Albträume und andere Idioten

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Natürlich hatte Natalie Albträume. Sie war schließlich eine Halbgöttin und sie hatte schon immer schlimme Albträume gehabt.

Doch dieser war besonders schrecklich.

Das Camp lag ruhig und dunkel im Tal, als könne ihm niemand etwas anhaben. Natalie stand oben auf dem Hügel neben der Fichte und hatte einen großartigen Blick auf das Camp.

Ein Schrei zerriss die Nacht. Er schien keinen richtigen Ursprungsort zu haben, er kam eher von überall. Dann ein Zischen und Sausen durch die Luft und ein brennendes Etwas fiel vom Himmel mitten ins Camp. Natalie schrie, doch sie hörte keinen Ton.

Die Flammen loderten besonders stark auf und strahlten so viel Hitze aus, dass das Gras Feuer fing. Aus den Flammen formte sich ein Mann, dessen Züge und Umrisse verzerrt waren. Er wandte sein von Grauen erfülltes Gesicht Natalie zu und sagte: "Räche mich!"
Seine Stimme war schrecklich, tief und so laut, dass die Fenster der Hütten zersprangen.

"Räche mich, Natalie Bright. Finde den Kern. Gehe durch die Schichten und zerstöre den Kern. Nur du bist im Stande, der Macht zu widerstehen. RÄCHE MICH!"
Der Mann explodierte und setzte alles in Brand.
Das Etwas, das vom Himmel gefallen war, gab einen Ton von sich, dann noch einen. Schließlich stimmte es zu einer grauenvollen Musik an, die Natalie innerlich zerriss. Eine unsichtbare Macht zog sie vom Hügel runter und auf das Etwas zu. Beim Näherkommen erkannte sie, was es war: Eine Harfe. Oder besser, eine Leier.
Einzelne Saiten lösten sich und wickelten sich um Natalies Handgelenke. Sie schrie und schrie, als vor ihren Augen alles gelb und sie ins Feuer gezogen wurde.

"Aufstehen, Muschelkopf!" Natalie spürte, wie ihr jemand die Decke wegzog.

"He!" Wütend schlug Natalie die Augen auf.

Die Sonne schien in die Poseidonhütte und ließ alles in Blau- und Grüntönen erstrahlen. Percy stand am Fenster, ihre Decke in der Hand und schelmisch grinsend.
"Tut mir leid, Muschelkopf, aber du musst so langsam mal aufstehen, wenn wir rechtzeitig zum Frühstück kommen wollen."

Natalie grunzte. Sie wühlte sich aus dem Bett und verschwand im Waschraum. Während sie sich mit kaltem Wasser das Gesicht wusch, dachte sie über ihren Traum nach.

Den Mann kannte sie nicht, er hatte nicht ausgesehen wie ein Mensch oder ein Gott, eher wie eines der Monster, die Natalie am Tag zuvor gesehen hatte: Hässlich, verzerrt, verbittert.
Doch der Mann war kein Monster. Natalie wusste nicht, wieso ihr das so klar war, aber sie warsich sicher, dass er kein Monster war. So wie sie sich sicher war, dass ihre Haare fürchterlich aussahen.

Natalie starrte in den Spiegel. Ihre Locken standen von allen Seiten ab. Sie dachte daran, dass alle gesagt hatten, sie könnte eine Tochter des Apollo sein.
War es möglich, dass ihre Mutter eine Tochter des Apollo war? Die Leier in ihrem Traum... Die Leier war das Musikinstrument des Apollo und der Mann hatte gesagt, räche mich. Das könnte bedeuten...

Ihr Gedankengang wurde von Percy unterbrochen, der ihr mitteilte: "Wir haben noch zehn Minuten!"

"Okay, bin gleich soweit." Schnell schlüpfte Natalie in die Jeans, die das Aphroditemädchen ihr gegeben hatte. Sie passte zum Glück wie angegossen, doch Natalie bemerkte einen großen Riss am Knie und zahlreiche Löcher an den Schienbeinen. Seufzend zog sie sich das T-Shirt über, das zerknittert und ein wenig zu kurz war, doch das war okay. Natalie ging davon aus, nicht gerade beliebt zu sein, nachdem sie allen gestern Abend eine Extradusche verpasst hatte.

Natalie BrightOnde histórias criam vida. Descubra agora