Freiheit - Süße Freiheit

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Leises Meeresrauschen. Sanftes Vogelgezwitscher. Die Dunkelheit legt sich. Cain stöhnt einmal ganz leise. Langsam kehrt sein Bewusstsein wieder zurück und bemerkt, dass sein Kopf in einer leicht aufrechten Position liegt. Ein salziger und frischer Geruch macht sich in seiner Nase breit. Von dieser ungewohnten frischen Luft bekommt er Kopfschmerzen. Eine weiche Hand streicht ihm zärtlich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. „...Wie schön, du bist wieder aufgewacht." Cain öffnet nun die Augen und kann in die vertrauten, grünen Augen von Evelyn blicken. Da bemerkt er nun auch, dass sein Kopf in ihrem Schoß liegt. „Hey..." Er lächelt sie an. „...Was...ist denn passiert...?"
„So genau weiß ich das auch nicht. Wir sind zusammen von der Klippe gesprungen. Eigentlich war ich in diesem Moment wirklich bereit mit dir zu sterben, aber das Meer scheint uns bis hierher getragen zu haben und hat uns dann ausgespuckt." Cain reißt die Augen weit auf. „Das Meer...?" Langsam setzt er sich auf. Er blinzelt und glaubt nicht was er sieht. „Träume ich...?" Eine schier endlose Wassermasse erstreckt sich vor ihm. Immer wieder rauscht es ans Land und spült dabei Muscheln, kleine Krebse und andere Dinge an. Beinahe wie von selbst, krallt er sich in den weichen Untergrund. Er nimmt etwas davon in die Hand und lässt es wieder nach unten rieseln. „Sand..." Er erinnert sich daran, dass Evelyn ihm das einmal gezeigt hat.

Plötzlich durchreißt ihn eine schreckliche Erinnerung. Er starrt sie geschockt an. „Das Baby...! Geht es ihm gut?" Sie lächelt sanft und legt ihre Hand auf ihrem Bauch ab. „Es scheint ihm gut zu gehen. Zumindest verspüre ich keine Schmerzen oder etwas anderes Ungewöhnliches. Vielleicht war es der Wille des Meeres und es will, dass wir leben." Cain fällt ein riesengroßer Stein vom Herzen. Er atmet einmal erleichtert auf. „So ein Glück...das ist gut..." Im nächsten Moment fängt er an hysterisch zu lachen und gleichzeitig zu weinen. „Ich bin frei...", heult er leise. „Ich bin frei! Frei! Frei! Frei!" Er wirft sich mit dem Gesicht voraus in den Sand und wälzt sich darin wie ein kleines Kind herum. Als nächstes reißt er sich die Kleider vom Körper und stürmt kniehoch ins Meerwasser hinein. Eine herannahende Welle hätte ihn fast umgeworfen. „Das ist ja der absolute Wahnsinn!" Er steckt sich die Finger in den Mund, um sofort darauf das Gesicht angewidert zu verziehen. „Das schmeckt so ekelhaft! Und trotzdem bin ich in meinem ganzen Leben noch nie glücklicher gewesen." Evelyn lacht über sein kindisches Verhalten, doch sie kann es ihm auch nicht verübeln. Wenn man sein ganzes Leben lang nur in Isolation und Einsamkeit gelebt hat, dann ist solch ein Benehmen eine ganz normale Reaktion. Sie kommt nun zu ihm und nimmt seine Hand. Der orangefarbene Overall saugt sich mit Meerwasser voll. Cain streicht zart über ihre Finger und schaut sie zärtlich dabei an. „Eine wirklich interessante Erfindung von einem Kinderbuchautor, nicht wahr?" Evelyn fängt an zu grinsen. „Ja, eine wirklich interessante sogar." Zusammen schauen sie sich für einen langen Moment die Möwen am Himmel an.

Cain bewundert die schwebenden Schönheiten. „...Was sind das...?" So etwas hat er noch nie gesehen. „Das sind Vögel", antwortet sie. „Vögel...", wiederholt er das Wort. Der Schwarzhaarige könnte diesen majestätischen Kreaturen ewig zusehen. „Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Lass uns besser von hier verschwinden. Immerhin kann es sein, dass die Forscher noch immer nach uns suchen." Cain stimmt ihr sofort zu. Er muss sie und sein ungeborenes Kind beschützen. Er sammelt seine verstreuten Kleider ein und zieht sie wieder an, bevor sie den Strand entlang laufen und nach einem Unterschlupf suchen. „Es mag zwar eine sehr dumme Idee sein, doch ich muss dringend nach Hause. Natürlich kann ich dort nicht mehr bleiben, allerdings muss ich unbedingt noch ein paar Sachen holen. Die werden dort als erstes nach mir suchen."
„Ich begleite dich", sagt er. „Etwas anderes habe ich von dir nicht erwartet, daher versuche ich erst gar nicht es dir auszureden." Anscheinend kennt sie ihn mittlerweile wirklich gut. Wenn sich Cain einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann lässt er sich davon auch nicht mehr abbringen. Trotzdem haben sie alle beide ein großes Problem. Evelyn hat weder Geld noch ihr Auto dabei und zu Fuß in die Stadt zu kommen wird mehr als nur ein paar Stunden dauern. Dazu kommt noch, dass sie etwas zu Essen brauchen. Sie haben also nur zwei Möglichkeiten, um an Nahrung zu kommen. Entweder sie haben Glück und finden ein paar Obstbäume oder andere frei zugängliche Nahrungsmittel, oder sie müssen zu lumpigen Dieben werden. Die zweite Option ist definitiv die schlechtere Wahl, sonst würden sie nur ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Evelyn selbst hat kein Problem damit ein oder zwei Tage zu hungern, doch sie macht sich große Sorgen um ihr Baby.

Evelyn denkt gerade über vielerlei Dinge nach und bleibt plötzlich stehen. Ihr fällt auf, dass das Meer sich verändert. „Was ist los?" Das Schicksal scheint es gut mit ihnen zu meinen. „Schau mal, die Ebbe setzt ein. Vielleicht können wir im Watt ein paar Muscheln oder kleine Fische finden." Cain muss wirklich noch sehr viel lernen, denn er hat keine Ahnung was das Watt eigentlich ist, geschweige denn was es mit Ebbe und Flut auf sich hat. Mit jeder weiteren Minute die vergeht, zieht sich das Meer immer weiter zurück. „Wühl einfach ein bisschen im feuchten Sand herum. Nimm alles mit was essbar aussieht, wir sortieren dann später aus."
Eine knappe Stunde später brennt an der Küste ein kleines Feuer, geschaffen aus trockenen Holzresten einer erkalteten Feuerstelle. Cain darf das Holz nicht berühren, daher hat Evelyn im Schnelldurchlauf lernen müssen wie man Feuer macht. Die mickrige Ausbeute wird schließlich in die glühenden Kohlen gelegt, um sie durch zu garen. Es tut der jungen Frau wirklich für die Meerestiere leid, dass sie sterben müssen. Lebendig gegrillt zu werden ist wirklich ein grausamer Tod, daher hat Cain die Tiere vorher mit einem Stein erschlagen. Evelyn holt mit einem feuchten Stöckchen die fertigen, kleinen Fische heraus. Sie sind so klein, dass man sie mit nur einem Happen verschlucken kann. „...Willst du gar nichts essen?" Cain schüttelt den Kopf. „Du brauchst es dringender als ich."
„Hör auf, so etwas zu sagen. Es bringt doch nichts, wenn du vor Hunger umfällst." Da lässt Evelyn nicht mit sich reden und zwingt ihn dazu etwas zu essen.
Schließlich sind zwei Tage vergangen...

Komplett erschöpft und ausgehungert, haben sie es zu ihrer Wohnung in die Stadt geschafft. Sie sperrt ihre Tür zittrig mit dem versteckten Ersatzschlüssel auf. Es tut so verdammt gut wieder Zuhause zu sein. Evelyn besitzt nur eine kleine Wohnung mit anderthalb Zimmern. Kaum hat sie die Küche betreten muss sie feststellen, dass ihre Zimmerpflanzen wegen seiner Anomalie den Geist aufgegeben haben. Wenn man die Reichweite seiner toxischen Eigenschaft bedenkt, werden sich die Nachbarn am nächsten Morgen bedanken. Immerhin sind sie mitten in der Nacht angekommen. „Hier wohnst du also..." Die Braunhaarige reißt sofort einen Küchenschrank auf, um sich den Inhalt einer Fischdose hineinzuschlingen. Ihr gefolterter Magen verkrampft sich zuerst, freut sich dann aber über das Essen. „Tut mir Leid, ich wäre vor Hunger fast ohnmächtig geworden."
„Und mir tut es Leid, dass ich deine Pflanzen umgebracht hab." Evelyn winkt ab. „Vergiss das einfach, die kann man ersetzen. Du solltest auch etwas essen." Sie durchsucht ihre Konserven, ob etwas brauchbares dabei ist. „Hering in Tomatensoße...Makrele in Senfsoße..." Sie wühlt noch ein bisschen weiter. „Na wer sagt's denn, Thunfisch ohne alles." Sie reißt die Dose auf und drückt sie ihm zusammen mit einer Gabel in die Hand. „Iss, dann geht es dir gleich besser." Cain schaut den Inhalt skeptisch an, sagt aber nichts, sondern beginnt zu essen. Sofort hellt sich seine Miene auf. „Das ist gut...!"

Cain will einen Stuhl zurückziehen und sich setzen, doch er hat nicht bedacht, dass ihre Stühle aus Holz gemacht sind. Kaum hat er die Lehne berührt, ist von dem Möbelstück nur noch ein Häuflein Asche übrig. Er schaut Evelyn entschuldigend an. „...Ich bleibe besser stehen..." Glücklicherweise hat sie einen Steinfußbogen und keinen aus organischen Materialien. „Schon okay, das ist nicht schlimm." Sie holt schnell Schaufel und Besen, um die Asche aufzukehren und im Mülleimer zu entsorgen. Evelyn reibt sich die Augen. Sie ist müde und sollte dringend etwas schlafen. Allerdings hat sie Angst, dass jeden Moment die Sondereinheit der Forschungseinrichtung vor ihrer Tür steht. Während Cain noch mit dem Thunfisch beschäftigt ist, durchwühlt Evelyn ihren Kleiderschrank. Viele Möglichkeiten hat sie nicht, also sucht sie nur ein paar Sachen heraus die komplett aus Kunstfasern bestehen. Lediglich ein Winterkleid aus reiner Angorawolle, das sie mal zum Geburtstag bekommen hat wandert in eine Plastiktüte. „Cain, komm mal her." Sofort folgt er ihr in die Wohnstube. „Ich hab von meinem Bruder noch ein paar Klamotten da, vielleicht passt dir was." Sie durchsucht die kleine Kommode und reißt sämtliche Hemden und Hosen heraus. Zuerst muss sie die Zusammensetzung des Materials überprüfen. „Nein...Nein....auch nicht...." Besonders viel hat sie aus künstlichen Fasern nicht gefunden. „Gut, mal sehen..." Sie hält ihm ein Hemd hin. „Viel zu klein..." Sie wirft es auf das Sofa und probiert das nächste. Am Ende hat sie nur zwei Hemden und eine Hose gefunden, die ihm einigermaßen passen. „Besser als gar nichts. Ich pack noch ein paar tierische Lebensmittel zusammen und dann hauen wir ab."

„Willst du dich gar nicht etwas hinlegen und ausruhen?"
„Nein, je schneller wir wieder wegkommen, umso besser." In einen Baumwollrucksack stopft sie alle tierischen Produkte hinein, die sie finden kann. Fischdosen, Fleischkonserven, Eier und Käse. Für sich nimmt sie auch etwas Brot und Obst mit. „Lass mich den Rucksack tragen, er ist aus Baumwolle gemacht." Cain passt das gar nicht, dass seine schwangere Freundin so schwer schleppen muss, doch ihm bleibt nichts anderes übrig. Zum Schluss fischt sie aus einer Vase noch etwas Geld heraus. Es hat sich also doch gelohnt einen Notgroschen anzulegen. „Lass uns gehen." Cain widerspricht ihr nicht, sondern fragt nur, ob er noch etwas für sie tun kann. „Nein, ich schaffe das schon." Sie lächelt ihn an und schließlich verlassen sie zusammen ihre Wohnung. Egal wohin der Weg sie führen wird. Mit dem Geld wo sie einstecken hat, werden sie sich ein paar Tage über Wasser halten können. Evelyn weiß, dass sie hier nicht länger bleiben können. Sie müssen die Stadt oder gar das Land verlassen, um sich zusammen in weiter Ferne und in Sicherheit ein neues Leben aufbauen zu können. Dazu kommt noch, dass der Hintergedanke an Able verbleibt. Sein Opfer darf nicht umsonst gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Evelyn nicht, dass ihre weibliche Intuition sie nicht getäuscht hat. Denn nur eine halbe Stunde später wird ihre verschlossene Tür eingetreten.

Eine schwer bewaffnete Einheit, gefolgt von Dr. Hawkin und Dr. Andrew stürmen herein. Sie untersuchen alle Räume, ob jemand hier ist. „Gesichert", entwarnt der Einheitsleiter. Durch den Lärm der mitten in der Nacht veranstaltet wird, werden auch die Nachbarn aufgescheucht, die allerdings spielend leicht von der Einheit überwältigt und ruhig gestellt werden. Die beiden Forscher beginnen damit Evelyn's Wohnung zu durchsuchen. „Sir, schauen Sie sich das an." Dr. Hawkin kommt zu dem Agenten und schaut sich an was er gefunden hat. Auf dem Küchenfenster steht eine abgestorbene, schwarz geworden Zimmerpflanze. Der leitende Forscher berührt sie einmal und sofort zerfällt die tote Orchidee zu Staub. „Etwas so zu zerstören kann nur zu einem gehören." Dr. Hawkin schmunzelt. „Er lebt also noch..." Auch wenn sein Forscherkollege davon ausgegangen ist, dass die beiden tot sind, hat er diese Meinung nicht geteilt. Mit einer riesigen Sondereinheit, haben sie die letzten zwei Tage die Küste in einem großen Radius abgesucht. Man hat keine Leichen gefunden, daher hat Dr. Hawkin die Anweisung gegeben die Wohnung von Evelyn zu durchsuchen. Der orangefarbene Overall und die alten Kleider von Cain beweisen ebenfalls, dass sie noch am Leben sind. „Sie sind beide noch am Leben...und sie waren vor kurzem hier..." Er steckt sich eine Zigarette in den Mund und zündet sie sich an. Der leitende Forscher nimmt einen tiefen Zug und pustet den Rauch wieder aus. „Also besteht noch eine Chance, dass das Kind auch noch am Leben ist." Dr. Hawkin wendet sich an den Leiter der Sondereinheit. „Geht und findet sie. Fangt sie wieder ein – ganz egal wie." Die Agenten der Einheit salutieren kurz und machen sich sofort auf den Weg, um den Befehl des Forschers auszuführen. Dr. Andrew tauscht mit seinem Vorgesetzten einen Blick. Er ist sich nicht mehr sicher, ob das der richtige Weg ist.

Natürlich hat Cain ein Recht auf Freiheit, doch wegen seiner Anomalie ist er eine Gefahr für die gesamte Pflanzenwelt. Seine bloße Anwesenheit ist in der Lage ganze Regenwälder zu vernichten. „Ich weiß, was Sie sagen wollen, Andrew, aber es muss sein. Und Sie wissen das. All die Jahre dürfen nicht umsonst gewesen sein." Somit ist das Gespräch für ihn beendet. „Gehen wir. Fordern wir Verstärkung an." Schon bald werden von der Forschungseinrichtung neue Einheiten losgeschickt. Und sie sind alle fest entschlossen Cain und Evelyn wieder einzufangen und beide erneut in ihre Zellen zurückzubringen.


Die verbotene Liebe zweier HerzenOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz