Kapitel 22

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Plötzlich wurde der überdimensionale Raum, in dem wir standen, von einer Energiequelle her stark erleuchtet. Schatten versteckten sich hinter jeder Person, deren Gesichter zusammengekniffen von der Helligkeit waren, trotzdem versuchend, etwas zu erkennen. Automatisch schloss ich meine Augen, als ich spürte, wie das Licht an meiner rechten Wange anschwoll. Alles was ich wusste war, dass Eloa nun meine von Geburt an auferlegten Schutzschilder abnahm, damit meine Sinne und Wahrnehmungen nicht mehr so eingeschränkt wie bei einem richtigen Menschen waren.

Ich konnte ihre schlanken Finger leicht auf meiner Haut fühlen, wie sie langsam die Konturen meines Gesichtes nachfuhren und schließlich stockend zur Ruhe kamen. An dieser Stelle konnte ich schwach, dennoch deutlich die angenehme Wärme wahrnehmen. Jeder einzelne Finger löste sich vorsichtig bis zum Letzten, worauf sich die Wärme über meine gesamte Wange ausbreitete. Doch ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters, die Augen offenzuhalten und genau hinzusehen, wie die magischen Schilde abgezogen werden. Mit etwas Überwindung öffnete ich sie und konnte nur grell goldenes Licht ausmachen. In meinem ganzen Sichtfeld. Ich zwang mich, obwohl sich meine Sehsinne dagegen sträubten, standzuhalten und mich ganz auf die Helligkeit zu konzentrieren, sodass meine Augen anfingen zu tränen und schmerzen.

Kaum merklich klang es die nächsten Sekunden ab und meine Augen gewöhnten sich unerklärlicherweise daran. Natürlich strahlte es immer noch, besonders an meiner rechten Seite. Aber diesmal konnte ich sogar Eloas Gesicht erkennen, das selbst gelb-golden wirkte, da es von etwas angeleuchtet wurde. Mein Blick fixierte sich auf das Zentrum, das seltsam langgezogen wirkte und dessen Ende die Engelsfrau mit ihren Fingerspitzen festhielt. Ich brauchte nur einen kurzen Moment zu warten bis ich sogar hineinsehen konnte, mehr Details und Schärfe sich ausbreiteten.Erstaunt betrachtete ich die immer klarer werdenden feinen Linien, die sich durch diese Leuchtkugel zogen. Einem Spinnennetz ähnlich, dessen Mitte meine engelsgleiche Großmutter zaghaft in ihrer Hand hielt und zu sich zog, erleuchtete den ganzen Raum so kräftig, wie keine Beleuchtung es auf der Erde jemals geschafft hätte. Zwischen den Lücken der großen, golden schimmerten Fäden, sah ich Netzte aus viel kleineren Äderchen, die sich quer und längs durch das Gebilde zogen. Leider war meine Sicht nicht die beste, also beobachtete ich das Ganze nur aus den Augenwinkeln, da die Fäden sich so ziemlich direkt neben meinem einen Auge ablösten.

„Das schwierigste daran, ist immer der Anfang." flüsterte mein Vater neben mir.

Nach einer ganzen Weile, in der gefühlt nichts vorwärts ging, entspannte sich Eloas konzentriertes Gesicht und sie atmete sichtlich erleichtert aus. Auch von mir ließ die Anspannung ab, es beruhigte mich zu wissen, dass der komplizierteste Part geschafft war. Sie warf mir einen kurzen Blick zu, den ich allerdings nicht deuten konnte. Das Netz, welches wie seidiger, feiner Stoff mit Adern wirkte, hatte keineswegs an Helligkeit abgenommen, eher hatte ich das Gefühl, es hätte sich noch um ein Vielfaches verstärkt.Ich zuckte sowohl innerlich, als auch äußerlich zusammen, als sie dieses Gebilde auf irgendeine Weise zeriss. Geräuschlos lösten sich die zuvor fein zusammenhängenden Fäden voneinander und ließen dadurch einen großen Riss zurück. Ich wollte gerade fragen, ob das wirklich so gut sei, aber das Schutzschild musste doch sowieso zerstört werden, oder? Da machte ein Riss bestimmt nicht viel aus.

Gebannt sah ich zu, wie sie das Loch ausdehnte und das goldene Gewebe über meine komplette rechte Gesichtshälfte zog. Außer einer sanften Wärme konnte ich nichts spüren, nur meine Augen verrieten mir, was hier gerade geschah. Ich kniff die Augen zusammen, während der Engel mir die Stelle über meinen Lidern abzog und sich danach an die linke Seite meines Gesichts wandte. Es war, als würde man eine zweite Hautschicht abziehen, abgesehen davon, dass sie stark golden strahlte und alles andere als natürlich aussah.

Inzwischen hatte sie mein Gesicht „freigelegt", nur die zerstörten Ränder des Netzes klebten noch an meinen Schläfen. Würde es wohl vorbei sein, wenn sie diese noch entfernte? Irgendwie glaubte ich das nicht und meine Vermutung wurde sogar bestätigt, als mein ganzer Körper von der zusätzlichen Schicht strahlte. Anders als zuvor, brauchte Eloa nur die Hand auszustrecken und schon flossen die seidigen Strähnen ihren Fingern entgegen. Wie durch die Strömung eines Flusses wurde das Netz bis hinauf zu meinem Halsansatz gespült und bündelte sich dort, als würden es auf irgendetwas warten. Unfähig mich zu bewegen starrte ich auf mich herab und beobachtete das Schauspiel ungläubig. Es war einfach zu unreal. Ein merkwürdiger Wink mit Eloas Hand und auf einmal teilte es sich in drei verschieden große Ströme. Sie schossen so schnell aus mir hervor, dass ich unbeabsichtigt einen Schritt zurückwich und mich hilfesuchend nach meiner Familie umblickte. Sie starrten mich fasziniert an und einigen entglitten die Gesichtszüge.Der kleinste Strudel stürzte sich in die Brust der Engelsfrau, der größere in die meines Vaters. Mir entwich ein Schreckenslaut, weil ich Angst hatte, es würde sie vielleicht verletzen. Doch sie hatten entspannt die Augen geschlossen und schienen es förmlich zu genießen, was dort in beide hineinfloss. Es war zwar unglaublich schön anzusehen, dennoch hatte ich keine Ahnung, ob das Auswirkungen auf meine beiden Familienmitglieder hatte. Ich wollte auch unter keinen Umständen den Strom unterbrechen, mit meiner Hand hindurchfahren oder ähnliches, wer weiß, was dann passieren würde...

Stirnrunzelnd beobachtete ich also den dritten und somit auch größten Fluss, der sich unerwartet durch den Raum schlängelte, durch die bronzefarbene Wand hindurch und dabei unbeschadet bleiben konnte, so glaubte ich zumindest.Eine gefühlte Ewigkeit lang blieb alles, wie es war, doch dann wurden die Ströme dünner, weniger hell, durchscheinender. Das grelle Licht erstarb langsam und ließ wieder die natürliche Helligkeit eines Tages, die durch die metergroßen Fenster hereinbrach, die Oberhand gewinnen.

Schwarze Punkte fingen jedoch augenblicklich an, vor meinen Augen zu tanzen und sich immer mehr auszubreiten. Mein Blickfeld verschwamm und wurde dunkel. Krampfhaft versuchte ich die Lider obenzuhalten um bloß keinen Ohnmachtanfall zu bekommen, das war echt das Letzte, was ich jetzt brauchte. Ungeschickt machte ich einen kleinen Schritt nach vorne, stauchelte sogleich und spürte noch im selben Moment zwei starke Arme, die mich auf den Beinen hielten und praktisch mein ganzes Körpergewicht trugen.

„...ist gleich vorbei..." hörte ich undeutlich. Die Stimme war für mich so weit weg und doch wusste ich, dass das Gesprochene direkt neben mir seinen Ursprung hatte.

