Schlangen und Weissagungen (ehrlich Apollo, muss das sein?)

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Eigentlich war es kein Sturz. Sie schwebte eher langsam nach unten. Das Feuer umwirbelte Natalie und sie sah nichts außer Gelb und noch mehr Gelb. Die Hitze verbrannte ihre Kleidung und drückte auf ihre Lunge. Ihr Mund wurde trocken und sie überkam ein widerliches Gefühl, als ob ihr Gaumen sich abschälen würde. 

Schließlich wurden die Flammen weniger und frischere Luft kam von unten herauf geweht. Der Boden war nicht zu sehen, deswegen war der Aufprall völlig unerwartet.

Natalie war nicht gut im Abrollen. Zum Glück war der Boden weich. Natalie blieb noch eine Minute lang liegen, das Gesicht in etwas weiches und staubiges gepresst, bis sie ein leises Ticken hörte.

Sie richtete sich auf. Sie befand sich in einem großem Raum, an dessen Wänden sich dicke Rohre langzogen. Der Ausgang war ein großes rundes Loch, vermutlich ein weiteres Rohr.
Der Boden war mit dicken Teppichen ausgelegt und es war beinahe gemütlich hier, wäre es nicht so heiß gewesen.
Die Rohre an der Wand, vermutete Natalie, waren Heizungsrohre. Die Decke bildete eine Art Mosaik aus Flammen, die Wörter auf Altgriechsich formten. Zu ihrer Überraschung konnte Natalie jedes Wort verstehen.

Der Wege folgen muss die Scheinende

da er im Nichts feststeckt.

Ohne sie er muss bleiben dort

und niemals kehren zuück.

Die Blüte wird verwelken und ihre Samen strecken

zu ihm, der fällt hinein in ihres Schwestern Hand.

Zerstörung des Erbes, das ist der Weg

den das Wasser zu nehmen braucht

um des Ahnen Qualens zu verringern.

Natalie hatte absolut genug von Weissagungen, vor allem, weil sie so geschrieben waren, dass man sie nicht verstand. Es wäre wirklich nicht schwer, wenn die Weissagungen in normaler Sprache geschrieben würden, damit man die Dinge einfach ausführen konnte.

Doch sie entdeckte etwas neben der ersten Zeile: Eine kleine Hand wob sich aus den Flammen und deutete in die Richtung des Lochs. Offensichtlich musste sie durch das Loch, um die nächsten Orte zu erreichen.

Natalie brauchte den Zettel mit der Weissagung, den Rachel ihr gegeben hatte, nicht. Wegen ihres Großvaters Apollo (das klang durch und durch falsch, da er gleichzeitig ihr Cousin war) konnte sie sich die Weissagung nach einem Mal lesen merken.

Hindurch einer Schlangenkammer hinein in das Reich dessen, der sich die Sonne nennt...

"Yay", murmelte sie und straffte die Schultern. "Schlangen sind ja meine absoluten Lieblingstiere.

Sie durchquerte den Raum und kletterte in das Loch, den Eingang in ein großes Rohr.

Gut war, dass es hier nicht mehr so heiß war. Schlecht war, dass die Musik wieder losging. Sie hallte laut von den dunklen Wänden wider. Der Boden und die Wände waren glatt, dadurch war es schwerer, voranzukommen. Das Rohr wand sich nach einigen Metern nach links. Natalie ging vorsichtig um die Biegung. Wieder ging es einige Meter geradeaus, bevor es nach rechts  abbog.  Natalie zog ihren Dolch. Die himmlische Bronze erhellte den Weg, ansonsten war es stockdunkel. Sie machte sich auf den Weg.

Immer wieder bog sich das Rohr und führte sie immer weiter vom Ausgang weg. Schließlich ging Gang nur noch geradeaus. Ganz am Ende erkannte Natalie ein schwaches grünes Licht. Nach Stunden, wie es ihr vorkam, trat sie in irgendetwas glitschiges und rutschte aus.

"Autsch!" Sie knallte auf ihr Handgelenk und hätte sich fast in den Arm gestochen. Das Glitschige machte ein zischendes Geräusch. Natalie stand vorsichtig auf und hielt ihren Dolch in höher.

Auf dem Boden wand sich eine grün-beige, mit Schleim überzogene Schlange. Sofort stülpte sich Natalies Magen um. Die Schlange war in zwei Teile geteilt worden. Der Teil mit dem Kopf fauchte und bäumte sich auf. Das Hinterteil schlug nach Natalie aus. Sie schlug nach dem Schwanz und trennte ihn glatt durch. Er zerbarst zu einer Staubwolke. Der Kopfteil fand das gar nicht lustig. Er schoss nach vorn und traf Natalie an der Schulter. Sie taumelte zurück und stach ihren Dolch in den Rachen. Die Schlange schrie. Noch nie hatte Natalie eine Schlange schreien hören. Der Schrei war genauso wie die Musik, er hallte in ihr wider und vervielfältigte den Laut auf das Hundertfache. Die Schlange fiel in sich zusammen und blieb als grüner Staubhaufen zurück.

Zitternd lehnte Natalie sich an die Wand. Ihre Schulter schmerzte und sie war außer Atem, weniger wegen der Anstrengung des Kampfes als von dem Schock. Sie verstand nicht, wie andere Helden und Heldinnen tausende solcher Kämpfe hintereinander ausführen konnten, ohne Angst und schlechtem Gewissen, ein lebendes Wesen umgebracht zu haben; sie verstand nicht, wie sie einfach weitermachen konnten.

Sie stand noch eine Minute da, bis sie sich von dem Schock erholt hatte und schlitterte in die Richtung des Lichts am Ende des Rohres.
Während sie ging wirbelten ihr Gedanken durch den Kopf. Wieso war die Schlange in zwei Teile geteilt gewesen? Hatte sie schon jemand versucht durchzutrennnen und es hatte nicht funktioniert? Und wenn das stimmte, wieso hatte es nicht funktioniert? Nach einem solchen Hieb hätte die Schlange tot sein müssen.

Die Musik wurde lauter. Als Natalie  am Ende des Rohres angekommen war, zerfetzte die Musik ihr das Trommelfell.

Vorsichtig lugt Natalie durch die Öffnung und ihr klappte die Kinnlade herunter.

Vor ihr erstreckte sich ein Wald so weit sie blicken konnte. Die Erde war feucht, als ob es geregnet hätte, was sicher nicht der Fall gewesen war, denn auch hier war es drückend heiß. Der Boden wimmelte von runtergefallenen, grünen Blättern und - wieder wurde ihr schlecht - von durchgetrennten Schlangen. Was zum Tatarus sollte das denn? Und wieso waren hier Bäume? Das war nicht Apollo-like. Das passte höchstens zu Artemis, Pan oder vielleicht auch Demeter, aber Apollo?

Eigentlich hätte Natalie gedacht, dass es die Schlangenkammer war, wegen der Schlangen und überhaupt, wenn die Musik nicht gewesen wäre. Sie schien von weit herzukommen und dennoch wurde Natalie von der Musik zerrissen. Ihre schlimmsten Erinnerungen kamen hoch und eine Sekunde lang stand sie vor dem Empire Stand Building, Clarisse stand vor ihr und hob ihr Schwert...

Dann war sie wieder zurück im Wald unter der Leier. Sie schwankte leicht. Diese Hitze! Sie zog sich die Schuhe aus und kletterte aus dem Rohr und ging zu den Schlangen und beugte sich über sie. Auch diese hier waren nicht gestorben, sie zuckten schwach und versuchten, ihr jeweiliges Hinter - oder Vorderteil zu finden, doch kaum, dass Natalie sich ihnen näherte, zerbarsten sie zu Monsterstaub.

Natalie keuchte erschrocken auf und wich zurück, als sich der Staub sammelte und auf dem Boden ein Bild bildete. Eine Hand. Sie zeigte tiefer in den Wald hinein.

Stöhnend richtete Natalie sich auf. Von dort kam die Musik. Hurra, noch mehr Leiden! Sie warf einen letzten Blick auf das Heizungsrohr. Ihre letzte Verbindung zum Ausgang würde sie nun kappen, jetzt gab es keinen Rückweg mehr. Nach einem tiefen Atemzug drehte sie sich um und marschierte in den Wald hinein.

Natalie BrightWhere stories live. Discover now