Kapitel 18

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Oh Gott, hoffentlich würde ich das überleben. Nur mit Mühe konnte ich den aufkommenden Schrei in meiner Kehle unterdrücken. Meine Flugpartnerin beugte sich nach vorne, sodass unsere Körper waagerecht in der Luft schwebten, sobald wir an Geschwindigkeit abnahmen. Jetzt glitten wir mithilfe ihrer ausgebreiteten Flügel und das so ruhig und entspannt, dass ich mich endlich wieder traute, meine Augen zu öffnen. Die Landschaft, die sich vor mir erstreckte, raubte mir den Atem. Wir waren bestimmt locker mehrere hundert Meter über dem Erdboden und zogen an den saftig grünen Hügeln vorbei, die sich fast über mein gesamtes Sichtfeld erstreckten. Ein großes Stück vor uns, flog der zuerstgestartete Nephilim mit meinem Onkel und ließ sich vom Wind tragen. Sein Körper wirkte im Vergleich zu seinen Schwingen, die weißer als die Wolken schienen, unbedeutend klein.

Vorsichtig drehte ich meinen Kopf leicht zur Seite -ich wollte meine Nephilim nicht durch unnötige Bewegungen behindern, sonst stürzten wir womöglich ab...- und konnte in einiger Entfernung hinter uns, die anderen Drei ausmachen, wohl eher gesagt, ihre Flügel. Von Weitem konnte man bestimmt denken, es wären exotische Vögel, die kleine Körper zu ihren verhältnismäßig riesigen Schwingen hatten.

Ich wandte meinen Kopf wieder nach vorne, um meinen bereits schmerzenden Nacken zu entspannen. Das Kribbeln in meinen Beinen und Armen wollte einfach nicht aufhören, die Höhe und Schwerelosigkeit war für mich zu ungewohnt, hatte aber doch etwas Aufregendes ansich. Ein Grinsen stahl sich auf meine bis vor kurzem zusammengepresste Lippen und das anbahnende Lachen konnte ich auch nicht verhindern. So langsam gefiel es mir hier oben. Es musste schon ziemlich komisch aussehen, wie ich meine Glieder von mir streckte und dabei irre lachte.

„Es gefällt dir anscheinend sehr?" sagte eine belustigte Stimme direkt über mir, was eher eine Feststellung als eine Frage war.

„Das ist einfach unglaublich!" jubelte ich über meine Schulter hinweg. Tief atmete ich die frische Luft ein und füllte genüsslich meine vom Lachen erschöpften Lungen.

Aufeinmal lehnte sich meine Flugpartnerin zur Seite, sodass wir nach links abdrifteten und das so schnell, dass ich vor Schreck aufkeuchte. Dasselbe machte sie diesmal nach rechts, damit wir wieder in unsere ursprüngliche Position zurückglitten, doch jetzt war ich vorbereitet. Auch wenn mir meine Haare ins Gesicht flogen, sah ich, wie sich die Welt ein wenig neigte und wir die Luft durchschnitten. Ein Freudenschrei verließ meinen Mund, ich fühlte mich zu gut. Die anfängliche Panik vor dem Flug war komplett verschwunden und wich einem unbeschreiblichem Gefühl, als wäre ich in meinem Element. Ein tiefes Lachen antwortete mir von weiter vorne. Mein Onkel freute meine Begeisterung anscheinend und steckte ihn an, denn auch sein danach ertönender Jubelschrei war durchsetzt von Freude und Glück.

Ich schloss meine Augen und fühlte gänzlich, wie der starke Wind an mir zerrte und sich vorbeidrängte. Ein so schönes und befreiendes Gefühl hatte ich noch nie zuvor gehabt. Die Luft streichelte mein Gesicht, kühlte die erhitzen Wangen sanft ab.

„Öffnet die Augen Herrin. Ich bin sicher, dieser Anblick wird euch beeindrucken!" wies sie mir an. Ich war so mit dem Fliegen beschäftigt, dass ich den näherkommenden Abgrund gar nicht bemerkt hatte, er aber dafür jetzt umso majestetischer vor uns lag. Ein Schreck fuhr mir in die Glieder, als sich die Welt förmlich spaltete. Quer erstreckte sich eine Schlucht, anstelle der friedlichen Grashügel, die ganz aprupt endeten und in einen Abgrund führten. Das andere Ende von diesem Monstrum war am Horizont leicht erkennbar, wo ein Wand scheinbar in den Himmel ragte. Zwischen den beiden Mauern aus Gestein herrschte gähnende Leere. Als wir über die Schwelle des Schlundes flogen, blickte ich entsetzt in den Abgrund unter mir, der zum größten Teil mit undurchsichtigem Nebel gefüllt war. Den Kloß in meinem Hal musste ich zuallererst hinunterschlucken, um mich dann an die Nephilim zu wenden.

Angel AcademyWhere stories live. Discover now