3| Mittag, 28. August 1985

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Der Junge sah noch elender aus, als sie sich fühlte. Er trug in der Hitze einen schmutzigen grauen Hoodie und seine Haut glänzte vor Schweiß. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, er war blass um die Nasenspitze und sah aus, als würde er gleich vor sich auf den Boden kotzen.

Lore hob zögerlich eine Hand, weil er sie so unverwandt anstarrte und fragte sich irritiert, ob er sie oder sie ihn von irgendwoher kannte. Aber es klingelte nichts.

Eigentlich hatte sie keine Lust, mit ihm zu sprechen, weil sein Zustand mit großen blinkenden Vegas-Leuchtschildern darauf hinddutete, dass er auf Drogen war. Aber irgendwo tat er ihr auch leid. Die Hitze musste ihn umbringen.

Ihre Schritte waren vorsichtig und langsam, als sie auf ihn zuging und sie fühlte sich nervöser, als sie es zulassen wollte. Von nahem erkannte sie, dass er zitterte. Also wirklich Drogen, dachte sie. Sie war in Vegas und Sacramento in ein paar zwielichtigen Ecken gelandet und hatte genug Junkies gesehen.

Als sie vor ihm stand, bot sie ihm den kläglichen Rest Wasser an, der in ihrer Flasche übrig geblieben war. Er blinzelte ein paar Mal und kniff die Augen zusammen, als hätte sie ihm eine Taschenlampe direkt ins Gesicht gehalten. Er roch nach Schweiß und Bier und Lore rümpfte die Nase, bevor sie sich erinnerte, dass sie selbst nicht viel besser riechen konnte.

"Hi", murmelte sie von einem Fuß auf den anderen tretend. "Geht's dir gut?"

Es ärgerte sie, dass sie zu ihm aufschauen musste, obwohl sie Schuhe mit dicken Sohlen trug. Sie begann in ihrer Tasche nach den verbliebenen Twinkies zu wühlen, während er wie ein verdursteter den letzten Schluck Wasser hinunterstürzte.

Lore musterte ihn noch einmal, bevor sie ihm den Twinkie reichte. Unter der grauen Kapuze schauten dünne gedrehte Dreadlocks hervor, da war eine Narbe auf der linken Seite seiner Unterlippe und... Als er ihren nicht wirklich unauffälligen Blick bemerkte, kramte der Junge eine Sonnenbrille aus seiner Tasche und setzte sie auf.

Unwillkürlich musste sie an Lime und ihre Sonnenbrillen denken.

"Danke", brummte er heiser und nahm ihr den Twinkie ab. Dann standen sie beide starr und wortlos in der Sonne.

"Willst du dich vielleicht irgendwo hinsetzen?", fragte sie verunsichert, vermied es aber, ihn anzusehen oder ihn zu berühren. Er nickte und sie suchten sich eine Bank, die glücklicherweise zum Teil im Schatten lag.

Lore bemerkte, dass er sich steif bewegte, als würde ihm jeder Schritt Schmerzen bereiten. Vielleicht doch keine Drogen, dachte sie. Vielleicht hatte er einen Unfall.

"Willst du jemanden anrufen? ", fragte sie schließlich und stellte ihren Rucksack vor sich auf den Boden. Ihr fiel auf, dass er nichts weiter bei sich hatte. Den Twinkie, den sie ihm gegeben hatte, hielt er unausgepackt in seinen Händen.

"Brauchst du Hilfe?", wollte sie wissen und erhielt als Antwort nur ein Schniefen. "Ich hab zwar kein Geld mehr, aber vielleicht finden wir ja jemanden-" Sie war im Begriff aufzustehen, um die Dame an der Information nach einem Telefon zu fragen, doch er hielt sie zurück. Seine Hand hatte mehr Kraft als erwartet und sie plumpste ungeschickt auf die Bank.

Der Junge schüttelte den Kopf und nuschelte dann etwas, das für Lore wie "Wasser" klang. Den Twinkie hatte er nach wie vor nicht angerührt.

"Hast du Geld?", sie hob fragend eine Augenbrauen und er schüttelte wieder den Kopf. Lore seufzte.

Ein Teil von ihr fragte sich, warum sie sich überhaupt die Mühe machte. Sie kannte ihn nicht und es war immer noch sehr wahrscheinlich, dass er irgendwelche Drogen eingeschmissen hatte. Aber sie war kein egoistischer Mensch und ihre Mom hatte sie dazu erzogen, anderen zu helfen, auch wenn sie selbst einen echt beschissenen Job als Mutter hingelegt hatte.

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