Epilog. Oder so.

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Mit starrem Blick verfolgte er die kleinen Quadrate auf dem Monitor. Fünf Situationen, in Kurzfilmen eingefangen, alle zeigten einen anderen Abschnitt aus den letzten zwölf Monaten, auf die er mehr Einfluss gehabt hatte, als er gewollt hatte. Es hätte so einfach sein sollen, er hätte sich nicht weiter darum gekümmert, er war ja schließlich ein - nun ja - gottverdammter Gott, wenn sein großer Bruder Poseidon ihm nicht ständig in den Ohren gelegen hätte.

Und nun stand er hier vor seinem Mini-Fernsehen (Marke Hephaistos) und betrachtete die kleinen Filme zum zigsten Mal.

In dem ersten Film waren zwei Teenager zu sehen, ein großer Junge mit zerzaustem dunklen Haar und ein deutlich jüngeres Mädchen mit einer roten Mütze auf ihren geschmeidigen Locken. Der dunkle Braunton ihrer Haare, der beinahe ins Schwarz überging, ließ genauso darauf hinweisen, dass die beiden Geschwister waren, ebenso wie die eindrucksvollen, machtausstrahlenden grünen Augen.

Sie sprangen nacheinander aus einem großen Bus in einer schmutzigen Straße in Bronx, New York, die zahlreiche hohe Blocks säumten. Der Junge überreichte seiner Schwester ein orangefarbenes T-Shirt und einem Lederhalsband, an dem eine Perle hing und umarmte sie zum Abschied. Er zerzauste ihr das Haar, das Mädchen sagte etwas und beide lachten. Dann drehte sich das Mädchen um und bog in eine Querstraße ein. Eine Weile stand der Junge da und sah ihr nach, während er sich mit dem Handrücken übers Gesicht wischte.

In dem Magen des Gottes rumohrte es. War das schlechtes Gewissen? Oder nur Hunger? Das Frühstück war schon mindestens drei Stunden her.

Das zweite Video zeigte eine kleine untersetzte Frau, deren graues Haar leuchtend von ihrer dunklen Kopfhaut abstand. Sie stand im Eingang einer Wohnung und sah dem Mädchen aus dem ersten Film mit ausdrucksloser Miene entgegen. Das Mädchen wirkte sehr nervös, es spielte an seinem Schlüsselanhänger ihres Koffers herum - nein, Moment, das war ein Saxofonkasten. Die Frau blieb etwa zehn Sekunden regungslos stehen, dann trat sie einen Schritt zurück und ließ das Mädchen in den engen Flur eintreten.

Das dritte Video spielte offensichtlich in genau dieser Wohnung. Das Mädchen, inzwischen ein wenig größer und muskulöser, stand vor einem schmutzigen Spiegel in einem vollgestellten Zimmer. An den Wänden reihten sich Bücherregale, Kartons, Teppichrollen, Regale mit Handtüchern und anderen Badutensilien und an den wenigen freien Flecken Bilder, anscheinend selbstgezeichnet. Auf den meisten waren andere Jugendliche zu sehen, auf den anderen die Landschaft von Camp Halfblood, ein Wald, ein Schlachtfeld und ein von Wolken bedeckter Himmel.

Das Mädchen trug grüne Hochwassercordhose mit zahlreichen Flicken, die mit buten Buttons verziert waren und einer abgewetzten Dolchscheide am Bund. Das Mädchen band sich die Haare zu einem langen Zopf und blickte sich im Spiegel an. Mit einem resignierten Seufzer griff es nach einem roten Schulrucksack und verließ das Zimmer.

Auch Zeus gab einen Seufzer von sich. Wirklich, diese Wohnung war ja der reinste Saustall. Wenn er könnte, würde er dem armen Mädchen und seiner Großmutter ein Appartment in Manhatten kaufen, doch dazu war er erstens nicht in der Lage, wegen dieses vermaledeiten Fluch und zweitens war er sich nicht sicher, ob er so viel Geld für ein freches Mädchen und eine unfreundliche alte Frau ausgeben wollte.

Im vierten Film stand das Mädchen im Central Parc, den Dolch in der Hand, am Gürtel ein Langschwert baumeln. Mit geübten Hieben trieb das Mädchen zwei junge Frauen mit schweren Metallbeinen zurück, die wütend fauchten, doch es gelang dem Mädchen, die Empusen in gelblichen Monsterstaub zu verwandeln.

Verschwitzt und erschöpft ließ es die Schultern hängen und wischte sich über die nasse Stirn. Sein Blick richtete sich auf eine Stelle zwischen den Bäumen und blieben an zwei Jungen hängen, die auf einer Bank saßen und sich eine Pizza teilten. Der eine Junge hatte einen bloden Lockenkopf, der andere erinnerte ihn mit seinen schwarzen Haaren und dem mageren Körper an seinen großen Bruder, Hades. Der Blonde redete auf den anderen ein, der eine Weile geduldig zuhörte und seinem Gegenüber dann mitten im Satz ein Stück Pizza in den Mund schob.

Der Mund des Mädchens verzog sich schmerzhaft, als ob es mit sich kämpfen würde. Doch schließlich wandte es sich ab und lief durch den Park den langen Weg zu ihrem Zuhause.

Diesen Filmen konnte er problemlos folgen. Sie beschrieben einfach nur das Schicksal einer Heldin, die, wie es sich seiner Meinung nach für Teenager gehörte, also in die Schule ging und ab und zu Monster erstach. Nichts besonderes eben.

Aber das letzte Video, das konnte er nicht deuten. Es wirbelte durcheinander wie ein Wirbelsturm und es sah aus, als hätte sich die Kameraperson wahnsinnig schnell im Kreis gedreht hätte. Man erkannte nur verschwommene Farben, grün, lila, braun, beige, türkis, rot und dunkelblau. Und ein oder zwei Mal ein Gesicht, doch niemals mit klaren Umrissen. Was mochte das bedeuten? War diese Situation Zukunft? Oder wollte sie nicht, dass er sie sah?

Nachdenklich legte er den Schalter am äußersten Rand des Monitors um und dieser verschwand, mit ihm die Filme aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er wusste nicht, ob sich das ganze gut auflösen würde, was er dem Kind eingebrockt hatte. Der Bruder des Mädchens hätte seine Schwester vergessen können oder denken, dass der Fluch doch nicht befristet war. Obwohl er sich eigentlich sicher war, dass das nicht passieren würde. Percy Jackson hatte so einen nervigen Zug an sich, dass er nicht ruhen konnte, bis es denen, die er am meisten liebte, gut ging.

Vielleicht würde es auch diesmal so sein. Percy Jackson würde merken, wann der Fluch aufgehoben war.

Er breitete die Arme aus und die deckenhohen Panoramafenster öffneten sich zu einem großartigen Blick auf Manhatten. Mit einem tiefen Atemzug schloss er die Augen und trotz der hellen Sonne am Himmel grollte tiefer Donner über die Häuser. Percy Jacksons innerer Radar würde ganz schön abdrehen sein, an "Gods/Gentleman 16/20".

THE END

An alle, die dieses Buch gelesen, dafür gevoted oder einen Kommentar hinterlassen haben: Danke! Wirklich, ein ganz großes Danke! Diese Geschichte bedeutet mir viel. Ich habe ein Teil meiner Seele in dieses Buch gepackt.

Danke an alle, die das Buch aufmerksam und mit Freude und vielleicht auch mit dem ein oder anderem Lächeln auf dem Gesicht, gelesen haben! Danke!

Natalie BrightOnde histórias criam vida. Descubra agora