12. Die Ruhe vor dem Sturm

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Den ganzen Vormittag verbrachten wir im Wasser und ich schaffte es, den stechenden Blick meines Seelengefährten weitestgehend zu ignorieren. Irgendwann bekamen wir allerdings Hunger und liefen zu dem Platz, an dem Aidan, immer noch als Wolf, mittlerweile lag. Seinen Kopf hatte er auf die Pfoten gebettet, während seine Augen und Ohren meinen Bewegungen aufmerksam folgten. „Du musst echt mal lernen zu entspannen, Aid.“ meinte Helin zu ihm und setzte sich auf eine Decke, die sie schon vorhin hier ausgebreitet hatte. „Da hat meine Schwester wohl recht. Besonders, weil Lon es nicht so hat mit Werwölfen, die ihr Vorschriften machen. Nicht wahr, Süße?“ mischte sich auch Kaleb ein und benutzte jetzt auch noch einen doofen Kosenamen, der Aidan nur wütend machte. Mein Seelengefährte knurrte bedrohlich und stand auf. Er wollte klar machen, wer stärker war. „Spiel dich nicht so auf. Avalon würde nie zulassen, dass du mich verletzt.“ provozierte Kaleb jetzt auch noch und ich verspannte mich gestresst. „Du solltest ihn lieber nicht zu sehr provozieren.“ kam mir da unerwartet eine männliche Stimme zur Hilfe. Verdammt. Mein Blick flog zu Helin, die ihre Augen weit aufgerissen hatte und ihren Mate verletzt anstarrte. Jace schluckte hörbar und erwiderte den Blick unsicher. „Sei bloß leise du verdammtes Ar…“ begann Kaleb ihn anzufahren, aber Helin unterbrach ihren Bruder einfach. „Was machst du hier, Jace?“ Jetzt sah der Mate meiner besten Freundin hilfesuchend zu mir. Na wunderbar. „Ich habe mit ihm telefoniert.“ erklärte ich zögerlich und bekam einen verletzten Blick von Helin. Sie fühlte sich wohl von mir verraten. Nervös wich ich vor der Situation zurück und presste mich mit dem Rücken an Aidans Flanke. Sein weiches Fell kitzelte leicht, doch seine Wärme beruhigte mich ungemein. „Bitte lass uns reden, Helin. Ich will dir das erklären. Ich weiß, es ist unverzeihlich, aber ich will wenigstens, dass du die Wahrheit kennst.“ flehte Jace jetzt und sackte leicht zusammen, als seine Mate nichts erwiderte. „Du hast kein Recht mehr dazu. Wir gehen jetzt.“ knurrte Kaleb schließlich anstelle seiner Schwester und sofort flitzte Jace‘ Blick bittend zu mir. Verdammt. Wieso hatte ich mich nur darin eingemischt? „Hör ihm doch zu, Helin. Danach wirst du dich bestimmt besser fühlen.“ tat ich meinen Beitrag und presste mich noch dichter an Aidan, der mich beruhigend mit der Schnauze in die Seite stupste. Helins Blick wurde etwas weicher. Sie musterte mich kurz, bevor sie langsam nickte. „Wenn sogar Avalon der Meinung ist, es sei eine gute Idee, dann können wir reden.“ stimmte sie zu, warf ihrem Bruder einen warnenden Blick zu und ging dann mit ihrem Mate davon. „Was soll das, Avalon?!“ schrie Kaleb mich an, sobald die beiden außer Hörweite waren und ich spürte augenblicklich, wie Aidan sich anspannte. „Es ist besser so, glaub mir. Außerdem müsstest du das doch verstehen. Du liebst deine Mate über alles. Bei Jace ist das nicht anders. Er hat nur eben einen Fehler gemacht.“ beschwichtigte ich Kaleb langsam und griff nach meiner Tasche. Wenn Jace es richtig anstellte, würden wir heute noch zurück ins Internat fahren. „Sie ist meine kleine Schwester, Lon. Er hat sie nicht verdient, wenn er sie verletzt.“ gab Kaleb beleidigt zurück, aber mir war klar, dass er es dennoch einsah. „Wer hat sie sonst verdient, wenn nicht ihr Mate? Harry etwa?“ hakte ich provokant nach. Auf Harry war Kaleb noch schlechter zu sprechen als sonst jemand. Die beiden waren früher so gute Freunde, wie Helin und ich, doch dann hatte Harry Helin verlassen und es ist alles den Bachruntergegangen. „Na gut. Ich werde nichts sagen, aber wenn ein Mate seine bessere Hälfte einmal verrät, wird er es immer wieder tun.“ warnte Kaleb und ich sah schnell weg. Konnte man das auch auf Aidan anwenden? Er hatte mich mit Naomi schonmal verraten. „Es war nur ein Missverständnis, glaub mir.“ versicherte ich noch und legte dem Bruder meiner besten Freundin kurz beruhigend eine Hand auf die Schulter, bis Aidan wieder zu knurren begann. „Bis dann. War schön, dich mal wieder zu sehen.“ verabschiedete ich mich grinsend und lief lächelnd in den Wald. Mein Seelengefährte tapste mir direkt hinterher und schien mich keinen Moment aus den Augen lassen zu wollen. Genervt wandte ich mich ihm zu und hob auffordernd eine Braue. Er sollte sich gefälligst wieder in seine menschliche Form wandeln. Er benahm sich so unmöglich. Er schnaubte und lief einfach an mir vorbei in Richtung meines Hauses. „Jetzt verwandle dich wieder zurück. Ich lasse dich sicher nicht als Wolf in das Haus meiner Familie.“ grummelte ich und eilte ihm hinterher. Noch ein Schnauben, doch dann sah er es wohl ein und lief kurze Zeit später wieder in Menschenform neben mir. „Zufrieden?“ brummte er unglücklich, wirkte aber zumindest wieder etwas entspannter als vorhin am See. „Ja.“ antwortete ich knapp, versuchte jedoch, nicht allzu unfreundlich zu sein. Ich sollte ihm schließlich noch etwas dankbar dafür sein, dass er uns hierhergefahren hatte. Den restlichen Weg schwiegen wir und sobald wir im Haus waren, verzog Aidan sich ins Gästezimmer. Seufzend ging ich in die Küche und begann Mittagessen zu kochen. Vielleicht war er einfach hungrig und deshalb so schlecht gelaunt? Bei mir kam das durchaus schon öfter vor. Als ich fertiggekocht hatte, klopfte ich an seine Tür, doch er reagierte nicht. Was hatte er denn nur? Seufzend nahm ich mir eine Portion mit in mein Zimmer und ließ den Rest in der Küche stehen. Vielleicht wollte er nicht mit mir reden. Und tatsächlich. Kurz darauf hörte ich ihn in die Küche gehen und sie etwas aus den Töpfen nehmen. War ich vielleicht etwas zu weit gegangen, als ich meinte, nur meine Instinkte wollten ihn und ich nicht? Solange er nicht mit mir redete, würde ich es wohl nicht herausfinden. Ich aß mein Mittagessen und ging dann in den Hobbyraum, um etwas zu lesen. Ich hatte schon lange kein gutes Buch mehr gelesen. Im Internat kam ich einfach nie dazu. Ich wählte einen alten Fantasyroman, den meine Mutter unglaublich gern gelesen hatte. Larissa hatte es mir gesagt und seitdem las ich immer darin, wenn ich hier war. An manchen Seiten hatte meine Mutter sogar Kommentare hinterlassen, die ich mittlerweile alle auswendig kannte. Ich hatte mich ihr immer näher gefühlt, wenn ich sie las. Ich kam circa zur Hälfte des Buches, bis mein Handy begann zu klingeln. Ich hatte es mit dem von Aidan in den Hobbyraum genommen. Insgeheim hatte ich gehofft, mein Mate würde zumindest kommen, um sein Handy zurückzuholen, doch bis jetzt hatte er keine Anstalten gemacht, es zurück zu fordern. Ich würde es ihm später einfach vor die Tür legen. Aber jetzt nahm ich erstmal bei meinem Handy ab. „Helin? Wie geht es dir? Hast du dich mit Jace ausgesprochen?“ fragte ich sofort neugierig und stellte mein Buch wieder zurück ins Regal. „Es geht mir gut, Lon. Du hattest Recht. Das Gespräch mussten wir führen. Es ist wieder alles gut zwischen uns. Jace hat sein Auto voll mit Blumen und Schokolade gestopft, um mich zu beschwichtigen. Und als ich ihm verziehen habe, hat er mir noch ein Bild geschenkt. Er hat es selbst gezeichnet und es ist so wunderschön.“ plapperte meine beste Freundin los und Erleichterung durchströmte mich. Helin war wieder sie selbst. „Das ist wunderbar, Helin. Ich freue mich für euch. Wisst ihr denn schon, wann wir wieder zum Internat fahren müssen?“ fragte ich und lächelte glücklich vor mich hin. Mein Auftrag hier war vorerst erledigt. Meine beste Freundin war wieder glücklich. „Deshalb rufe ich an. Ich will bald fahren. Wenn wir zu viel Stoff verpassen, müssen wir das am Wochenende nachholen und dazu habe ich nun wirklich keine Lust.“ erklärte meine beste Freundin, hörte sich aber etwas nachdenklich an. „Klar. Ich sollte nur vorher kurz zu Großtante Bea. Sie ist ja auch schon ohne meine Rücksichtslosigkeit einsam genug. Ich schreibe dir, wenn wir hier losfahren, dann können wir die Heimreise gemeinsam antreten.“ erwiderte ich lächelnd und ging nach unten, um nach dem Telefonat direkt zu meiner Großtante aufzubrechen. „Perfekt. Bis dann. Und sei nicht so gemein zu deinem Mate.“ meinte Helin, bevor sie, ohne auf meine Erwiderung zu warten, auflegte. Ich seufzte. Klar, weil ich meinen Mate ja nicht auch schon verscheucht hatte. Er wollte mich ja nicht mal mehr sehen. Dennoch klopfte ich an die Gästezimmertür. „Wir fahren in einer Stunde zurück ins Internat.“ erklärte ich knapp, als sich hinter der Tür nichts regte. Ich legte Aidans Handy vor seine Tür und ging dann aus dem Haus. Sollte er doch tun, was er wollte. Er kam sicher ohne mich klar. Kein Tika, abgesehen von unsren Alphas, war ihm gewachsen. Ich lief ein paar Häuser weiter und klingelte dann an einem violett gestrichenen, kleineren Häuschen. Geduldig wartete ich, bis mir eine ältere Dame öffnete. „Avalon, Kleines! Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Lass dich anschauen. Du bist ja so hübsch geworden und… seit wann hast du diese Augenfarbe?!“ plapperte meine Großtante los, musterte mich kritisch und zog mich dann in eine überschwängliche Umarmung. „Ich habe meinen Mate gefunden. Er ist ein zukünftiger Alpha und da habe ich mich irgendwie in eine Luna transformiert, als ich ihn gefunden habe.“ erklärte ich verlegen, fühlte mich aber zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder einfach nur glücklich. „Ich wusste schon immer, dass du zu größerem bestimmt bist.“ behauptete Bea liebevoll lächelnd und zog mich in ihr gemütlich dekoriertes Wohnzimmer. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Position gewachsen wäre, Bea.“ seufzte ich, allein von dem Gedanken daran erschöpft. Meine Großtante rollte daraufhin nur belustigt mit den Augen und schob mich auf das leicht durchgesessene braune Sofa. „Ich hole uns etwas Tee und dann reden wir in Ruhe darüber, Kleines.“ meinte sie und verschwand in die kleine Küche gegenüber. Ich lehnte mich seufzend zurück, sodass ich ohne Probleme Bea beim Tee kochen beobachten konnte. „Ich wollte in einer Stunde wieder ins Internat fahren.“ informierte ich sie, doch mir war klar, dass sie sich davon nicht beirren lassen würde. Sie war schon immer etwas starr köpfig, wenn sie etwas wollte. Lag wohl in unsrer Familie. „Diese Unterhaltung wird so lange brauchen, wie sie eben braucht, Avalon. Daran kann auch dein Zeitplan nichts ändern. Du bist viel zu selten hier, um nicht für ein richtiges Gespräch länger zu bleiben.“ legte Bea mit strengem Blick fest und kam mit einer dampfenden Kanne und zwei Tassen zurück ins Wohnzimmer. Schnell machte ich auf dem kleinen Tisch vor mir etwas Platz, damit sie alles abstellen konnte, was sie auch schnell tat. Statt sich allerdings sofort zu setzen, eilte sie nochmal in die Küche und kam kurze Zeit später mit rotem Saft und einem Teller voll Keksen zurück. Es würde also eindeutig länger dauern. Ergeben schenkte ich mir erst Tee in eine Tasse, bevor ich für die richtige Süße noch etwas Saft dazu goss und dann vorsichtig daran nippte. Großtante Bea wollte mit mir in Ruhe reden, dann sollte auch sie diejenige sein, die damit begann. Sie goss sich ebenfalls Tee ein, bevor sie mit ihrer kleinen Rede begann. „Weißt du, Kleines, unser Rudel ist wie ein Wolf. Mit Kopf und Gliedern und Herz. Die Alphas sind dazu bestimmt, unser Kopf zu sein, um alles zu lenken und uns zu führen. Die Betas sind hingegen die Reißzähne und Klauen, die uns im Kampf verteidigen. Doch das Herz… ja, das Herz, das war schon immer unsere Familie. Wir sind das, ohne das unser Rudel seine gemeinsame Komponente verlieren würde. Das Blutsband, das alle Tika zusammenhält. Deshalb fühlen sich die Betas unseres Rudels von der Familie Mase bedroht. Wir sind der wahre Grund, weshalb unser Rudel so gut funktioniert. Wir vermitteln zwischen allen Ebenen. Deshalb bist du Larissa und Calum so wichtig. So wie deine Eltern solltest du eines Tages diejenige sein, die uns alle einigt und zusammenhält.“ Jetzt konnte ich nicht anders, als meine Großtante verschreckt anzustarren. Zögerlich nahm ich mir einen Schokoladenkeks und knabberte daran, um Zeit zum Nachdenken zu schinden. Geduldig aß auch Bea einen Keks und ließ mir die Zeit, die ich brauchte. Ich war mir unsicher, ob ich sie wirklich ernst nehmen konnte. Allerdings würde es in einigen Punkten Sinn machen. Und es würde erklären, warum Kristin mich nicht leiden konnte, aber dennoch vor den anderen zu mir hielt. Das Einzige, das keinen Sinn machte, war dass Larissa und Calum mich dennoch überzeugen wollten, eine Aev zu werden. „Aber warum bin ich dann die Mate eines anderes Rudels?“ wollte ich nach einigen Minuten Schweigen wissen. Großtante Bea lächelte erfreut, als hätte ich genau die richtige Frage gestellt. Mir war klar, dass sie noch einige Dinge wusste, die mir bei meiner Entscheidung, Aidan als meinen Mate anzunehmen oder nicht, helfen konnten. „Du bist nicht wie der Großteil unsrer Familie, Avalon. Du warst schon immer zu eigenwillig für eine normale Mase-Frau. Ich wusste, dass du mehr tun würdest, als nur unser Rudel zusammenzuhalten. Anscheinend ist die Mondgöttin Luna der Meinung, du müsstest ein anderes Rudel zusammenbringen, um die Tika zusammenzuhalten. Ich weiß, dass dir das sicher nicht gefällt, aber du musst unser Rudel auf genau diese Art beschützen. Du bist der Schlüssel zu einer Zukunft ohne Krieg mit den Aev.“ kam postwendend eine Antwort, doch mir fiel sofort auf, dass Bea von einer Sache wusste, die sie eigentlich nicht wissen sollte. Ich sah in die dunkelbraunen Augen meiner Großtante. „Du hast mit Harry gesprochen.“ stellte ich fest und lächelte überrascht. Harry hatte Bea eigentlich ziemlich lange gemieden. Er meinte früher, sie hätte so eine gruslige Ausstrahlung, die einen alles verraten ließ, was man wusste. Anscheinend hatte sie es für ihn immer noch. „Natürlich. Ich habe ihn gestern Abend abgepasst, als er den Film holen wollte.“ meinte Bea leicht kichernd und nahm einen Schluck aus ihrem Tee. Beinahe wirkte sie schon so, wie bevor ihr Mate starb. Beinahe als wäre ein Funke des Lebens wieder zurück in sie gesprungen. „Ich will dich nicht allein lassen, Bea. Du hast doch sonst kaum noch jemanden.“ murmelte ich schließlich traurig und trank etwas von meinem Tee, um die aufsteigenden Tränen zu verstecken. Sanft legte meine Großtante eine Hand auf meine und zog die Tasse weg. „Ich bin hier nicht allein, Avalon. Das Rudel kümmert sich um mich. Jeden Tag kommen mindestens zwei Rudelmitglieder vorbei, um sich mit mir zu unterhalten. Du wirst wo anders dringender gebraucht und irgendwo tief in dir weißt du das, Kleine.“ behauptete sie mit sanfter Stimme und sah mir mit ernstem Blick entgegen. Ich hielt dem Blick nicht lange stand, was wohl daran lag, dass ich erkannte, dass sie recht hatte. Ich wusste, dass ich den Aev helfen sollte, dass ich ihre Möglichkeit auf ein richtiges Rudel war. Die Möglichkeit, aus den einzelnen Teilen des Rudels einen Wolf zu machen, wie Bea es ausgedrückt hatte. Ich spürte wieder Tränen aufsteigen, doch diesmal würde ich sie nicht verbergen. Diese Tränen galten dem Verlust meiner Mauer, die mich blind gemacht hatte für das, was mir vorbestimmt war. Ich hatte mich meinem Schicksal gegenüber verschlossen, doch meine Großtante hatte mich erkennen lassen, dass ich mir das nicht gestatten durfte. Ich würde damit nicht nur die Aev in einen Krieg mit den Tika stürzen, sondern auch das Vermächtnis meiner Eltern beschmutzen. Sie hatten ihr Leben für den Zusammenhalt unseres Rudels gegeben. Ich musste nun dasselbe tun. Vielleicht würde es mir sogar gefallen. Schließlich war Aidan mein Mate. „Ich sollte meinen Mate akzeptieren, nicht? Mich seinem Rudel anschließen und das vermittelnde Band zwischen Tika und Aev werden.“ murmelte ich und strich die Tränen von meinen Wangen. Ich würde die Tika verlassen müssen. „Es wäre das Beste für alle, Kleine. Auch für dich. Dein Mate ist alles, was du brauchst, um bei den Aev glücklich zu werden.“ bestätigte mich meine Großtante und zog mich dann fest in ihre Arme. Sie roch wie immer leicht nach Lavendel und Honig. Ich hatte schon im Kindesalter gelernt, wie wertvoll diese Umarmungen waren und genoss es in vollen Zügen. Sie spendete mir Trost und bestätigte mich dabei in allem, was ich mir vornahm. Es war das Richtige, mich endlich den Aev und Aidan zu öffnen. Ich würde zwar immer noch beachten, etwas auf Abstand zu bleiben, um mein Herz zu schützen, doch ich würde mich nicht mehr sträuben. Ich redete noch etwas mit meiner Großtante über mein Leben im Internat, bevor mein Blick auf die Uhr fiel. „Verdammt!“ rief ich erschrocken und sprang auf. Ich war jetzt schon fast drei Stunden hier. Bea rollte belustigt mit den Augen und griff nach meiner Hand. „Du solltest wirklich nicht immer so streng mit dir sein, Kleines.“ meinte sie, stand aber ebenfalls auf, um mich zur Tür zu begleiten. Währenddessen warf ich einen Blick auf mein Handy und musste feststellen, dass ich mindestens zwanzig verpasste Anrufe hatte. Ich hatte es wohl stumm geschalten. Ich schlüpfte gerade in meine Schuhe, als es plötzlich laut krachte. Sofort hatte ich die Geräuschquelle auf der Terrasse lokalisiert. Verwirrt stürmte ich hinaus und entdeckte Harry, der blutend neben der Tür lag. Sofort schrillten alle Alarmglocken. Da vernahm ich ein leises Winseln und blickte auf. Vor uns stand ein ziemlich großer hellbrauner Wolf. Ich sah in seine Augen und sie kamen mir auf eine seltsame Art bekannt vor. Seltsam, weil ich den Wolf nicht zu kennen glaubte, die Augen mir aber vertraut waren. Irritiert schnupperte ich und erkannte seinen Duft. Vor mir stand James. Ich blinzelte ihn stumm an, bis mein Cousin neben mir schmerzerfüllt stöhnte und ich endlich realisierte, was hier los war. Wut überkam mich und ich spürte, wie meine Luna-Kräfte entflammten. „Ich bringe ihn um.“ knurrte ich rasend vor Wut und wollte mich auf James stürzen. Allerdings hatte ich nicht mit meiner Großtante gerechnet. Sie griff vorsichtig nach meiner Hand und diese kurze Ablenkung nutzte James, um in schnellem Tempo davon zu rennen. Ich riss mich von seinem Anblick los und sah auffordernd zu Bea. „Hilf mir, Harry ins Wohnzimmer zu bringen. Ich muss mich sofort um seine Wunden kümmern.“ wies sie mich an und sah sorgenvoll zu meinem Cousin. Nach kurzem Zögern kam ich ihrer Bitte nach und ging zu Harry. Um ihn hatte sich schon eine kleine Blutlache gebildet und mir krampfte das Herz zusammen, als ich seinen schmerzerfüllten Blick sah. James war ein zukünftiger Beta und hatte ihn offensichtlich überrascht. Vorsichtig ging ich in die Knie und hob meinen Cousin auf meine Arme. Er knurrte leise, doch ich wusste, dass das nur von den Schmerzen kam und bugsierte ihn langsam zu Beas Couch. Sanft setzte ich ihn ab, dann kam auch schon unsre Großtante mit einem erste Hilfe Kasten und fing an, die Wunden zu versorgen. Mein Blick flog aus dem Fenster und ich sah zu meinem Erschrecken immer mehr fremde Werwölfe, die im Wald umher huschten. Dann begannen die Schreie. Ich hörte, wie meine Rudelmitglieder von den Aev überrascht wurden und sich der Kampflärm langsam ausbreitet. Panik stieg in mir hoch. „Jetzt kannst du gehen und den anderen helfen, Avalon. Schick alle zu mir, die verletzt oder zu alt oder zu jung zum Kämpfen sind.“ sagte Bea in seltsam ruhigen Ton und tippte mich kurz am Arm an. Die flüchtige Berührung schaffte es, meine Panik zurück zu drängen. Ich nickte zögerlich mit Blick auf Harry und eilte dann aus dem Haus. Ich sah mich um und entdeckte die Straße runter zwei Werwölfe, die miteinander rangen. Es war Zeit, dass ich meine neuen Luna-Fähigkeiten endlich im Kampf austestete. Ich verwandelte mich und rannte als weiße Wölfin auf die zwei kämpfenden Wölfe zu. Auf mich stürmte eine Flut von Gedanken der Tika und der Aev ein, doch es waren zu viele, um einzelne herauszufiltern. Einen der kämpfenden Wölfe erkannte ich sofort an seinem Geruch. Was machte Kaleb hier, statt bei seiner Familie oder seiner Mate? Ich knurrte bedrohlich und die beiden anderen stoben auseinander. Langsam ging ich auf den mir unbekannten Wolf zu und baute mich vor ihm auf. Erschrocken wich er zurück und duckte sich. Kaleb neben mir schien froh mich zu sehen und begann, den Fremden mit mir zu umkreisen. Panisch versuchte der Fremde nach Kaleb zu schnappen, doch ich war schneller und versenkte meine Reißzähne in seine Seite. Er heulte schmerzvoll auf und verwandelte sich zitternd wieder zu einem Menschen. Die Wunde klaffte blutig an ihm und ich sah, wie ihn die Kraft zum Kämpfen verließ. Triumphieren konnten wir allerdings nicht lang, denn kurz darauf erblickte ich schon den nächsten Aev, der in Richtung Rudelhaus rannte. Verdammt! Wieso hatte ich Aidan nur vertraut?! Wut ballte sich in mir zusammen und ich tastete nach meiner Mateverbindung zu Aidan. Ich würde ihn töten müssen. Er war der zukünftige Alpha und wenn ich meinen Fehler, ihm zu vertrauen, wieder gutmachen wollte, musste ich diesen Angriff stoppen. Ich spürte, dass die Verbindung noch schwach bestand, doch sie war zu schwach, um ihn zu finden. Die vielen fremden Gedanken in meinem Kopf waren zu viel. Frustriert wandelte ich wieder in meine menschliche Form. Ich sah zu Kaleb und hatte eine Idee. „Beiß mich.“ befahl ich im Luna-Modus und trotz seinem schockierten Blick, gab Kaleb meinem Befehl nach. Unsicher biss er in meinen Arm, den ich ihm hinhielt. Ich brauchte nur einen Moment, dann verschwand die Wunde. Ich hatte sie auf Aidan übertragen und hoffte, dass er sich so instinktiv wieder mehr dem Band zu mir öffnete. Tatsächlich. Kurz darauf spürte ich, wie mein Instinkt mich zu ihm zog. Ich hatte diese Verbindung noch nie vorher so gezielt genutzt, doch anders würde ich ihn nicht rechtzeitig finden können. „Bring alle Alten, Kinder und verletzte, die du finden kannst zu meiner Großtante Bea. Sie wird sich um sie kümmern.“ wies ich Kaleb an, bevor ich in Richtung See lief. Mein Mate musste dort sein. „Was hast du vor?“ kam jetzt allerdings Kaleb auch in menschlicher Form hinter mir her. „Ich werde meinen Mate nutzen, um diesen Angriff zu beenden.“ knurrte ich und sah die Zweifel in Kalebs Augen. Allerdings schien er zu wissen, dass er mich nicht würde aufhalten können. Er ließ mich ziehen und steuerte selbst auf das Rudelhaus zu, dass Hauptziel des Angriffs zu sein schien. Zügig bahnte ich mir einen Weg durch das Gestrüpp, war aber ziemlich langsam, da ich nicht in meine Wolfsform konnte. Meine Mateverbindung würde dann wieder von den Stimmen in meinem Kopf überlagert werden. Wie konnte ich nur so naiv sein? Ich hätte Aidan niemals mit hierher nehmen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass er mich wieder verraten würde. Wenn ein Mate einmal verriet, würde er es auch wieder tun. Kaleb hatte recht gehabt. Hätte ich nur auf meinen Verstand gehört und nicht auf alles andere. Ich sah kurz zum Himmel und stellte fest, dass es langsam dunkler wurde. Die Sonne ging unter. Ich beschleunigte meine Schritte weiter und leitete alle Schnitte, die das Unterholz verursachte, direkt an Aidan weiter. Er sollte spüren, dass ich auf dem Weg war. In mir pulsierte die Wut immer stärker und ich musste mich konzentrieren, um mich nicht zu wandeln. Stattdessen hielt ich meine Gedanken fest auf Aidan und erreichte schneller als erwartet den See. Dort sah ich ihn sofort. Mein Mate stand als schwarzer Wolf inmitten von wimmernden Tika in menschlicher Form. Der ganze Strand war dunkel vom Blut meines Rudels und ich schluchzte erstickt auf. Dieses Geräusch veranlasste Aidan, zu mir herum zu wirbeln. Seine Augen glühten silbern und von seinen Lefzen tropfte Blut. Blut meines Rudels. Mit diesem Anblick konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich verwandelte mich und ging in Angriffsstellung. Du kannst es nicht mit mir aufnehmen, Avalon, hörte ich Aidans tiefe Stimme laut und deutlich in meinem Kopf. Doch ich war nicht so leichtsinnig. Ich wusste, dass er mich im direkten Kampf schlagen würde. Also tat ich das, womit er nicht rechnete. Ich legte mich hin und biss mir dann selbst in den Bauch. Schmerz pulsierte in mir, als meine Zähne die empfindliche Haut durchtrennten. Allerdings währte der Schmerz nicht lange, denn ich übertrug die Wunde sofort auf den Aev-Alphas Sohn vor mir. Schockiert starrte er mich an, bevor er wütend knurrte und sich auf mich stürzen wollte. Allerdings bremste er dann wieder direkt vor mir, als er realisierte, dass er das ja gar nicht konnte. Ich würde jede meiner Wunden einfach auf ihn übertragen. Ich sah, wie er fieberhaft nach einer Lösung suchte, doch die Zeit würde ich ihm nicht geben. Ich sprang auf und schnappte nach seiner Kehle. Sofort schien er meine Absichten zu erkennen und wich eilig aus. Du kannst mich nicht töten!, schrie er in Gedanken, doch ich konnte deutlich seine Panik sehen. Mein Blick fiel auf die verletzten Tika um uns herum. Und wie ich das konnte! Er hatte mich verraten und würde dafür jetzt bezahlen. Ich atmete tief durch und sah meinem Mate dann hasserfüllt in die Augen, bevor ich wieder meine menschliche Form annahm. Er würde mir nichts tun, solange es ihm schaden konnte. „Folge mir.“ befahl ich und lief in Richtung Rudelhaus davon. Dort war das Zentrum des Angriffs und dort würde ich sicher auch Alistair finden. Egal wie sehr er die Tika verabscheute. Er würde seinen Sohn niemals sterben lassen. Nicht, solange er der Einzige war, der die Aev noch weiter als Alpha führen konnte. Ohne Aidan würden die Aev aussterben. Mein Mate folgte mir widerwillig, doch ich spürte, wie er versuchte, unsere Verbindung zu lösen. Er sträubte sich dagegen und versuchte, seine Instinkte von mir zu lösen. Ich lief etwas zügiger und suchte überall mit Blicken nach Alistair. Je näher wir dem Rudelhaus kamen, desto lauter wurde der Kampflärm. „Verräter.“ murmelte ich immer wieder leise vor mich hin, doch ich wusste, dass Aidan es hörte. Es half zwar nicht unbedingt, unsre Verbindung zu stärken, aber ich musste es immer wieder sagen, um mich nicht von meinen Instinkten übermannen zu lassen. Sie würden mich davon abhalten, Aidan zu töten, denn Alistair nicht auf meine Forderungen einging. Mein Atem ging langsam schneller, als wir schließlich am Zentrum des Angriffs ankamen. Es stank nach Blut und überall lagen verletzte, die versuchten, sich vor den noch kämpfenden Wölfen in Sicherheit zu bringen. Mein Blick glitt über die Wölfe, bis ich einen fand, der etwas größer war als alle anderen. Alistair. Ich schlängelte mich durch die Kämpfenden und merkte, wie sie mir auch teilweise auswichen. Meine rasende Wut hatte wohl mal wieder meinen Luna-Modus aktiviert. Schließlich brach ich aus den kämpfenden hervor und stand direkt vor dem Aev-Alpha. Verwirrt starrte er mich an und ließ von dem Wolf ab, dessen Flanke er gerade noch im Maul hatte. „Verschwindet hier oder ich töte ihn!“ rief ich und zeigte auf Aidan. Augenblicklich wurde es etwas leiser und die Kämpfenden hielten teilweise mitten in ihrem Angriff inne. Alle Blicke richteten sich auf mich. Alistair schnaubte nur verächtlich und sah auffordernd zu seinem Sohn. Da blitzte mir etwas entgegen und ich griff schnell nach der Scherbe, die in meiner Nähe lag. „Zieht euch zurück!“ sagte ich mit Nachdruck, legte die Scherbe an meine eigene Kehle und begann, einen tiefen Schnitt zu ziehen. Ich übertrug gerade mal die ersten Millimeter, da riss Alistair schockiert die Augen auf und starrte mich an. Als sich kurz darauf immer noch nichts tat, stieß ich die Scherbe tief in meine Schulter. Erst jaulte ich vor Schmerz auf, dann Aidan, als ich die tiefe Wunde übertrug. „Jetzt oder der nächste Aev-Alpha stirbt!“ rief ich und endlich regte Alistair sich. Er knurrte widerwillig und stieß dann ein tiefes Heulen aus. Die Aev reagierten sofort und stürmten in Richtung Ausgang. Sie zogen sich tatsächlich zurück. Erleichterung durchflutete mich, doch ich konnte mir noch keine Entspannung leisten. Erst wenn alle Aev weg waren, würde die Gefahr für mein Rudel sinken. Alistair wandelte sich in seine menschliche Form und kam drohend auf mich zu. „Diesmal hast du gewonnen, aber ich werde diese Verbindung zerstören und dann sind die Tika dran.“ knurrte er und lief dann an mir vorbei Aidan hatte mittlerweile aufgehört, an unserer Verbindung zu zerren und sah auf mich herunter. In seinen mittlerweile wieder blauen Augen stand etwas Undefinierbares und ich musste wegsehen. Er hatte mich verraten und irgendwo tief in mir zerbrach ein Teil, der immer auf Aidans Liebe und Zuneigung gehofft hatte. Ich würde ihn nie wieder ansehen können. Angespannt folgte ich Alistair zum Tor und beobachtete, wie die Aev zügig abrückten. Ihre Verletzten trugen sie schnell zu verschiedenen Transportern und irgendwann erblickte ich James, der auf mich zu gerannt kam. Sein Blick war panisch und seine Haltung unterwürfig. Ich war zutiefst verwirrt, ließ mich aber nicht davon ablenken, die Abrückenden Aev zu überwachen. „Avalon.“ murmelte der Beta-Anwärter und blieb neben mir stehen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, reagierte aber sonst nicht. Ich konnte seine Nervosität plötzlich ganz deutlich riechen, versuchte aber weiter, mich nicht ablenken zu lassen. „Bitte Avalon. Ich kann Lirim nirgends finden.“ hörte ich James leise sagen. Lirim? Waren noch mehr Schüler des Internats hier gewesen? Ich hatte bisher nur James und Aidan wieder erkannt. Alle anderen Aev waren ausgewachsene Werwölfe. „Warum sollte er hier sein?“ seufzte ich schließlich, meine Wut unterdrückend, wandte mich aber immer noch nicht von den anderen Aev ab. „Er ist mein Bruder. Wir mussten mit. Bitte, Avalon. Bring mir meinen Bruder zurück.“ winselte er mit zitternder Stimme und ich sah überrascht zu ihm. Lirim war sein Bruder? „Wenn die Aev abgerückt sind, werde ich einen Suchtrupp schicken.“ gestand ich ihm schließlich ein. Ich war zwar wütend und verletzt, doch ich wollte niemandem mehr einen Teil der Familie nehmen. Ich kannte diesen Schmerz nur zu gut. Als Schließlich einige andere Tika mich ablösten und die meisten Aev weg waren, schickte ich Mike, einen der weniger verletzten Rudelhaus Wachen, Lirim suchen. Ich selbst beeilte mich, zu Großtante Bea zu kommen. Ich hatte sie und Harry einfach allein gelassen und einige der anderen Tika am Tor hatten mir berichtet, dass dort die meisten Verletzten waren. Ich hoffte, dort auch Helin zu finden, die hoffentlich die Verletzten versorgte und nicht selbst eine war. An dem violetten Haus war wirklich viel los. Im Wald darum standen einige Tika wache und im Haus selbst lagen überall Verletzte auf improvisierten Liegen. Ich eilte ins Wohnzimmer und fand erleichtert Helin, die sich lächelnd über ihren Mate beugte. Neben ihr saß Harry, der ihr unsicher zu Hand ging, während sie Jace‘ linken Arm in eine improvisierte Schiene legte. Er hatte sich wohl etwas gebrochen. „Helin!“ rief ich erleichtert und fiel ihr um den Hals. Sie erwiderte meine Umarmung für einen Moment und widmete sich dann wieder ihrem Mate. „Ich habe gehört, du hättest den Angriff beendet.“ meinte da Kaleb, der mit einer Teekanne aus der Küche kam und Tassen an ängstlich schauende Kinder weitergab. Der Geruch von Kamille schwang mir entgegen. Der Tee sollte die Kinder wohl beruhigen. „Ja. Allerdings wäre das ohne mich nie passiert.“ murmelte ich traurig und ließ meinen Blick kurz über die vielen Verletzten gleiten. „Mach dir nichts daraus, Avalon. Er ist eben dein Mate. Du wolltest ihm eben einfach vertrauen.“ meinte Harry und tätschelte beruhigend meine Schulter. Ich starrte auf den weißen Verband um seinen Kopf und seufzte dann traurig. Er hatte wahrscheinlich recht, aber hätte ich auf meinen Verstand gehört, wäre es niemals zu diesem Angriff gekommen. Aidan hätte niemals erfahren, wo die Tika waren. Dann hätte er es auch seinem Vater nicht mitteilen können. Oder ich hätte ihm sein Handy nicht wieder geben sollen. Dann wäre es auch nicht heute zu diesem Angriff gekommen. Aidan hätte niemanden informieren können. „Was hältst du davon, wenn wir zu deinem Haus gehen? Hier sind wir nur im Weg.“ schlug Helin schließlich vor und durchbrach meine Selbstvorwürfe. Ich blickte einen Moment in ihre traurigen Augen, bevor ich auf meine verschlungenen Hände sah. Ich hatte sie sonst immer gern an meiner Seite, doch heute war so viel schief gelaufen. Ich brauchte etwas Zeit für mich. „Ist schon gut. Hilf Bea lieber mit den Verwundeten. Ich muss etwas allein sein.“ murmelte ich, stand auf und eilte aus dem Haus. Es machte mich fertig, die ganzen Verwundeten zu sehen. Ich spürte, wie die Schuldgefühle immer höher stiegen. Ich war für all diesen Schmerz verantwortlich. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele Tote es gab. Oder vielleicht noch geben würde. Tränen rannen über meine Wangen und endlich erreichte ich mein Haus. Ich schloss hinter mir ab und kam nicht besonders weit. Schon brach ich weinend in mich zusammen. Was hatte ich nur getan?! Wie konnte ich so egoistisch sein? Ich hatte meiner Freundin helfen wollen und statt noch einen Tag zu warten, hatte ich mein Rudel in Gefahr gebracht. Ich schluchzte laut und schaffte es schließlich, mich wieder aufzurappeln. Dann tat ich etwas, dass ich schon sehr lange vermieden hatte. Ich sah mir die Bilder an, die hier überall im Haus hingen. Bilder meiner Eltern und mir. Ein gewisser Trost kam über mich, während ich die Bilder betrachtete. Die positiven Gefühle, die ich früher mit meinen Eltern in Verbindung brachte, kamen wieder hoch und ich fühlte mich zum ersten Mal seit langem wieder zuhause. Auch wenn sie schon lange tot waren, so hatten meine Eltern dieses Haus für uns gebaut. Unsere Familie und niemand würde es so einfach zerstören können. Dieses Haus war mein sicherer Hafen. Meine Eltern hatten es dazu gemacht, auch wenn ihr Tod es so lange überschattet hatte. Jetzt erkannte ich, dass der Tod nicht hier ist. Der Tod lauert draußen. Außerhalb dieser sicheren Mauern. Ich beschloss gerade, in mein Zimmer zu gehen, als es an der Tür klingelte. Ich schreckte auf und starrte durch das Fenster nach draußen. zwei männliche Gestalten standen vor der Tür. Ich wollte am liebsten einfach meinen Weg in mein Zimmer fortsetzen, doch schon klingelte es erneut. Ich seufzte. War ich heute nicht schon genug gestraft? Ich wischte mir eilig über die Augen, doch ich hatte so viel geweint, dass es kaum etwas bringen würde. Ein erneutes Klingeln ertönte. Diesmal etwas länger. Die Männer vor der Tür wurden wohl ungeduldig. Ich schluckte meine nächsten Tränen herunter und öffnete schließlich schwungvoll die Tür. Vielleicht etwas zu schwungvoll. Mit einem lauten Krach knallte die Tür an die Wand neben mir und die beiden Männer zuckten zusammen.

Okay. Schockmoment? Was sagt ihr jetzt? War das eine schlechte Wendung der Ereignisse oder macht das irgendwo Sinn?

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