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"Raelynn...?"
Schon seit knapp zwei Stunden lagen wir im Bett, hinter mir war das regelmäßige ein und Ausatmen des Alpha zu hören und von draußen der, langsam aber sicher, wieder beginnende regen, welcher mit einer Selbstverständlichkeit gegen das dünne Glas des Fensters prasselte.
Mein Magen hatte nach der Hälfte des Tellers mehr als nur rebelliert und jetzt hatte ich das Gefühl, als würde ich mich gleich im hohen Bogen übergeben.
Der Ältere hatte seinen Arm eng um meine Taille geschlungen, machte das starke Gefühl der Übelkeit nicht gerade besser.

Der tief schlafende Alpha reagierte nicht auf meinen Namen, ließ mir also nur die Wahl ihm einen Tritt gegens Schienbein zu verpassen und auf zu springen, als die Nudeln sich auf den Weg an die Oberfläche machten.
Ich bekam das Zischen des verwirrten Raelynns schon gar nicht mehr mit, als ich mit den Knien auf dem Fußboden des Bades landete und die gebratenen Nudeln zurück an das Licht der Welt beförderte.
Ein paar Schübe, dann war das unangenehme Gefühl wieder verflogen.
"Lia... alles okay?", eine Hand legte sich auf meinen Rücken, der besorgte Blick der grünen Augen musterte mich unablässig.

"Ja... war wahrscheinlich nur zu viel.", zittrig hiefte ich mich wieder hoch auf die Beine, drückte den Hebel an dem Kasten voll Wasser und ging mir den Mund auswaschen.
Der Alpha verzog das Gesicht, warf mir einen entschuldigenden, verschlafenen Blick zu.
"Hast du wenigstens etwas geschlafen?", kurz blieb es still, dann schwenkte sich mein Kopf hin und her, mein Blick senkte sich.
"Warum hast du mich nicht geweckt..?", als ob ich es nicht versucht hätte. Leise seufzte ich.
"Weil du mal n bisschen Schlaf gebrauchen kannst.", seine Augenbrauen schossen in die Höhe, "Und du etwa nicht?", leise knurrte er.

Ohne etwas weiteres zu sagen verließ ich das Bad, diese Diskussion konnte gerade wohl keiner von uns gebrauchen.
"Ich gehe noch etwas raus.", die Stimme der Wölfin in meinem Kopf schrie nach Bewegung, den Fasern des weichen Mooses, welche an ihren empfindlichen Ballen kitzelten, dem Gefühl des herbstlichen Windes in ihrem Fell, der Geruch des sich langsam sammelnden Taues auf Blättern und Wiesen.

"Ich komme mit.", und schon war er wieder an meiner Seite. Verschlafen und nur mit Jogginghose bekleidet, öffnete er die Tür, schob mich sanft hinaus in den langen, leeren Flur.
Meine Füße bewegten sich wie von selber zu der schwarzen Treppe, rannten halb die einzelnen Stufen hinab und flüchteten vor dem stampfenden Alpha, welcher mir mit einem verspielten Grinsen nach sprintete.
Ein leises quietschen entfuhr mir, als Raelynn nur noch wenige Zentimeter hinter mir war, Adrenalin schoss mir in die Adern, meine Lippen formten sich zu einem Grinsen und meine Füße begannen nun wirklich zu rennen.
Durch den Flur mit den Regalen hindurch den Ballsaal, raus ins Freie.

Ich rannte Richtung Wald, ignorierte, dass meine empfindlichen Füße sich nackt und schutzlos über die groben Straßen abrollten, sich hier und da ein Stein versuchte in meine Haut zu bohren, kurz darauf jedoch mit einem leisen Klacken davon flog.
Ich schrie erschrocken auf als sich zwei Arme um meine Taille Schlangen, mir den Boden unter den Füßen entzogen und ich mich in der Höhe von zwei Metern auf einer Schulter wieder fand.
"Wir gehen nicht in den Wald.", trotz des leisen Lachens, welches noch immer in seiner muskulösen Brust zu hallen schien, klang seine Stimme ruhig und bestimmend, beinahe schon angespannt.

Der Alpha drehte sich vom Wald weg, ich sah zu der verlockenden Dunkelheit der hohen Bäume empor. "Warum nicht?", meine Hände stützten mich an seinem Rücken hoch, ich drehte mich so gut es ging zu dem Hinterkopf des Alpha um. "Weil ich das sage.", die Anspannung war ihm nun klar an zu hören, ich verzog das Gesicht, tausende von Worten und Fragen machten sich in meinem Kopf breit.
"Raelynn, das ist keine Antwort.", ein abfälliges schnauben entkam mir, ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. "Find dich damit ab.", er klang kalt, war nicht mein Mate sondern der Alpha dieses Rudels.

Nightmare - please Trust meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt