Kapitel 4

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Elodye

Mein Schrei hallte noch von den Zeltwänden wider, als ich schweißgebadet, zitternd und panisch um mich schlagend von meinem Feldbett fiel.

„Eure Hoheit!"

„Liebling!", kam es von Dandelia und Mama gleichzeitig.

Orientierungslos strauchelte ich nach draußen. Cassia stand friedlich bei den anderen Pferden und genoss ihr Frühstück.

Ich wollte vor Erleichterung weinen.

Ich hatte das nur geträumt. Sol sei gedankt.

Die Wachen an unserem Zelteingang sahen betont an mir vorbei. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nur im Nachtkleid vor ihnen stand. Mama und Dandelia kamen hinter mir aus dem Zelt gestürzt, Dandelia schwenkte wild meinen spitzenbesetzten Morgenmantel.

„Guten Morgen, General. Leutnant.", grüßte ich die Wachen. Sie nickten mir zu. „Eure Hoheit."

Mama legte stürmisch ihr gestricktes Tuch um meine Schultern. Es war noch sehr früh, die Sonne war noch nicht aufgegangen, dennoch war es nicht sonderlich kalt.

„Liebling, komm rein, du erkühlst dich noch." Mama und Dandelia schoben mich zurück in den Zeltraum.

„Was ist bitte in dich gefahren?" Mama begutachtete mich besorgt – oder eher, meinen Glanz. Sie atmete erleichtert auf. Anscheinend war keine Schicht gerissen oder abgesplittert.

Dandelia trug einen Hocker herbei, auf dem ich mich niederließ. Meine Beine zitterten noch von dem Schrecken des Traums. Dandelia begann akribisch, meine elegant gesteckte Frisur aufzufrischen. Währenddessen erzählte ich den beiden von dem Traum der vergangenen Nacht. Beide sahen sich immer wieder mit undeutbaren Blicken an, die mich noch nervöser machten, als ich ohnehin schon war. Schlussendlich tat Mama den Albtraum mit einem liebevollen Lächeln und den Worten „Das war sicher die Aufregung der vergangenen Tage" ab, gab mir einen gehauchten Kuss auf die Stirn und schnürte mich dann etwas zu eifrig in mein Korsett. Das Ankleiden wollte sie unbedingt selbst übernehmen, doch auch wenn sie sorglos plapperte spürte ich eindeutig, wie ihre Hände zitterten. Das war das zweite Mal, in zwei Tagen. Mamas Hände zitterten nie. Nicht einmal bei Vaters Tod, und das, obwohl damit auch ein Teil von ihr selbst gestorben war.

Nachdenklich kaute ich auf den Trauben, die Dandelia mir während des Ankleidens reichte, herum. Auch sie bemühte sich um eine fröhliche Miene, doch ihre Gänseblümchen wurden welk und rieselten zu Boden wie frischer Schnee. Der Umhang lag heute noch schwerer auf mir, und als einer der Bediensteten uns informierte, wir seien nun aufbruchbereit, hatte ich das Gefühl, nicht einen Schritt darin gehen zu können. Wankend machte ich mich auf den Weg zu Cassia und war dieses Mal froh, dass mir in den Sattel geholfen wurde. Cassia spürte meine Anspannung und warf nervös den Kopf. Ich versuchte uns beide gleichzeitig zu beruhigen.

„Wir werden Erredas bei Sonnenaufgang erreichen.", informierte uns der Bataillonsführer.

Nur noch wenige Stunden lagen zwischen mir und meinem neuen Leben als Monarchin. Ich konnte die Furcht davor nicht untergraben, so sehr ich mich auch auf meinen Unterricht, der mich seit Jahren darauf vorbereitet hatte, zu berufen versuchte. Es konnte nicht gut enden, wenn eine Herrschaft direkt mit einer Lüge begann.

Meyre

Unruhig trat ich von einem Bein auf das Andere. Seit der gestrigen Verkündung des neuen Regenten herrschte in der Stadt die hellste Aufregung. Alles und jeder bereitete sich darauf vor, den neuen Herrscher gebührend in Erredas willkommen zu heißen. Die Straßen wurden geschrubbt und von Elend und Dreck befreit, Wimpelketten mit dem königlichen Wappen wurden zwischen den Häusern gespannt, Bäcker versunken in Aufträgen für den Palast und sämtlicher Nobelistenfamilien, die das Eintreffen des Monarchen mit dutzenden Gesellschaften feiern wollten. Neben mir diskutierte der Besitzer des Weinkellers heftig mit einem Winzer über eine zusätzliche Lieferung nordischen Süßweins, die von den Mertelliers geordert worden war, und angeblich der bevorzugte Wein unseres zukünftigen Königs war. Wir hatten noch nicht einmal die Krönung hinter uns gebracht, und schon waren die Mertelliers dabei, politische Fäden zu ziehen. Typisch.

Ich stand seit zwei Stunden Wache am südlichen Tor zum Dritten Ring, wo man einen wunderbaren Blick über das Handelsviertel hatte. Einer der Erstlinge hinter mir gähnte lautstark.

„Ist dir die Arbeit zu langweilig, Erstling Ortis?" Ich musste mich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass es Ortis war. Nur er würde sich das trauen. Als Kind einer Nobelistenfamilie dachte er viel zu oft, dass die Arbeit in der Stadtwache unter seiner Würde war. Und er vergaß viel zu oft, dass er hier war, weil sein Vater, Obert Ortis, genug hatte von seinen ständigen Skandalen und Eskapaden, die dem Ruf seiner Familie definitiv geschadet hatten.

„Wir stehen hier seit zwei Stunden und sehen Händlern beim Befüllen der Regale zu. Es passiert absolut nichts. Das ist die reinste Zeitverschwendung." Herablassend schnaubte er durch die Nase.
„Es passiert nur nichts, weil du nicht genau hinschauen kannst." Ich genoss es mehr als ich sollte, Ortis in seine Schranken zu verweisen. Er hatte einen Dämpfer bitter nötig.

Die Gruppe hinter mir kicherte. Ich musste wieder nicht hinsehen, um zu wissen, dass Ortis gerade dunkelrot anlief, eine Eigenschaft die er von seinem Vater hatte.

„Denn, wenn du hinschauen würdest, hättest du gesehen, dass der Ölhändler gerade das Pessatöl mit irgendeinem Billigen streckt, dem Blumenladen dort hinten gerade einige Töpfe Rotgoldbüschchen heruntergefallen sind. Erstling Zerka, wie viele waren es?" Erstling Zerka war eine der wenigen, die ihre Arbeit immer mit vollem Einsatz anging, egal ob es Stadtpatrouillen oder Latrinenreinigung war.

Sie war die Einzige in der mir zugewiesenen Truppe, die verstanden hatte, dass dies die letzte Chance war, die sie vor dem Gefängnis bewahrte. Jugendliche Verbrecher konnten ihre Strafe bis zu einem gewissen Maß in Militärdienst umwandeln. Eine grauenvolle Idee, meiner Meinung nach. Gesetzesbrecher wurden zu Gesetzeshütern. Arbeit in der Spitala oder einer Hilfsherberge wäre da deutlich wirkungsvoller.

„Drei, Offizierin Nehal.", antwortete sie prompt.

„Korrekt."

Ich ließ meinen Blick über die Menschenmasse gleiten. Ein Bäcker platzierte verschiedene Brote mit dem königlichen Wappen in der Auslage. Einige Kinder spielten ein Hüpfspiel neben dem Zentralbrunnen. Ein Stoffhändler verscheuchte eine Schar Tauben, die sich auf den ausgelegten Stoffen vor seinem Laden niedergelassen hatten.

Eine rothaarige Frau mit ausladendem Dekolletee bezirzte einen Kaufmann. Mit schallendem Lachen warf sie den Kopf in den Nacken und ließ ihre Hände über seine Arme gleiten. Ich kniff die Augen zusammen.

„Sofern ihr nicht zu müde seid, könnt ihr neben Kerzengeschäft ein wunderschönes Beispiel für einen gelungenen Taschendiebstahl bewundern."

Kokett zupfte die Frau das geknotete Tuch des Kaufmanns zurecht und lenkte damit von ihrer Hand ab, die sie in seine Taschen gleiten ließ. Doch diese Mühe hätte sie sich gar nicht machen müssen. Der Mann war sowieso ganz hin und weg von ihr, er hing wie ein sabbernder Welpe an ihrem Blick. Oder eher, ein Stockwerk tiefer.

„Ortis, Zerka, ihr kommt mit mir. Ihr anderen haltet hier Wache."

Mit den beiden im Schlepptau machte ich mich auf den Weg. Als die Diebin uns entdeckte, spielte sie dem Kaufmann eine traurige, aber hastige Verabschiedung vor, und verschwand dann in einer Gasse. Ich sprintete los.

Die Erbin des Faerynthrons // LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt