Carpe diem... 22

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Kapitel 22: Börsenkurse und zwischenmenschliche Beziehungen

"Guten Morgen. Ich hatte nicht erwartet, dass du schon wach bist." Begrüßte mich Onkel Tim und stellte seine Reistasche neben der Treppe ab. "Wie bist du ohne mich zurecht gekommen?"

Jaaa... "Am besten du setzt dich." Sagte ich steif, woraufhin Tim sofort sein Lächeln verlor und bestimmt ahnte, dass es Schwierigkeiten geben würde. "Und bitte lass mich ausreden, bevor du mich aus dem Haus wirfst, oder so. Hör dir wenigstens die ganze Geschichte an."

"Okay. Versprochen." Nickte er und ließ sich auf das Sofa sinken. Ich wusste, er würde in der Stellung bleiben, bis ich wirklich richtig fertig war, aber...

Wo sollte ich nochmal anfangen? Fuck... Das hier war wirklich schwierig. Eigentlich sollte es mir egal sein, was der Penner von mir dachte. Naja, dem alten Ty wäre es egal gewesen, aber er hatte mich in den letzten Monaten echt gut behandelt und war fair gewesen. "Also. Leah und ich sind zu Spice gefahren und haben mit den Jungs abgehängen und dann sind wir los zur Bar..." Ich erzählte ihm alles knapp zusammen gefasst. Von der Schlägerei, meinem Knastaufenthalt, wie Mitch mich rausholte, der Anwältin und dem kommenden Gerichtstermin. Und natürlich auch meines Abkommens mit Elija.

"Die Kaution ist zurück an Mitch gegangen, also habe ich da keine Schulden. Die Anwältin hat umsonst gearbeitet, als Gefallen für Mitch. Bleibt nur noch das Geld was bei dem Deal draufgegangen ist. Das waren knapp fünf Tausend Dollar. Keine Sorge, du brauchst es nicht zu zahlen. Ich habe einen Deal mit Elija. Er bezahlt es für mich und ich arbeite es bei ihm wieder ab, im Büro. Du weißt schon, als Laufbursche. Kaffee holen, Kopien ziehen, und so was. Außerdem hab ich dabei auch gleich die Chance mal zu sehen, was in so einem Unternehmen abgeht... Also lohnt es sich für mich am Ende noch."

"Und das hast du mir vorher nicht erzählt, weil..."

Ich konnte nicht mal erkennen, wie sauer er tatsächlich war. "Weil ich dachte, dass es scheiße ist dir sowas am Telefon zu erzählen und außerdem wollte ich... Ich glaube, ich musste mir selbst irgendwie beweisen, dass ich meine Probleme auch ohne dich auf die Reihe kriege, weißt du?" Erklärte ich ihm unsicher. Eigentlich hatte ich mir für genau diese Frage eine wunderbar eloquente Antwort zurecht gelegt, aber irgendwie konnte ich mich an kein einziges Wort erinnern.

Tim nickte und musterte mich ruhig mit seinen grauen Augen. Sein Gesichtsausdruck hatte sich die ganze Zeit über nicht geändert. Er trug ein Pokerface und das machte mich wahnsinnig. "Sag doch was..." Bat ich ihn.

"Ich bin stolz auf dich."

"WAS?" Ich sprang auf und sah ihn an, als wäre ihm gerade ein zweiter Kopf gewachsen. "Hast du mir die ganze Zeit über nicht zugehört? Ich habe dich enttäuscht, okay? Du solltest sauer auf mich sein und mich auf die Straße werfen! Wir hatten vereinbart, dass du mich auf die Straße wirfst!" Nicht gerade unglaublich schlau von mir... Aber ich war nun mal überrascht.

"Ja und?" Er zuckte mit den Schultern. "Du hast deine Probleme selbst gelöst. Hast einige schwierige Entscheidungen treffen müssen und Reife bewiesen, in dem du dich nicht für das entschieden hast, was du möchtest, sondern was das beste für dich ist. Ich wette, du hattest Probleme damit gegen Spice auszusagen." Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und ich musste einfach auf den Boden sehen und seinem Blick auzweichen. Ja, ich machte es immer noch nicht gern und das erkannte Onkel Tim auch sofort.

"Außerdem hast du nicht den leichten Weg gewählt, zu mir zu kommen und von mir rausgehauen zu werden, sondern den schwereren, bei dem du aber wichtige Dinge dazu gelernt hast. Ich bin stolz auf dich. Wirklich stolz."

Meinte er das ernst? Oder verarschte er mich? Denn mich in so einer Situation auch noch zu verarschen, wäre doch wirklich richtig mies. "Kaufst du mir jetzt ein Auto?" Fragte ich ihn spöttisch. Aber irgendwie hatte er ja recht mit dem was er gesagt hatte. Ich hatte wirklich was dazu gelernt. Du kannst einfach nicht allen Leuten in deinem Leben vertrauen und es wird immer welche geben, die dich ausnutzen. Aber umso wichtiger sind dann die Menschen, die wirklich deine Freunde sind. So richtige Freunde, die dich nicht hängen lassen, egal was passiert und für die solltest du jeden dämlichen Tag im Jahr dankbar sein.

Carpe diem...Where stories live. Discover now