Kapitel 13

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EVAN

Die Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen, bevor ich den Hörer richtig am Ohr hatte. Mein Besuch überraschte ihn mindestens genauso sehr wie mich. Niemals hatte ich geglaubt hier zu sitzen. Gegenüber von dem Mörder meiner Eltern. Der Mann, der meiner Familie so viel Leid zugefügt hatte. Und dennoch saß ich hier. Für das Mädchen, das ich liebte. 
Für einen kurzen Moment war er regungslos, starrte mich an, als wäre es schon mehrere Jahre hergewesen, das er mich das letzte Mal gesehen hatte. Dann grinste er. Es war ein schäbiges Grinsen, das mich innerlich brodeln ließ. 
"Was für eine Überraschung", lallte er, als wäre er betrunken. Er sah müde aus. Todmüde. Und es verschaffte mir Genugtuung zu sehen, wie sehr er in seiner Zelle litt. Kaum Tageslicht und mehrere Gleichgesinnte, mit denen sicherlich nicht zu spaßen war. Es war ein zu befriedigender Anblick. Ich musste schwer schlucken, als er ein Stückchen näher an die Scheibe rückte. 

Seine Haare hatten einen leichten Grauton angenommen. Er war innerhalb eines Jahres so sehr gealtert, dass man ihn kaum wiedererkannte. Aber diese Augen würde ich nie vergessen. Niemals. 
"Was führt dich her?" Er biss sich auf die Unterlippe und drückte den Hörer näher an sein Ohr. Für einen zu langen Moment blieb ich still, doch Wesley war nicht ungeduldig. Er hatte immer hin noch sein ganzes Leben in seiner Zelle.

"Es geht um, Elenor." Sein gleichgültiger Gesichtausdruck wandelte sich. Und es verwunderte mich. Ich dachte, Elenor wäre ihm egal. Besonders, nachdem sie ihn verraten hatte. Aber ich schätze, egal wie viel Scheiße ein Kind doch zu bauen vermag, ist es für die Eltern dennoch nicht leicht es zu hassen. Das hatte ich am eigenen Leib miterfahren. Mein Vater hatte mich einige Male so gerne dem Erdboden gleich machen wollen. Doch seine Liebe für mich, hatte dennoch jedes Mal überwiegt. Und so sehr ich auch sauer auf ihn gewesen war, von Hass konnte ich nie sprechen. 

"Was ist mit ihr? Braucht sie Geld?" Wesley schien urplötzlich amüsiert. Vielleicht konnte er sich nicht vorstellen, wie sein unschuldige Tochter jemals in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sollte. Mein Faust landete mit voller Wucht auf den Tisch und erschreckte die Personen neben mir, die ebenfalls mit dem Gefangen sprachen, der ihnen gegenüber saß. 

"Das hier ist nicht witzig!", fauchte ich leise, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wesleys Augen verengten sich zu Schlitzen und ich konnte endlich von Sorge sprechen, die ich in seinen Augen erkannte. "Elenor, sie wurde entführt." Meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern und Wesley ließ automatisch die Schultern hängen. Er schluckte schwer und seine Haut nahm wieder diesen blassen Ton an, die sie auch hatte, als ich vor ihn getreten war. 
"Wie konnte das passieren? Wer hat sie entführt?" Er stellte eine Frage nach der anderen. Und ich berichtete ihm alles, was ich wusste. Es fühlte sich seltsam an, wichtige Informationen mit ihm zu teilen, aber er war im Moment meine einzige Chnace Elenor zu finden. "Du hättest auf sie aufpassen müssen! Es war dein Job, dafür zu sorgen, dass sie in Sicherheit ist!" Seine Vorwürfe trafen mich seltsamer Weise genau dort, wo es wehtat. Im Herzen. Und das nur, weil ich mir darüber im Klaren war, dass er recht hatte. Ich hätte sie niemals alleine fahren lassen sollen. Ich hatte Wesley noch nie derartig hysterisch gesehen und für einen kurzen Moment, ja für eine Millisekunde, hatte ich Mitleid mit ihm. "Es muss dabei um dich gehen. Die ganzen Notizbücher müssen eine Bedeutung haben. Also, wer will sich an dir rächen." Er fuhr sich durch das Haar. "Das ganze, verfluchte, Land."

ELENOR

"Also, Elenor. Wie gut bist du im Kampfsport ausgebildet?" Die Frage konnte er sich selbst beantworten. Bis auf wenige Selbstverteidigungskurse, die Evan mit mir verbracht hatte, konnte ich genauso gut Kämpfen, wie ich Spanisch sprechen konnte. Nämlich null.
Mein Mund blieb verschlossen, und ich war besonders gut darin, lange Zeit kein Wort zu sprechen. Und es ging ihm auf die Nerven. "Jetzt sag nicht, du hast dein Stimme wieder verloren." Ich zuckte mit den Schultern und blieb solange in meiner Rolle, bis er mich unsanft packte und mein Kinn so weit nach oben drückte, dass mir ein eisener Schmerz durch den Nacken fuhr. 
"Ich frage dich nicht noch einmal, Süße." "Nenn mich nicht so!", zischte ich wütend und sein Griff wurde härter. Er stütze sich mit der anderen Hand auf meinem Oberschenkel ab und das so fest, dass ich zusammenzuckte und mich mehrere Male unter seinem Griff wand.
"Also, halten wir fest: Du kannst gar nicht kämpfen. Dann wird der Auftrag nicht so ein Zuckrschlecken für dich. Aber ich mag es sowieso lieber, wenn meine Gefangenen etwas leiden." Ich weigerte mich ihm in die Augen zu sehen. Ich wollte nicht, dass er meine Angst sah. 
Sei stark, Elenor. "Meine Rache an deinem Vater wird bittersüß werden. Und wenn sie dich nicht umbringt, habe ich einen guten Platz für dich hier bei mir gefunden." 

Rescue - Für die Stimme in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt