Bunte Bilderbücher

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Es sind vier Wochen vergangen. Wochen, in denen sich Cain und Evelyn regelmäßig getroffen haben. Nur an manchen Tagen mussten sie ihre geheimen Gespräche unterlassen, um ihr gemeinsames Geheimnis zu bewahren. Je mehr Zeit vergangen ist, umso näher sind sich die beiden gekommen. Mit einem glücklichen Gesichtsausdruck ist Cain gerade dabei ein Stück von dem pflanzenfreien Käsekuchen zu verspeisen. Evelyn hat Wort gehalten und hat ihm jeden Sonntag ein Stück davon mitgebracht. „Ich habe das Gefühl, dass er von mal zu mal immer besser wird." Zufrieden stellt er den leeren Teller neben sich hin. Natürlich haben sich ihre Arbeitskollegen darüber gewundert warum sie sooft einen Käsekuchen backt, doch Evelyn hat darauf nur gemeint, dass sie diesen Kuchen besonders gerne mag und einfach gern Gebäck in ihrer Freizeit herstellt. Glücklicherweise hat man ihr diese Ausrede abgekauft , denn bis jetzt ist man den beiden noch nicht auf die Spur gekommen. Cain hat früher schon sehr viel Zeit im künstlichen Tropenhaus verbracht, daher ist dieses Verhalten von ihm nichts ungewöhnliches. Er weiß, dass er durch seinen Ortungsring am Hals ständig überwacht wird, doch seine Wacheinheiten finden nichts verdächtiges daran. „Also, du hast gesagt, dass du mir gern etwas zeigen möchtest." Sie lächelt ihn an, während sein Blick auf den Gegenstand fällt, der in einem schwarzen Seidentuch eingewickelt ist. „Ich denke, es wird dir gefallen. Allerdings muss ich dich bitten es nicht anzufassen." Cain verspricht es ihr. Also muss es etwas sein, was aus einer Pflanze angefertigt wurde.

Evelyn nimmt ihren Schatz nun in die Hände und beginnt damit das Tuch zu entfernen. „Ein...Buch...?" Er ist erstaunt ein scheinbar gewöhnliches Buch zu sehen. „Nicht ganz. Das ist ein Fotoalbum." Anhand seiner Reaktion muss sie ihm erst einmal erklären was ein Lichtbild eigentlich ist. „Verstehe...das sind also Momentaufnahmen." Evelyn wirft ihm einen warmen Blick zu, bevor sie dann das bunte Bilderbuch öffnet. „Es war nicht einfach gewesen das Album unbemerkt hierher zu bringen. Ich denke du weißt, dass manche meiner Kollegen dumme Fragen stellen würden." Cain antwortet nicht, sondern schaut sich die Bilder an, die man ihm zeigt. Er kann seinen eigenen Augen nicht trauen. „...Wow...", sagt er total überwältigt. Jedes einzelne Bild wird genau betrachtet, während sie ihm erklärt was darauf zu sehen ist. „...Und was ist das...?" Er deutet auf ein Foto, auf dem sehr viel Wasser zu sehen ist. „Das...ist der Ozean..." Cain klappt die Kinnlade herunter. „Der Ozean...", wiederholt er. „Der ist ja riesig – nein gigantisch!" Evelyn muss lachen. „Findest du? Dabei ist das nur ein sehr kleiner Teil davon. In Wirklichkeit ist das Meer viel, viel größer. Doch wie groß es insgesamt ist kann nicht einmal ich dir sagen." Absolut überwältigt davon wie groß und vielseitig die Welt da draußen doch ist versteht Cain einfach nicht, warum man ihn um jeden Preis hier festhalten will. Er kann nicht in Worte fassen wie dankbar er Evelyn ist, dass sie ihm all diese wunderbaren Dinge gezeigt hat. Wenn das Personal davon erfahren würde, hätten sie alle beide ein richtig dickes Problem.

Genau aus diesem Grund müssen sie immer extrem vorsichtig sein, wenn sie sich verbotenerweise treffen. Einmal kam ganz unerwartet ein Klasse-D Mitarbeiter ins Tropenhaus. Glücklicherweise hat es Evelyn noch rechtzeitig geschafft sich in den Kunstpflanzen zu verstecken und somit nicht gesehen zu werden. Seit diesem Vorfall nimmt Cain immer eines seiner Bücher mit, sodass er jederzeit eine Ausrede hat und sie sich schnell verstecken kann. Dieses lächerliche Verbot, dass sie nicht miteinander reden dürfen. Es ist ihm egal. Es ist beiden egal. An diesem Abend hat er viele, unterschiedliche Dinge gesehen. Sümpfe. Berge. Ozean. Canyon. Das hat er alles noch nie gesehen. „Ich beneide dich darum, dass du das alles schon gesehen hast. Irgendwie wünsche ich mir das auch alles sehen zu können." Die Braunhaarige klappt das Fotobuch wieder zu und wickelt es wieder in das Seidentuch ein. „Wer weiß. Was noch nicht ist kann ja noch werden." Sie schaut einmal auf die Uhr, sie haben noch etwas Zeit. Cain gibt ihr den Teller zurück. „Danke, dass du mir immer welchen mitbringst. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen." Sie nimmt ihm das Porzellangeschirr wieder ab. „Kein Problem, ich mach das wirklich gerne für dich." Plötzlich schmunzelt sie einmal. „So ganz nebenbei bemerkt: Wieso trägst du eigentlich ständig Handschuhe? Verheimlichst du mir etwas?" Cain runzelt die Stirn. „Was? Nein, tu ich nicht." Sie fängt an zu kichern. „Na wenn du nichts zu verbergen hast, kannst du sie ja mal ausziehen."

Er wird ein bisschen blass um die Nase herum. „Hää!? Kommt auf keinen Fall in Frage! Du musst mich nicht ohne Handschuhe sehen." Sie grinst ihn breit an. „Also hast du doch was zu verbergen. Jetzt will ich es umso mehr sehen." Sie fängt spielerisch damit an nach seinem Handschuh zu schnappen. „Niemals! Hör sofort auf damit." Er weicht ihren Angriffen geschickt aus, doch als er aufstehen will, setzt sie sich falsch herum auf seinen Schoß und hindert ihn somit an der Flucht. Sofort schießt ihm das Blut in den Kopf, was sein Gesicht stark erröten lässt. „Evelyn, bitte! Du musst das wirklich nicht sehen", jault er leise. „Wieso denn, so schlimm kann es gar nicht sein." Sie fischt erneut nach seinem Handschuh, verliert dann aber das Gleichgewicht und wäre heruntergefallen, wenn Cain sie nicht aufgefangen hätte. „Wow...alles okay?" Sie ist nochmal mit einem Schrecken davongekommen. „Ja, mir geht es gut. Danke." Sie lächelt ihn an und bekommt dann in einem Moment der Unaufmerksamkeit seinen Handschuh zu fassen. „Erwischt!" Sie lacht einmal triumphierend. „Na dann wollen wir das Geheimnis mal lüften." Cain will seine Hand augenblicklich hinter seinen Rücken verstecken, doch Evelyn hält ihn am Handgelenk fest und schaut sich seine nun freigelegte Hand an und sie ist absolut perplex darüber, was sie da zu sehen bekommt. „Was...ist das denn...?" Cain weicht ihrem Blick aus. Es ist ihm schrecklich peinlich, dass sie es herausgefunden hat. Anstatt seine braune Haut dort vorzufinden, blickt sie auf eine schwarz-silberne mechanische Hand, die mit leuchtend blauen Linien durchzogen ist. „...Das...kommt tatsächlich unerwartet..." Nun zieht sich Cain freiwillig den anderen Handschuh noch ab und auch hier ist das gleiche Phänomen vorhanden. Evelyn traut sich einmal seine ungewöhnliche Hand zu berühren. „Fühlt sich...wie Metall an..."

Noch immer weicht der Schwarzhaarige ihrem Blick aus, zwingt sich aber dazu sie anzusehen. „...Hasst du mich jetzt?" Sie schüttelt mit einem wärmenden Gesichtsausdruck den Kopf. „Nein, bitte denk doch nicht an so etwas furchtbares." Dennoch hat sie die Neugier gepackt. Sie muss es einfach wissen, also beginnt sie damit sein Hemd aufzuknöpfen. Cain erlaubt es ihr und lässt sich kurz darauf das weiße Kleidungsstück vom Oberkörper streifen. „...Wow...das ist ja toll..." Sie streicht ihm einmal über die Arme, die ebenfalls aus demselben Metall bestehen. „Und deswegen machst du so einen Aufstand?" Sie streichelt ihm sanft die Arme auf und ab. „Naja...ich bin davon ausgegangen, dass du es abstoßend findest."
„Du hast doch einen an der Waffel, Cain. Deine Prothesen gehören zu dir, wie alles andere auch." Ihre weiche Hand wandert in seinen Nacken. Dort kann sie auch etwas eigenartiges spüren, also beugt sie sich nach vorne und schaut nach. Evelyn sieht, dass nicht nur seine Arme, sondern auch seine Schulterblätter und sogar die äußere, sichtbare Wirbelsäule von diesem eigenartigen Metall überzogen sind. „...Und meine Beine sehen genauso aus." Cain hofft insgeheim, dass sie jetzt nicht von ihm verlangt sich die Hose auszuziehen. Sonst würde er komplett in Scham versinken. Es hat ihm schon sehr viel Überwindung gekostet ihr seinen nackten Oberkörper zu zeigen. Doch keine seiner Befürchtungen tritt ein. „Hast du die schon lange?"
„...Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht daran, geschweige denn wie ich sie überhaupt erhalten habe." Evelyn ist durchaus bekannt, dass er die Eigenschaft besitzt sämtlichen Schaden auf seinen Angreifer zu legen. Sie hat das sogar einmal ausprobiert und hat sich gewundert, da sie ihre eigene Schelle gespürt hat.

Evelyn beginnt wieder damit seine Arme zu streicheln. „...Spürst du das?" Cain erschaudert. „Ja, das tue ich..." Sein Körper reagiert auf ihre Liebkosungen. Seine kleinen Körperhärchen stellen sich auf und er bekommt eine Gänsehaut. „Bitte mach weiter...das fühlt sich so gut an..." Evelyn lächelt und erfüllt ihm seinen Wunsch. In seinem tristen und trostlosen Alltag, hat man ihm nie so ein gutes Gefühl bereitet. Wenn er durch seine Prothesen ihre Berührungen so intensiv wahrnehmen kann, dann scheinen sie tiefer mit seinem Körper verbunden zu sein als ursprünglich angenommen. „Das scheint dir ja wirklich zu gefallen, dann kann ich das gerne öfters machen." Sie legt ihre Hände nun auf seinen metallischen Schultern ab. Schließlich legt sie ihre Stirn an seine. „Mach dir keine Sorgen, ich finde es wirklich nicht schlimm." Das scheint Cain wirklich sehr zu beruhigen. Im Moment will er einfach nur ihre Nähe genießen. Er schließt die Augen und lässt nochmal die bunten Lichtbilder vor seinem inneren Auge erscheinen. Plötzlich kann er ganz zärtlich ihre Nasenspitze an der eigenen fühlen. Sie können gegenseitig den warmen Atem des jeweils anderen spüren. Zu spät bemerkt sein Gehirn, was eigentlich gerade passiert. Sein Herz dafür umso mehr. Es fängt an laut gegen seine Brust zu schlagen, denn Evelyn zögert nicht mehr. Sie drückt ihre weichen Lippen auf seine eigenen und küsst ihn sanft. Cain erwidert es. Ein elektrischer Schlag jagt durch ihn hindurch. Beinahe besitzergreifend, schlingt er seine Arme um sie und drückt sie an sich.

Er kann einfach nicht anders. Soeben hat sein rationaler Denkapparat ausgesetzt. Mit großem Wohlwollen, führt er den Kuss sanft fort. Beide konnten dem Verlangen nicht mehr länger widerstehen. Evelyn muss zugeben, dass sie in Cain doch mehr sieht als nur einen netten Gesprächspartner und ihm scheint es da nicht anders zu gehen. Schließlich löst sie sich wieder von ihm, bevor sie ihren Kopf mit geröteten Wangen auf seiner Schulter ablegt. „Tschuldige...", sagt sie dann doch mit einem etwas schlechten Gewissen. Cain drückt sie etwas fester an sich. „...Also mir tut es überhaupt nicht Leid", sagt er und gibt ihr zu verstehen, dass es ihm sehr gefallen hat. Evelyn fallen langsam die Augen zu. Was ihr Herz zu sagen hat ist eindeutig. Sie war verliebt. Doch sie weiß genauso gut wie er, dass es eine verbotene Liebschaft ist. „Schon komisch, was in ein paar Wochen alles passieren kann." Sie hebt den Kopf wieder und sieht ihn an. Plötzlich ist ihr lächelnder Gesichtsausdruck verschwunden. „Es tut mir Leid, dass ich es dir erst jetzt sage, aber das war vorübergehend unser letztes Treffen gewesen." Evelyn kann richtig sehen, wie sich ein schwarzer Schatten über seine Augen legt. „Was...?" War dieser eine Kuss für sie etwa so schlimm gewesen? „...Warum...?" Cain versteht das einfach nicht. Sie beginnt sanft damit über seine Wange zu streicheln. „Ich habe Urlaub und muss morgen in der Früh nach Hause. Du glaubst gar nicht wie gern ich hier bleiben würde, aber da lässt mein Chef nicht mit sich reden." Cain fällt ein Stein von seinem Herzen. Er hatte schon Angst, dass es an ihm liegt. „Achso...", sagt er dennoch mit enttäuschter Stimmlage. „Wie lange?"

„Zwei Wochen. Du musst wissen, dass ich schon länger hier arbeite, ich wurde lediglich nur in diesen Sektor versetzt." Das würde den Urlaub erklären. „Ich weiß nicht, ob ich zwei Wochen ohne dich aushalte. Immerhin habe ich mich schon daran gewöhnt jeden Abend mit dir zu verbringen." Evelyn ist ebenfalls nicht besonders glücklich darüber. „Dir wird nichts anderes übrig bleiben. Jedenfalls rate ich dir dazu dein jetziges Verhalten beizubehalten und weiterhin jeden Abend hierher zu kommen. Nicht, dass man doch noch Verdacht schöpft." Auf die Idee ist Cain auch schon gekommen. „Ich werde versuchen mich gut zu benehmen." Glücklich darüber streichelt sie ihm durch sein rabenschwarzes Haar. Evelyn entdeckt, dass er etwas unter seiner dichten Mähne versteckt hält. Auf seiner Stirn ist eine blau schimmernde Rune eingraviert. Cain hat ein persönliches Problem mit seinem Schönheitsfleck und befürchtet, dass Evelyn ihn danach fragen wird. Doch stattdessen lächelt sie einfach nur und gibt ihm noch einen Kuss. „Wir sollten auf unsere Zimmer zurück. Du wirst mir wirklich fehlen, Cain. Allerdings werde ich dir wieder ein paar schöne Sachen von draußen mitbringen." Sie zwinkert ihm zu und geht nun von seinem Schoß herunter. In aller Ruhe zieht er sich wieder an und knöpft sein Hemd wieder zu. Am liebsten würde er Evelyn nach Hause folgen. Doch er hat schon einmal einen gescheiterten Fluchtversuch hinter sich. Cain weiß also aus eigener Erfahrung, dass diese Anlage so sicher ist, dass nicht einmal eine Schlange unbemerkt hinaus kommen würde. Und dazu kommt noch der verdammte Peilsender, den er nicht los wird. Cain hat schon einmal versucht ihn mit einer Nagelfeile loszuwerden. Doch auch dieser Versuch ist erfolglos geblieben. „Also dann...ich wünsche dir dennoch einen schönen Urlaub." Der Schwarzhaarige lächelt sie einmal gezwungen an. Dann wendet er sich ab und geht auf sein Zimmer zurück.

Die verbotene Liebe zweier HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt