Teil des Himmels zu erkennen war.

»Und er ist vollkommen ungeeignet, wenn ich das anmerken darf. Atticus Vanguard, meine ich. Selbst der unsägliche Umbra-Sprössling zeigt mehr Leidenschaft für unsere Ebene als er. Das einzige, das er zu tun vermag, ist, mit Leidensmiene denjenigen Gesprächen zu lauschen, die in ihm Inbrunst inspirieren sollten, ihn mit dem Eifer einer Rebellion befeuern.«

Er schüttelte den Kopf, während er seine Hände auf der Rückenlehne des Throns abstützte und durch die Länge des Saals bis hin zur Replikation der derzeitigen Vanguard-Residenz blickte.

»Das geschieht, wenn wir sie in der Starren Welt aufwachsen lassen. Sie gewöhnen sich an die warmen, weichen Lügen und möchte sie am liebsten überhaupt nicht mehr loslassen. Atticus Vanguard hat sein Leben in Angst vor dem gelebt, wozu er fähig ist. Natürlich widerstrebt es ihm jetzt, die Krone zu akzeptieren, für die er geboren wurde. Falls sie denn nun noch seine ist.«

Wynn stöhnte frustriert auf, während er seine Finger über die Ornamente der Rückenlehne wandern ließ.

»Ich weiß nicht, was du von mir willst«, reiterierte er sein Ansuchen. »Bislang erschien mir der Schlachtplan glasklar. Es oblag mir, Atticus nach Panta Chorei zu bringen, wenn er selbst keine Bedürfnis zeigte, die Starre Welt aus einer inneren Überzeugung heraus als Farce zu enttarnen, und ihn hier mit denjenigen Männern bekannt machen, die seinem Vorvater treu ergeben waren. Soweit habe ich alles erfüllt, das von mir verlangt wurde. Aber Atticus Vanguard wehrt sich mit einer fieberhaften Vehemenz dagegen, zum Vergeltungsschlag gegen die Schattenebene auszuholen, die er als sein Gefängnis eigentlich verschreien sollte. Und nun zeigt sein eigener Onkel, den wir als zahnlos und mürbe bezeichnet haben, erstmals Ambitionen, nach der Krone zu greifen. Was soll ich tun? Mitten im Zug die Strategie ändern? Seinen Onkel krönen?«

Er löste seine Finger von dem Thron und begann ein erneutes Mal, ihn zu umkreisen. Wann immer er ihn sich in den vergangenen Jahren von jemanden besetzt vorgestellt hatte, war es Atticus gewesen, der ihn von dort mit lasziver Arroganz gemustert hatte.

Wir irren des NachtsWhere stories live. Discover now