1. Kapitel

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Völlig verschwitzt wachte ich auf. Ich brauchte einige Sekunden bis ich mich erinnerte, wo ich war. Im illyrianischen Heerlager „Windhaven". Ich strampelte die Decke weg und wollte gerade aufstehen, als ich merkte, wie kalt es in meinem kleinen Zimmer unter dem Dach war. Ein Blick aus dem Dachfenster verriet auch wieso, denn anscheinend hatte in der Nacht ein heftiger Schneesturm begonnen. Fröstelnd, meine Flügel eng an den Körper gedrückt, tappte ich zum Kamin und entzündete ihn.

Ich starrte in die Flammen. Da war er also. Der große Tag. Der Tag, an dem sich entschied, ob ich gut genug im Kämpfen war, um in die illyrianische Armee, als eine der ersten Frauen, aufgenommen zu werden. Dazu würde sogar der High Lord des Hofes der Nacht samt Gefolge kommen und uns prüfen. Das allseits bewährte Blutritual wurde jedoch für uns Frauen ausgesetzt, da der High Lord zuerst wissen wollte, wie gut wir waren. Es wäre schließlich nicht sinnvoll, wenn wir während des Rituals alle sterben würden.

Ein lautes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. „Ari, kommst du? Es gibt jetzt Frühstück. Ich erwarte dich in fünf Minuten unten. Schließlich ist heute dein großer Tag. Du musst dich noch vorbereiten und bei dem Schneesturm draußen wird es bestimmt keine große Freude", rief meine beste Freundin Mya fröhlich durch die Tür. „Ich komme gleich", antwortete ich schnell. Mya war die einzige, die mich Ari nennen durfte. Nicht mal Gareth, ihrem Seelengefährten und meinem Trainer und Freund, erlaubte ich das. Mein voller Name lautete Asra. Eigentlich eine ziemliche Ironie, da er „die nächtliche Reise" bedeutete und wenn man bedachte, was ich war, dann fragte man sich, warum meine Eltern ihn gewählt hatten.

Meine Eltern. Immer noch, fast 20 Jahre später, schmerzte der Gedanke an sie. Immer noch wollte ich anfangen zu weinen, wenn ich nur an sie dachte. An das wunderschöne Gesicht meiner Mutter, angstverzerrt; ihre Augen - genau wie meine, waldgrün - , die blicklos in das Leere starrten. Und auch heute noch hielt mich der Gedanke aufrecht, sie bald rächen zu können.

„Ari!", rief Mya, jetzt schon etwas ungeduldiger. Schnell zog ich mir meine illyrianische Lederkluft über, öffnete die Tür und ging hinunter in ein kleines Zimmer, das sowohl Ess-, als auch Wohnzimmer war. Mein Zimmer war das einzige unter dem Dach. In der mittleren Etage befand sich das Schlafzimmer von Mya und Gareth, sowie das Ess-/Wohnzimmer und ein kleines Bad. Ganz unten betrieb Mya eine Schenke für sowohl die Gäste des Heerlagers als auch für die Illyrianer selbst. 

„Da bist du ja endlich. Setz dich und iss! Du musst schließlich Kraft tanken. Ich würde mich ja mit dir aufwärmen, aber du weißt ja." Mya war im 5. Monat schwanger, doch selbst wenn sie es nicht wäre, könnte sie sich nur mit mir aufwärmen, denn ihre Flügel waren gestutzt worden. Es war nämlich ziemlich anstrengend, Flügel zu haben, ohne sie im Kampf benutzen zu können. Sie würden einen eher behindern als einem zu helfen. Wie immer, wenn ich darüber nachdachte, wurde ich wütend, aber gleichzeitig auch ungemein froh, dass mir das erspart blieb. 

Ich floh damals durch den Gang in das Dorf und kam bei der Familie Elenwen unter. Leider aber nicht für lange Zeit, denn schon damals wuchsen meine Kräfte immer weiter. Außerdem war ich auch noch zur Hälfte Illyrianerin. Nachdem ich aus Versehen drei der dort lebenden Kühe freigelassen hatte, wurde es der Familie zu viel. Sie schickten mich in dieses Heerlager, um mich ausbilden zu lassen. Insgeheim wünschte ich mir schon zu der Zeit, kämpfen zu lernen. 

Ich kam also nach Windhaven, doch ich war ein Mädchen und dazu noch ein Halbblut. Man erachtete mich als unwürdig, eine Kriegerin zu werden und ließ mich im Schnee sitzen. Glücklicherweise fand mich Mya halberfroren und nahm sich bei mir auf. Sie wurde meine beste Freundin, obwohl sie fast doppelt so alt war wie ich. Gleichzeitig durften die Illyrianer mich auch nicht ausstoßen, da Myas Seelengefährte Gareth ein sehr guter Krieger war und man es sich mit ihm nicht verscherzen sollte. Ich musste zwar mit dem Hass der Illyrianer fertig werden, aber auch ich hatte mir außergewöhnliche Kampffertigkeiten zugelegt und dadurch auch etwas Respekt erarbeitet.

„Hörst du mir überhaupt zu?", hörte ich Mya empört fragen. Neben ihr schmunzelte Gareth in sich hinein. „Tut mir leid, Mya. Was hast du gesagt? Ich habe nachgedacht", erklärte ich entschuldigend. „Ich wollte dir einfach nur viel Glück wünschen. Du machst sie alle fertig! Zeig ihnen, wie man richtig kämpft!" Sie grinste mich an. Nun musste auch ich lächeln. „Wie Ihr wünscht, Mylady", erwiderte ich spaßhaft. Dann stand ich auf, nahm ich mein illyrianisches Schwert und einen Dolch und sagte: „Ich gehe mich auf dem Platz aufwärmen. Kommst du dann nach Gareth? Du wolltest doch noch einen Übungskampf." Mit diesen Worten stieg ich die Treppe hinunter, öffnete die Tür und trat in den eisigen Schneesturm.


Tänzerin im Licht (ACOTAR Fanfiction)Where stories live. Discover now