Einundzwanzigste Verzierung

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Das Gespräch II

„I hear what you don't say. I see what you don't show. For others your eyes may be pools of mystery but this is the only language my soul knows."

Shefali D.

Noch immer sitze ich still neben meiner Mutter, die langsam ihre Geduld verliert. „Los Mina. Wenn du schon nicht mit der Sprache rausrücken willst, zeig mir ein Bild von ihm", fordert sie mich auf. Ich nicke, da ich wirklich nicht weiß, wie ich mit dem Gespräch anfangen soll und greife nach meinem Handy, das neben mir liegt. Obwohl ich mehr als genug Bilder von Vahap auf meinem Handy habe — bei jeder Möglichkeit, die sich mir bietet, mache ich ein Fotoshooting mit ihm —, wandert mein Finger zu Instagram und ich öffne sein Profil aus meiner Suchleiste. Da meine Mutter die ganze Zeit über ihre Blicke auf mein Handybildschirm gerichtet hat, muss ich sie nicht auf den jungen Mann aufmerksam machen, dessen Profil ich geöffnet habe. „MashaAllah (heißt übersetzt „Gott behüte Dich" und wird verwendet, wenn man jemanden loben möchte)", höre ich meine Mutter neben mir murmeln, weswegen ich unwillkürlich zu lachen beginne. „Anne! (Mama!)", gebe ich empört von mir und entlocke auch ihr ein Lachen. „Du kommst wohl ganz nach mir. Hast ja wirklich einen guten Geschmack", grinst sie breit und nimmt mir das Handy aus der Hand, um Vahap genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie schaut sich jedes Bild mehrere Minuten an und untersucht jedes kleinste Detail. „Wie viele Tattoos sind das?", fragt sie irgendwann und lässt mich unwillkürlich grinsen. „Viele. Aber nichts aktuelles. Das neuste ist von vor fünf Jahren", verteidige ich ihn, obwohl er das nicht nötig hat. „Ich denke, dass ich sein Aussehen nun ausreichend kritisch betrachtet habe. Ich bin ganz Ohr junge Dame", meine Mutter sperrt die Tasten meines Handys und schaut mich auffordernd an. Mit einem Nicken gebe ich ihr zu wissen, dass ich jetzt anfangen werde und atme tief durch.

Ich erzähle ihr von unserem ersten Aufeinandertreffen, als ich ihn fasziniert angestarrt hatte, von unserem Aufeinandertreffen im Labor und wie sich unsere Freundschaft mit ihm und Gerrit entwickelt hat. Erzähle ihr von dem Abend, an dem er Fieber hatte und von dem Morgen, an dem er mich verscheucht hat. Ich erzähle ihr von dem Tattoo auf seinem linken Oberbauch, und dass das der Grund war, warum er mich von sich gestoßen hat.
„Er erinnert mich irgendwie an deinen Vater", wirft meine Mutter darauf ein und lässt mich unwillkürlich lächeln. „Er war nur nicht so tapfer wie Baba", ich grinse sie breit an.

Meine Eltern hatten sich ebenfalls während ihrem Studium kennengelernt, damals waren sie Nachbarn. Mit der Zeit haben sie sich besser kennengelernt, haben sich angefreundet, mein Vater hat ihr eine Werkstudentenstelle bei Daimler vermittelt. Sie sind gute Freunde mit unausgesprochenen Gefühlen füreinander geworden. Als sich nach einiger Zeit dann herausgestellt hat, dass einer der guten Freunde meines Vaters — Mevlüt Amca — der Schwarm meiner Mutter zur Schulzeit war, hat sich mein Vater von meiner Mutter abgewendet. Sie ist über die Semesterferien zu ihren Eltern gefahren, während er in seiner Wohnung verweilt und ständig an sie gedacht hat. Mit dem Ruck seiner Freunde hat mein Vater dann kurz vor Ende der Semesterferien beschlossen, dass er das mit meiner Mutter geradebiegen muss, denn sein Leben war so leer ohne sie. Aber er hatte damals beschlossen erst den Segen meines Großvaters, also des Vaters meiner Mutter, einzuholen, ehe er meiner Mutter seine Gefühle gesteht. So war er an einem Morgen aus Stuttgart nach Kassel gefahren, hatte an der Tür meiner Großeltern geklopft und meinen Großvater um ein Gespräch gebeten. Sie hatten an dem Tag gesprochen, mein Vater hatte sich und sein Verhalten erklärt, hatte sich dafür entschuldigt, meine Mutter verletzt zu haben und hatte meinen Großvater um Erlaubnis gebeten, seine Tochter näher kennenzulernen.

„So verrückt wie mein Azadî (Freiheit; Spitzname von Minas Vater) kann vermutlich niemand sein", entgegnet meine Mutter lachend und schüttelt mit dem Kopf. „Doch von ihm kann ich sowas ähnliches auch erwarten", sie deutet mit ihrem Zeigefinger auf das Handy, das in ihrem Schoß liegt. „Er hat einen ganz kleinen Hang zur Verrücktheit", steuere ich ihr bei und realisiere im selben Moment welch großes Segen ich habe.

GeziertWhere stories live. Discover now