Vorbei - Wir sind frei

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Ein Jahr ist vergangen, seit Dr. Hawkin von Able getötet wurde. Es ist Sommer. Tonio richtet sich auf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Du meine Güte, ich bin zu alt für diesen Job. Wie halten die Schafe das bloß aus?" Der alte Großvater stöhnt leise und ist mehr als nur froh, als endlich Feierabend ist „Dieser verdammte Schafhirte lässt sich aber ganz schön Zeit. Der soll sich mal beeilen." Tonio kehrt nach Hause zurück. Unten am Strand kann er Cain und Evelyn sehen. Die beiden schauen zusammen auf das Meer hinaus. Traurig wischt sich die Braunhaarige eine Träne weg. Tonio legt ihr eine Hand auf die Schulter und tröstet sie. „Ich vermisse sie auch, meine Kleine." Vor sieben Monaten ist Alica gestorben. Nach ihrem Tod haben sie die alte Dame verbrannt und ihre Asche im Meer verteilt. „Es tut noch weh, wenn ich an sie denke. Aber das ist eben einmal der Lauf des Lebens. Mir tut es trotzdem Leid, dass die beiden sich niemals kennenlernen werden." Evelyn streicht sich über ihren Bauch. Noch drei Wochen, dann wird sie ihr zweites Kind zur Welt bringen. Cain legt einen Arm um sie. „Ich bin mir sicher, dass sie unser Kleines sehr gemocht hätte. Immerhin ist ihr Alvaro sehr ans Herz gewachsen."

Der inzwischen dreijährige Junge hat nicht richtig verstanden, wieso seine Urgroßmutter auf einmal nicht mehr da ist. Wegen seiner Entwicklung haben sich seine Eltern ein zweites Kind gewünscht. Maya jault einmal kurz auf und erinnert ihre Familie daran, dass Fütterungszeit ist. Der treue Hund hat sich glücklicherweise von dem Schlag auf die Schnauze wieder erholt. „Du hast unsere Chefin gehört, lasst uns wieder ins Haus gehen." Quentin hat schon den Tisch gedeckt. In ein paar Minuten ist das Essen fertig. „Setzt euch schon mal, ich gehe nochmal schnell nach oben." Die werdende Mutter quält sich die Treppe hoch. Zielstrebig öffnet sie die Tür zu einem der Schlafzimmer, das chaotischer nicht sein könnte. Evelyn lächelt und legt ihre Hand sanft auf einem Steinsarg ab. „Hallo, du alte Schlafmütze. Wie lange willst du denn noch faulenzen? Wenn du dir weiter so viel Zeit lässt, dann wirst du demnächst den Pizza-Abend verpassen." Sie lacht einmal leise. „Es hat mich gerade getreten. Außerdem tut es mir Leid, dass ich dich die Klippe runter geschubst habe. Deine Schafe vermissen dich, also beeil dich bitte ein wenig, okay?" Niemand kann sich erklären woher das Grab von Able plötzlich gekommen ist. Von einem Tag auf dem anderen ist es einfach hier aufgetaucht. Evelyn hat ein extrem schlechtes Gewissen, da Able in dem stürmischen Meer ertrunken ist. Schließlich kehrt sie wieder nach unten zurück, um zusammen mit ihrer Familie zu essen.

Es ist still geworden, nachdem Dr. Hawkin mit seiner Gruppe ausgelöscht worden ist. Auch wenn Cain nicht in die Zukunft sehen kann weiß er dennoch, dass alles vorbei ist. Sie sind frei und können endlich ihr wohlverdientes Leben genießen. Zwei Tage später hat Evelyn einen Brief bekommen. „Liebling, schau dir das an. Andrew hat uns geschrieben." Sie öffnet den Umschlag und nimmt das Papier heraus. Ein Foto liegt auch dabei, wo ihn zusammen mit einer Frau zeigt. Cain pfeift einmal überrascht. „Na sieh mal einer an. Mein alter Freund hat geheiratet und hat einen Job als Architekt angenommen. Wenn wir irgendwann mal anbauen müssen wissen wir ja jetzt wen man anrufen kann." Evelyn schüttelt den Kopf. „Du bist unmöglich, Cain, weißt du das eigentlich?"

„Genau deswegen liebst du mich doch so." Damit hat er nicht einmal Unrecht, denn sie liebt ihn mit all seinen Macken die er nun einmal an sich hat. Am kommenden Nachmittag wollte sich Evelyn einfach etwas Ruhe gönnen. Daher ist sie doch sehr erstaunt, als es an der Tür klingelt. „Cain, erwartest du Besuch?"
„Nein, ich habe niemanden eingeladen." Neugierig öffnet sie die Tür und wird dann sehr überrascht. „Susanne! Thomas!"
„Hallo, Evelyn. Wir waren gerade in der Gegend und haben gedacht wir schauen mal vorbei." Sie freut sich über den Überraschungsbesuch der beiden. „Schön euch zu sehen, kommt doch herein." Das junge Ehepaar nimmt die Einladung gerne an. Thomas stellt seinen Korb auf dem Tisch ab. „Lange nicht mehr gesehen, Cain. Du siehst gut aus. Ich hab ne kleine Überraschung für euch. Wir haben endlich eine Pflanze gefunden, der die salzige Meeresluft nichts ausmacht." Sofort steht dem Schwarzhaarigen wieder der Schweiß auf der Stirn. „Thomas, ich denke du solltest besser nicht..." Doch da zieht er schon das Tuch ab und holt das Schmuckstück hervor. „Da staunst du, was?" Cain und Evelyn starren die farbenfrohe Schönheit gleichermaßen an. „...Aber das kann ist doch unmöglich...wieso ist sie nicht tot?" Susanne erhebt eine Augenbraue. „Evelyn, geht es dir gut? Bekommt dir die Schwangerschaft vielleicht nicht?"

„Nein, Susanne, das ist es nicht..." Cain kann nicht aufhören die lebendige Pflanze anzustarren. „Unmöglich...einfach unmöglich..." Nun traut er sich diese zu berühren. Sie fühlt sich zart und sehr weich an. „...Alter, ist das krass..." Evelyn entscheidet sich dazu die Wahrheit weiterhin zu verschweigen. Die beiden bleiben noch auf einen Kaffee und gehen dann wieder. Völlig fasziniert legt Evelyn den Kopf schief. „Das ist wirklich äußerst eigenartig..." Cain muss unbedingt austesten, ob das einfach nur Zufall ist, oder ob alle Pflanzen davon betroffen sind. Er berührt Äpfel, Kartoffeln und Tomaten. Nichts reagiert darauf. Behutsam nimmt er eine der rot leuchtenden Früchte und beißt hinein. Cain verzieht das Gesicht, da er vom sauren Geschmack des Apfels überrascht wird. „...Oh mein Gott...", sagt er. „Alvaro! Alvaro, komm mal her." Sein kleiner Sohn watschelt langsam die Treppe herunter. „Ja, Papa?" Er lässt ihn die Pflanze anfassen. Nichts passiert. „...Tatsache...der Flucht...ist weg..." Beide können nicht glauben, dass Cain endlich erlöst wurde. Somit scheint auch der Fluch von seinem Kind genommen zu sein. „Ich habe eine Theorie", beginnt Evelyn. „...Kann es vielleicht sein, nachdem du den Streit mit deinem Bruder beendet hast, dass auch dein Fluch gebrochen wurde?" So unsinnig diese Idee auch klingen mag, doch ist es nicht unmöglich.

„Das könnte tatsächlich so sein. Doch bedeutet das nicht auch...?" Die zwei tauschen einen Blick miteinander. „Nein..." Sie stürmen zusammen die Treppe nach oben, wobei Evelyn etwas länger braucht. Cain beginnt mit roher Gewalt die Eisenketten zu lösen, die den Steinsarg seines Bruders verschlossen halten. Er braucht die Unterstützung von Quentin, damit er den schweren Deckel öffnen kann. Seine blauen Augen werden trüb, denn der Sarg ist leer. Evelyn hält sich betrübt die Hand an den Mund. „...Deswegen hat es solange gedauert...auch sein Fluch muss sich gelöst haben..." Cain kommen die Tränen. „...Er ist also endgültig tot...ich werde meinen Bruder nie wieder sehen..." Quentin legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Tut mir Leid, dass es so geendet ist." Evelyn fühlt sich in der Hinsicht noch schlechter, denn sie hat ihn umgebracht. Auch wenn es ein dummer Unfall gewesen ist fühlt sie sich wie eine Mörderin. „Schon okay, Quentin...ich wünschte einfach nur, dass ich mal richtig mit ihm geredet hätte. Dafür ist es nun zu spät." Morgen wird er unten am Strand für seinen toten Bruder ein symbolisches Grab errichten. Evelyn seufzt einmal schwer. „...Wollen wir den Pizza-Abend auf heute vorverlegen? Es tut zwar weh, dass Able nicht dabei sein kann, doch das dein Fluch verschwunden ist sollte schon gefeiert werden. Trotzdem tut es mir sehr Leid, wie alles mit Able geendet ist."
„Was tut dir Leid? Das du mich die Klippe runter geschubst hast, oder das du mich um den Pizza-Abend betrügen wolltest?"

Cain wirbelt herum und schaut seinem quicklebendigen Bruder in seine grauen Augen. „...Able...!" Er denkt nicht darüber nach, sondern fällt ihm um den Hals. „...Ich dachte ich würde dich nie wieder sehen..." Evelyn hält sich überrascht die Hand vor den Mund. „Ach du meine Güte...aber wie?" Verwirrt sieht sie zu dem leeren Sarg. „Geh weg von mir!", faucht Able und versucht Cain von sich zu drücken. „Kann man nicht einmal in Ruhe auf's Klo gehen ohne das ihr alle durchdreht?" Sofort schaut er seinen jüngeren Bruder perplex an. „Du bist auf dem Klo gewesen?" Able stöhnt einmal leise. „Du bist echt anstrengend, weißt du das eigentlich?" Er richtet seine Aufmerksamkeit nun auf Evelyn. „Also? Wo ist denn nun der versprochene Pizza-Abend?" Sie schüttelt den Kopf. Jeder in dieser bunten Familie weiß inzwischen, dass Pizza sein Lieblingsessen ist und das Able dafür einen Mord begehen würde. „Ich geh dann mal den Pizzateig kneten." Cain kann ihr das erste mal im Leben richtig dabei helfen. Es fühlt sich seltsam an, den klebrigen Teig zwischen den mechanischen Fingern zu spüren. „Seltsam, wieso war der Sarg fest verschlossen? Able muss schon länger wach sein. Und so wie es aussieht scheine nur ich betroffen zu sein. Zumindest was den Fluch angeht." Evelyn tritt ihm gegen das Schienbein und bereut es im nächsten Moment auch schon. „Aua...das funktioniert also noch..."

„Bitte mach das nicht mehr...du tust dir nur selbst weh." Fragen über Fragen und niemand kann sie beantworten. Was im Endeffekt das Geheimnis von Cain's geheimnisvoller Anomalie war, wird man wohl nie erfahren. Das einzige was zählt ist, dass sie endlich in Ruhe und in Freiheit leben können. Etwas anderes hat sich der Schwarzhaarige niemals gewünscht.

Ein paar Stunden später hat Evelyn ihr Wort gehalten. „Ja, es ist definitiv der echte Able", lacht sie. Einmal im Monat veranstalten sie einen Pizza-Abend und der Schafhirte stopft sich seine so gierig rein, dass sie ihm beinahe im Hals stecken bleibt. „Mein Gott, jetzt schling doch nicht so", schimpft Evelyn ihn aus. Vergebene Liebesmüh. Im Gegenteil – Able reißt sämtliche Reste an sich und schlägt sich ordentlich den Bauch voll. Schließlich ist sein Magen dem bersten nahe. Trotzdem ist Cain einfach nur froh, dass sein Bruder am Leben ist. Spät am Abend hat sich Able in sein chaotisches Zimmer zurückgezogen. Morgen in der Früh haut er wieder ab und geht zum Schafe hüten. „Was willst du?" Cain hat sich auf sein Bett gesetzt. „Ich wollte mich mit dir unterhalten."
„Und über was?"
„Egal, Hauptsache wir reden miteinander." Able stöhnt einmal und rutscht etwas zur Seite, sodass sich Cain zu ihm legen kann. Obwohl er keine Lust darauf hat, reden die beiden Brüder sehr lange miteinander. Schließlich lässt er Able in Ruhe, da er eingeschlafen ist. Cain lächelt. „Schlaf gut...kleiner Bruder..." Auch wenn die beiden heute noch kein gutes Verhältnis zueinander haben. Zumindest hassen sie sich nicht mehr. Der ältere Bruder wurde von seiner Anomalie erlöst und der jüngere Bruder hat nicht mehr den Drang alles und jeden töten zu wollen. Cain hat für seine Freiheit gekämpft. Und am Ende ist er für seine Hartnäckigkeit belohnt worden.

Knapp drei Wochen später hat Evelyn ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Nach einer anstrengend Geburt, hält sie einen gesunden Jungen im Arm. Alvaro betrachtet seinen neuen Bruder neugierig und darf ihm liebevoll über das winzige Köpfchen streicheln. Alle betrachten das neue Leben liebevoll. Lediglich der mürrische Able hat kein Interesse daran, seinen Neffen kennenzulernen. Er wurde von Tonio regelrecht dazu genötigt, sich das unschuldige Kind zumindest einmal anzusehen. „Also...", fängt Cain dann an. „Nun haben wir wieder das gleiche Problem wie bei unserem ersten Sohn. Wie sollen wir ihn nennen?" Evelyn lächelt und betrachtet ihr Neugeborenes liebevoll. „...Ehrlich gesagt, habe ich da schon eine Idee. Wir sollten ihn nach einem wahren Helden benennen."
„...Nach einem wahren Helden?"
„...Ja...." Sie lächelt. „...Lass ihn uns Abel nennen."
Cain wirkt überrascht und sieht zu seinem Bruder herüber, der keine Miene verzieht. Oder war das eben ein kleines Lächeln, wo ihm über das Gesicht gehuscht ist? Der frisch gebackene zweifach-Papa lächelt einmal glücklich. „...Abel...so soll er heißen..." Sie haben ihren zweiten Sohn nach seinem Onkel benannt. Als liebevolle Erinnerung an die ungewollte Tat eines wahren Helden. Immerhin hat Cain es seinem Bruder zu verdanken, dass er heute in Freiheit leben kann. So vergeht die Zeit und sie haben nie wieder etwas von den Wissenschaftlern gehört.

...Zehn Jahre später...

Ein Schaf blökt erschrocken auf, als ein energiegeladener Junge über das Tier hinwegspringt. Er legt einen gewaltigen Sprint hin und stürmt direkt auf den Schäfer zu. „Onkel Able!" Der eben Angesprochene öffnet ein Auge und gähnt einmal. „Abel, was willst du?" Der freche Bengel springt auf ihn drauf und knuddelt sich an ihn. „Mama hat ne Überraschung für dich!"
„Oh Gott, nicht schon wieder..."
„Onkel, erzähl mir die Geschichte, wie du Papa den Hintern gerettet hast."
„Was denn, schon wieder?"
„Bitte, nur noch einmal..."
„Das hast du letzte Woche auch schon gesagt."
„Ach bitte, diesmal ist es wirklich das letzte mal."
Able stöhnt einmal. „Na schön, du gibst vorher ja eh keine Ruhe." Also erzählt er seinem Neffen auf dem Weg nach Hause die Geschichte zum hundertsten mal. Und jedes mal ist sie ein klein wenig anders. „Papa, wir sind wieder da!"
„Ah, da seid ihr ja." Cain hebt die Hand und grüßt seinen Bruder. Able bekommt eine Wutader, als er die 'Überraschung' sieht. „Was zur Hölle machst DU denn hier?!?"

Andrew lacht einmal nervös. „Naja, weil Evelyn mich um einen Anbau gebeten hat."
„Um einen Anbau? Wieso das denn?" Die Braunhaarige schmunzelt einmal. „Nun, weil...darum..." Sie drückt ihm ein Ultraschallbild in die Hand. „Weil du noch einmal Onkel wirst." Able verzieht das Gesicht und sieht nicht besonders glücklich aus. „Hey...das Baby hat ja zwei Köpfe...und vier Arme und vier Beine..." Er dreht und wendet es. „Stell dir vor, es sind Zwillinge!" Able fällt die Kinnlade runter. „Nein! Nein! Neiiiiin! Das mach ich nicht mit!" Er reißt die Terrassentür auf. „Leckt mich doch alle", schreit er und stürzt sich danach mit dem Kopf voraus die Klippe runter. Cain lacht einmal. „Ich wusste, dass er so reagieren wird." Er wuschelt seinen Söhnen durch die Haare. „Keine Sorge, er wird es überleben." Egal wie oft es Able auch versucht hat. Nach seinem Tod taucht er wenige Tage später wieder in seinem Steinsarg auf. So ist es auch dieses mal. Seine Anomalie ist von einem Segen zu einem Fluch geworden. Auch wenn es Able niemals zugeben würde: Er liebt seine neue Familie. Egal wie sehr er es auch abstreitet. Doch von einer Sache ist das einst hasserfüllte Monster überzeugt. Er weiß, dass diese Kinder eine strahlende Zukunft vor sich haben. Drei Tage später steht Able wieder auf der Matte. Er klopft Cain liebevoll auf die Schulter. „Wenn du ihr danach nochmal einen Braten in die Röhre schiebst, töte ich dich..." Cain schmunzelt. „Ich weiß, Bruder...ich weiß..." Am Ende wissen beide, dass das nicht möglich ist. Denn sämtlichen Schaden zu reflektieren ist Cain geblieben. Able weiß, was davon abhängt. Und jeder der es wagen sollte seiner Familie etwas zu Leide zu tun, der wird von ihm persönlich in die Hölle geschickt werden.

Ende...


Die verbotene Liebe zweier HerzenWhere stories live. Discover now