4| Nachmittag, 28. August 1985

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Den Nachmittag verbrachte sie damit, jeden Winkel des Busbahnhofs zu erkunden. Von den heruntergekommenen, stinkenden öffentlichen Toiletten, deren Türen mit Graffiti beschmiert waren, zu dem kleinen Gebäude, in dem sich die Information befand und das von außen mit alten Plakaten von längst vergangenen Konzerten, Monster Truck Shows und Wrestling Matches zutapeziert war.

Der Junge, Kaz, dachte sie, Kaz, sah ihr die gesamte Zeit über dabei zu, rührte sich aber nicht einen Millimeter von der Bank. Er hatte kein Wort mehr mit ihr geredet, wirkte nur erschöpft und das konnte Lore ihm nicht mal verübeln. Die Hitze hatte auch ihr zugesetzt. Ihre Locken klebten ihr im Nacken und in der vergangenen Stunde hatten heftige Kopfschmerzen bei ihr eingesetzt. Die Tatsache, dass sie sich ihre Klamotten am liebsten vom Leib gerissen hätte, machte die Sache nicht besser. Sie fühlte sich, als würde sie in Flammen stehen.

Portland war nie so heiß gewesen. Die Sommer waren schön, aber mild und im Winter schneite es. In den letzten drei Jahren war sie bei gutem Wetter immer mit Amelia Rollschuhlaufen gegangen.

Auf ihrer weiteren Erkundungstour beobachtete sie die anderen Leute, die sich am Busbahnhof herumtrieben. Einige von ihnen würden zweifellos mit nach Los Infiernos fahren. Sie erwischte ein Pärchen dabei, wie sie über die Fahrtkosten stritten und hörte einen jungen Mann an der Information nach einem Ticket fragen. Außerdem stand irgendwann am frühen Abend eine Frau an der Bushaltestelle nach Los Infiernos und rauchte ununterbrochen, bis der Bus eintraf.

Als Lore widerwillig die albtraumhaften Toiletten benutzte und versuchte, die Anzahl der Tage einzuschätzen, die es dauern würde, bis der Geruch nach Urin sich aus ihren Klamotten verflüchtet haben würde, sah sie, wie sich ein Typ in der anderen Kabine einen Schuss setzte. Er hatte ein Stück Stoff um seinen Arm gebunden, das Ende steckte in seinem Mund. Als er ihren schockierten Blick sah, grinste er nur und spritzte sich was auch immer für Drogen er hatte in seinen Arm.

Lore biss sich auf die Lippe und wusch sich schweigend die Hände. Der Mann in der Kabine lachte.

Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie genauso mies aussah, wie sie sich fühlte. Ihre Haare waren fettig und verklettet und ihre Hose war von staubigen Flecken übersät. Außerdem hatte sie ein paar wirklich fürchterliche Pikel auf der Stirn, die sich auch mithilfe ihrer Haare nicht gut verstecken ließen.

Ach ja... und sie war hungrig. Sie hatte sich seit Wochen von nichts anderem als Fast Food, Süßigkeiten und Cracker ernährt und es machte sie einfach nicht satt.

Als sie wieder nach draußen an die (nicht wirklich frische) Luft trat, lief sie beinahe in ein kleines Mädchen hinein. Erschrocken stolperte sie ein paar Schritte rückwärts und bemühte sich, nicht hinzufallen.

"Oh verdammt, tut mir leid!", rief das Mädchen und stürzte mindestens genauso tollpatschig auf sie zu. Lore fing sie an den Schultern ab und dirigierte sie vorsichtig aus den Toiletten heraus.

"Nicht so hastig", murmelte sie und musste an Amelias stürmische Umarmungen denken.

"Tschuldigung", sagte das Mädchen wieder und wischte sich eine der blondierten Haarsträhnen, die in alle Richtungen von ihrem Kopf abstanden, aus der Stirn. "Wirklich!"

Lore schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab: "Alles gut." Dann warf sie einen Blick hinter sich, wohl wissend, dass dort immer noch der Junkie in einer der Kabinen hockte. "Vielleicht wartest du lieber noch ein bisschen."

Das Mädchen, das einige Zentimeter kleiner war als sie, nickte ein bisschen verwirrt, aber fröhlich.

"Ja, mach ich, kein Problem", strahlte sie, als Lore sie noch ein Stück weiter zur Seite schob. "Du siehst übrigens oberaffengeil aus."

Night BusWhere stories live. Discover now