KAPITEL 10: Ouroborus-Residenz, Connecticut, 31. Oktober 1997

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Das alte Schlangenhaus, wie die Vanguard'sche Residenz von den ältesten Einwohnern Meridens hinter vorgehaltener Hand noch immer genannt wurde, war an diesem Abend festlich erleuchtet.

Das große Tor, das den ausladenden Zufahrtsweg ein paar hundert Meter nach Straßenende von der Außenwelt abtrennte, stand weit offen und ein steter Strom aufgeregt tuschelnder Gäste tröpfelte unter dem Ouroboros-Emblem durch das schmiedeeiserne Gatter auf das ausladende Grundstück.

Das Haus saß wie ein majestätischer Drache auf dem Hügel; imposant, robust und unverrückbar, mit den erleuchteten Fenstern wie schillernde Schuppen, und dem verheißungsvollen Versprechen auf unermesslichen Reichtum zwischen den Klauen und unter seinem massiven Rumpf.

Notdürftig geparkte Autos flankierten beide Seiten des Zufahrtsweges bis hin zu der breiten Schotterfläche unmittelbar vor dem Anwesen – dort war der letzte verfügbare Parkplatz bereits vier Minuten nach neun Uhr, dem offiziellen Beginn der Feierlichkeiten, besetzt gewesen.

Der Andrang war bemerkenswert und überraschte absolut niemanden.

Die Gästeschar teilte sich in ihrer Teilnahmemotivation in drei verschiedene Gruppen: Die erste war schlichtweg dem Ruf einer Einladung zu einer Halloween-Feier gefolgt, entweder durch mündliche Überlieferung oder durch einen der Flyer, der in den vergangenen Tagen über den Campus geflattert war.

Die zweite Gruppe brannte darauf, die Hallen eines Erhabeneren zu betreten; sei dies nun ein Vanguard, ein Clinton oder selbst ein Bush. Die letztendliche Identität der Gastgeber war eigentlich irrelevant, nur geboren aus dem weltlichen Bedürfnis, zumindest einmal in seinem Leben auf die Party eines Multimilliardärs eingeladen gewesen zu sein.

Die dritte und letzte Gruppe war von der Unheimlichkeit der Nacht inspiriert – der Nacht vor Allerheiligen – und hatte aus intrinsischer Motivation heraus entschieden, sie am gespenstischsten Schauplatz zu verbringen, der ihnen in den Sinn schoss. Das verlassene Anwesen, in dem ein enigmatischer Junggeselle ganz alleine hauste und das einer alteingesessenen, obskuren Familiendynastie gehörte, schien dabei die beste Wahl darzustellen.

Die Gastgeber, Nicholas Vanguard und seine zwei nicht minder prestigereichen Mitverschwörerinnen erregten die Neugierde aller dieser Gruppen.

Es war wie immer Genevieve gewesen, die zuerst die Idee gehabt, dann die Überzeugungsarbeit geleistet und anschließend mühelos in die Rolle der Organisatorin gefunden hatte.

Nicholas hatte lediglich die harte Arbeit verrichtet, überzeugt zu werden. Charlie ging auf die Launen ihrer Schwester meistens mit resignierter Hilfsbereitschaft ein und so hatte sich das Komitee für die Planung der Feierlichkeiten sehr schnell aus mangelnden Alternativen und halbherziger Überzeugung herausgebildet.

Zu Beginn hatte Nicholas ein Veto dafür eingelegt, die Feierlichkeiten auf seinem Familiensitz zu veranstalten – nicht unbedingt, weil er die edlen Hallen vor randalierenden Partygehern bewahren wollte, sondern vielmehr aus dem gegenteiligen Grund.

Unglücklicherweise hatte er nicht ins Detail gehen können, was ein weiterer Grund war, wieso Genevieve seine Bedenken ohne Umschweife abgetan hatte.

Genevieve hatte ihn mehrere Wochen lang belagert und in die Enge getrieben, bis er schließlich widerwillig sein Einverständnis gegeben hatte. Sie hatte ihm mit einer stürmischen Umarmung gedankt, ehe sie davongeschwebt war, um beim örtlichen Cateringservice eine massive Bestellung aufzugeben.

»Sie gibt Geld aus als wäre es ihr eigenes«, hatte Charlie kopfschüttelnd gesagt, die mit Nicholas zurückgeblieben war. Er hatte keinen Widerspruch formulieren können.

Seit ihrem Tennisdoppel zu Beginn des Semesters hatte sich eine eigentümlich tiefe Freundschaft zwischen ihm und den Redmare-Schwestern herausgetan. Sie war mehr aus dem tiefen Bedürfnis, ja, der Notwendigkeit dessen entstanden, dass Nicholas sich geschworen hatte, Charlie besser kennenzulernen und ihre überbordende Schwester Genevieve war ein Kopplungsgeschäft gewesen, dass er schulterzuckend akzeptiert hatte.

Wir irren des NachtsWhere stories live. Discover now