Nach wenigen Momenten verschwanden die tänzelnden schwarzen Punkte tatsächlich wieder und langsam traute ich mein Gewicht den wackrigen Beinen wieder an. Ich blinzelte mehrmals und sah in mir sehr bekannte Gesichter. Die beiden Ältesten der Familie blickten etwas besorgt, aber unglaublich erleichtert drein, während mein Onkel eher skeptisch wirkte. Er hielt anscheinend nicht viel von dem ganzen Engelkram. Nachdem ich gesehen hatte, wie er behandelt wurde, verwunderte mich das aber auch nicht allzu sehr. Mum stand nun direkt vor mir und fragte mich, ob es mir -den Umständen entsprechend- gut ging, worauf ich bejahte und lächelte zaghaft, um meine Antwort noch zu unterstreichen. Ich hasste es, wenn sie überbesorgt war. Dann versuchte sie mich immer von jedem, was ihr auch nur ansatzweise gefährlich erschien fernzuhalten, wobei sie eher einer Raubkatze als einem Mensch glich.

„Danke, es geht jetzt wieder." sagte ich leise und hob meinen Kopf, damit ich in Dads Gesicht blicken konnte. Meine Augen wurden groß, als ich die Veränderung wahrnahm.Natürlich hatte er sich im großen und ganzen nicht verändert, aber sein Auftreten war nun deutlich machtvoller. Um seine gesamte Erscheinung meinte ich nun eine weiß leuchtende Aura zu erkennen, die ihn wie ein Stern strahlen ließ. Sein Gesicht so schön wie eh und je verursachte... so viel... Respekt in mir, ich konnte mir das auch nicht genau erklären. Ich konnte seine Stärke, seine Güte, seine Liebe und auch seine Macht so deutlich spüren, wie keines der fünf menschlichen Sinne es jemals erspürt hätten können. Sogar seine Herkunft, Sohn des Erzengels Rafael und der Heiligen Eloa, konnte ich fühlen, tief in mir. Als ob etwas in mir erwacht wäre, so feinfühlig und mächtig, dass es mir jetzt schon ein bisschen Angst bereitete.Ich bemerkte seinen Blick, spürte seine Augen auf meiner Haut. Auch sie strahlten blauer, als je zuvor und ich dachte mir, durch diese beiden Fenster in die Seele des vor mir stehenden Mannes zu blicken.Wortlos ließ er meine Musterung über sich ergehen und ich ertappte ihn dabei, wie seine Mundwinkel verdächtig zuckten.

„Erstaunt dich mein Aussehen, meine liebe Tochter?" kam es von ihm. Er machte keine Anstalten, mich loszulassen.

„Ein wenig." sagte ich so beiläufig wie möglich, was aber der Wahrheit entsprach.

„Komm, ich will dir etwas zeigen, was dir bestimmt gefallen wird." sagte er mit einem glücklichen Glitzern in den Augen. Er nahm meine Hand und führte mich zu einer geschlossenen Tür, hinter der uns ein Balkon erwarten würde. Ich fühlte, wie der Wind hinter ihr sanft vorbeirauschte, sich an der Wand vorbeischmiegte und des Windes Kraft ihn immer weiter vorwärts trieb, weiter hinauf in den Himmel.


Leuts, ich habe vor kurzem erst gemerkt, dass der Nachname meiner Hauptperson schon vergeben ist. Graceland: eine Schuhmarke -.- Toll, jetzt weiß ich, warum mir der Name so schnell und spontan eingefallen ist... und das Schlimmste, ich wusste es bis jetzt nicht! Oh mann, nach 22 Kapiteln kommt mein Gehirn auch mal drauf...

Also, in meiner Geschichte hat die Schuhmarke überhaupt nichts mit der Familie zu tun! (Nur falls ihr denkt, sie sind die Eigentümer der Firma oder so ^^)

Nun denn... genug von Schuhen! Ich hoffe wie immer, dass euch das Kapitel gefallen hat und ihr es euch bildhaft vorstellen konntet. ;) Wie genau sich ihre übernatürlichen Sinne verbessert haben, werdet ihr im nächsten Kapitel noch etwas besser erfahren.

Bis dahin...

Bb sillylilien

Angel AcademyOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz