Kapitel 2

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Melina hatte Jason das Büro gezeigt und er war wirklich beeindruckt. Schon bei seiner Ankunft war ihm die schwarze Backsteinfassade ins Auge gesprungen und hatte ihn neugierig auf mehr gemacht. Die Eingangstür erreichte man über eine, aus Naturstein, gebaute Treppe. Die Tür selbst sah aus, als wäre sie aus einem einzigen Baumstamm gefertigt und verlieh dem Ganzen dadurch einen rustikalen Charakter, der gleichzeitig, einen massiven Kontrast, zu der modernen Fassade bildete. Über der Eingangstür hing eine große, abgerundete Holzscheibe mit unterschiedlichen Runen darauf. Jason wusste zwar, dass es sich um Runen handelte, kannte jedoch ihre Bedeutung nicht. Er selbst kannte einige nordische Geschichten, hatte sich aber nie direkt mit dieser Glaubensrichtung auseinandergesetzt.
Das Gebäude erstreckte sich über zwei Etagen, mit großen lichtdurchfluteten Zimmern. Das untere Stockwerk hatte eine Zimmerhöhe von knapp vier Metern, welche durch riesige, bodentiefe Fenster betont, worden. Der Boden bestand aus dunklen Holzdielen, die sich durch das gesamte Gebäude zogen. Die Wände waren mit grauen Natursteinen verziert, die denen der Eingangstreppe ähnelten. Schon beim Betreten des Büros hatte sich in Jason eine Art Zufriedenheit und Ruhe ausgebreitet, welche er so noch nie erlebt hatte.
Auf der linken Seite der Etage befanden sich fünf abgetrennte Räume, die alle mit Schreibtischen aus Holz und der neusten Technik eingerichtet waren. Jedes Zimmer wirkte individuell eingerichtet, sei es durch Bilder, Plakate an den Wänden oder spezielle Dekoartikel. Man sah, dass sich die Mitarbeiter hier verwirklichen und wohlfühlen konnten, auf ihre eigene Art und Weise. Auf der rechten Seite erstreckte sich über die komplette Länge eine hochmoderne Küche. Ebenfalls rustikal und aus Holz, aber mit jedem modernen Scheiß, den man sich nur vorstellen konnte. Am hinteren Ende der Küche befand sich eine weitere Tür, die zu einem separaten Raum führte. Hier stand ein großer, runder Tisch und Jason konnte sich kaum einen besseren Ort für Teammeetings vorstellen.
Die hintere Hausfassade bestand vollständig aus Glas, durch die man einen einzigartigen Blick auf die riesige Terrasse und dem dahinter liegenden Meer hatte.
Jason fühlte sich, als hätte er eine fremde Welt betreten. Nichts hier, außer der vielen Technik, machte den Anschein, dass es sich um ein Büro handelte. Auch die zweite Etage faszinierte ihn. Diese bestand aus einem einzigen großen Raum, welcher genauso hoch war, wie die untere Etage, aber spitz zulief. Eigentlich vermittelte der Raum eher den Eindruck eines riesigen Wohnzimmers und fühlte sich nicht wie ein Büro an. Nur die zwei Schreibtische und großen Regale voller Ordner wiesen darauf hin, dass hier auch gearbeitet wurde. Ansonsten gab es eine Couch, einen TV an der Wand, Teppiche und Kissen aus Fell. Regale voller Bücher und ein Sessel, der direkt zum Lesen einlud. Überall standen Kerzen und es gab einen Kamin gegenüber von dem Bücherregal.
„Gemütlich" war das Einzige, was er über die Lippen brachte. Melina sah ihn an und lächelte.
„Ja. Wir wollen uns hier wohlfühlen. Immerhin verbringen wir den Großteil unserer Zeit hier."
Jason wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Es war zu schön, um wahr zu sein, und der krönende Abschluss kam erst noch. Der Balkon. Dieser erstreckte sich einmal um das gesamte Gebäude, wodurch man zum einen den Anblick des Meeres genießen konnte, zum anderen die Aussicht auf das Landesinnere. Jason schweifte mit dem Blick über die Umgebung, nahm einen Schluck von seinem Kaffee und wollte Melina gerade fragen, ob man hier rauchen durfte, als sie ihm zuvorkam.
„Falls du rauchst, nur zu", sagte sie.
Jason sah sie irritiert an.
„Kannst du Gedanken lesen?"
Sie lachte auf.
„Nein, ich habe deine Zigaretten in der Arschtasche gesehen. Aschenbecher steht da drüben", sagte sie und setzte sich auf eine der Sonnenliegen.
Jason schmunzelte, zündete sich eine Zigarette an und stellte sich ein Stück abseits von Melina, denn natürlich war ihm ihr Babybauch aufgefallen.
„Wie lange hast du noch?", fragte er.
Melina stöhnte auf.
„Noch zu lange. Vier Monate und ich habe es echt satt. Mir tut alles weh, meine Klamotten passen nicht mehr und ich muss ständig pinkeln."
Jason musste sich sein Lachen unterdrücken. Mit dem du war tatsächlich sämtliche Förmlichkeit verschwunden, aber es störte ihn nicht, ganz im Gegenteil, er hatte das Gefühl endlich mal normale Menschen, um sich herum zu haben.
„Sorry noch mal, dass Noraja sich so viel Zeit lässt. Ich würde ja gern behaupten, dass es eine Ausnahme ist bei ihr, aber das wäre gelogen und genau an solche Sachen wirst du dich wohl gewöhnen müssen. Na ja, falls das mit dem Job klappen sollte."
Jason lächelte Melina nur an, richtete seinen Blick wieder in die Ferne und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Diese fingen an zu kreisen und er fragte sich, wie Noraja wohl wirklich war. Melina hatte ihm erzählt, dass er schon der fünfzigste Bewerber war. Also selbst wenn einige einfach nicht qualifiziert genug gewesen waren, blieben doch jede Menge übrig, die sich so einen Arbeitsplatz nicht entgehen lassen konnten. Also kam er zu dem Entschluss, dass es nur mit Noraja zu tun haben konnte.
Er atmete tief ein und hoffte, dass er genau das war, was hier gesucht wurde, auch wenn er eigentlich keine Ahnung von der Eventbranche hatte. Denn er war Anwaltsassistent und er hatte seinen Job und seinen Chef mehr als nur satt. Er fragte sich ständig, warum er überhaupt in so einer scheiß Bude gelandet war. Das Büro lag mitten in der Stadt ohne einen eigenen Parkplatz, was dazu führte, dass Jason bereits vor Arbeitsbeginn völlig angepisst war, weil er ewig nach einem Parkplatz suchen musste. Er machte wöchentlich mindestens fünfzehn unbezahlte Überstunden und ständig nahm er Arbeit mit nach Hause. Die Bezahlung war eher mittelmäßig und wirklich zu schätzen, was er für diese Firma tat, wusste auch keiner. Sein Chef war ein Kotzbrocken, den Jason lieber von hinten, als von vorn sah und trotzdem hatte er sich bis heute nicht dazu durchringen können, nach etwas anderem zu suchen. Seine Gedanken wanderten weiter zu seiner Freundin.
Sie liebte es, dass er in dieser Kanzlei arbeitete, denn da es eine recht große und Angesehene war, brachte es einiges an Vorteilen und Ansehen ein, wenn die Menschen erfuhren, wo er angestellt war. Seiner Freundin würde es nicht gefallen, dass er vorhatte zu kündigen und er wusste jetzt schon, dass dies ein sehr unangenehmes Gespräch werden würde. Jason war gerade dabei, sich das Gesicht von ihr vorzustellen, wie es sich vor Wut, dunkelrot einfärbte, als Melina ihn aus seinen Gedanken riss.
„Na Glückwunsch! Sehr freundlich, dass du deinen Arsch endlich in Bewegung gesetzt hast. Ich hatte schon Angst, dass ich hier entbinden muss", schrie Melina, über das Balkongeländer gebeugt, nach unten.
Jason brauchte einige Sekunden, bis er verstand, dass nicht er gemeint war, sondern die Person, die auf das Haus zugelaufen kam. Er ging automatisch einen Schritt zurück und hörte den beiden nur zu. „Ja, ja. Du hast doch noch vier Monate und wenn der Kleine mitbekommt, was auf ihn zukommt, bleibt er sicher noch zwei Monate länger drin", rief Noraja zurück, grinste frech und sah nach oben.
Melina schüttelte den Kopf.
„Oder er kommt zwei Monate eher, um mich von dir zu erlösen."
„Witzig. Lass mich lieber rein", raunte Noraja.
„Schlüssel vergessen?", fragte Melina spöttisch.
„Kennst mich doch", erwiderte Noraja. Melina lachte.
„Ja, deswegen ist die Tür offen!"
Noraja murmelte noch etwas, da sie aber bereits im Haus war, konnten die beiden den Rest nicht mehr verstehen.
Melina drehte sich zu Jason, der sie leicht entsetzt ansah und grinste ihn wissend an. „Darf ich vorstellen: Noraja live und in Farbe."
Jason setzte ein Lächeln auf, nickte nur und langsam fing er an, zu verstehen, dass das hier kein normales Vorstellungsgespräch werden würde.

Noraja - Dead Or Alive ✔️Onde histórias criam vida. Descubra agora