41

3.2K 95 58
                                    

Er fährt die Straße entlang und lässt mich gebrochen zurück.
*
Lilli

Ein Piepsen. Das zweite, das dritte. Dann höre ich leise und verschwommen Gespräche. Den Inhalt bekomme ich nicht mit. Vielleicht weint jemand.
Etwas warmes auf meiner Wange. Der Geruch von Desinfektionsmittel. Beißend und scharf. Es tut in meiner Lunge weh. Und alles um mich herum ist dunkel.

Mein Körper fühlt sich schwer an. Ich spüre einen Druck auf mir. Er fühlt sich weich an und doch so schwer. Ein Schmerz durchzieht mich und ich kann nicht bestimmen, von wo er ausstrahlt. Der erste Versuch meine Augen zu öffnen geht schief.
Die Stimmen werden Lauter. Ich höre Wörter, wie Verbrennungen, Unfall, Wald und auch mein Name fällt.
Der Schmerz wird weniger und als ich es schaffe meine Augen zu öffnen, muss ich sie wieder schließen. Es ist zu hell. Ein Stöhnen entfährt mir, als der Kopfschmerz durch das Licht wieder schlimmer wird.

„Lilli!", höre ich meine Mutter mich rufen. Sie klingt besorgt und gleichzeitig erleichtert. Ihre Stimme zittert und ich vermute, sie war diejenige die geweint hat. Ich öffne erneut meine Augen und blinzle gegen die Helligkeit an. Es dauert einen Moment, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben. „Oh Gott Lilli.", meine Mutter setzt sich an mein Bett, während ich noch versuche zu realisieren, wo ich bin. Langsam drehe ich meinen Kopf und alles was ich sehe ist weiß. Weiße Wände, weiße Decke, weiße Schränke. „Oh Gott Lilli. Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht.", sagt meine Mutter.
Ich drehe meinen Kopf wieder zu ihr. Sie lächelt mich an und in ihrem Blick liegt so viel Sorge und Trauer. „Warum denn?", frage ich verwirrt nach. An alles was ich mich erinnern kann, ist Markus.

Markus! Ich setze mich auf und ignoriere dabei den Schmerz, der sich wieder in mir ausbreitet. Ich sehe mich um und mir wird schwindelig. Von meiner Mutter werde ich wieder ins Bett gedrückt. „Hey, du musst dich ausruhen. Ihr hattet einen Unfall mit Feuer. Du hast an ganzen Körper Verbrennungen.", sagt sie. „Nein, Nein, Nein.", immer wieder sage ich dieses Wort. Immer und immer wieder wiederholt es sich in meinem Kopf.
„Wo ist Markus? Wo sind alle?", frage ich panisch. Die ersten Erinnerungen kommen hoch. Ich habe es nicht Kontrollieren können. Es ist meine Schuld.
Tränen steigen in meine Augen, als ich keine Antwort bekomme. „Er ist weg.", seufzt Mama. Ich blinzle gegen die Tränen an. Meine Mutter blickt weg und kramt in ihrer Tasche. „Was meinst du mit weg?", frage ich aufgebracht, „Wo ist er?"

Ich höre Mama seufzen. Sie reicht mir einen Zettel und streicht mir dann meine Haare aus dem Gesicht. „Ihr wart im Wald und habt Lagerfeuer gemacht. Der Wind hat Funken ans Laub getragen. Es entstand ein Brand. Beim Versuch diesen zu löschen, hast du dich stark verbrannt. Die anderen sind geflüchtet, während du geblieben bist. Ein Junge und ein Mädchen kamen dir zu Hilfe. Du bist zusammengebrochen und die beiden haben dich her gebracht.", erklärt Mama und steht auf. „Der Brief wurde hier für dich abgegeben. Wir haben ihn nicht gelesen.", sagt sie noch, bevor sie geht.

Erst jetzt fallen mir die Verbände an meinen Händen auf. Sie erschweren es mir nur, den Zettel zu entfalten. Schon bei dem ersten Wort, sackt mein Herz in die Hose. Die Tränen kann ich nicht mehr halten. Unkontrolliert laufen sie mir über die Wange, während ich den Brief lese.

Lilli,
Wenn du diesen Brief hier ließt, bin ich schon weg. Ich kann nicht bei dir bleiben, so sehr ich das auch möchte. Wir alle sind gefahren, damit du in Sicherheit bist, so wie du es wolltest. Ich kann es nicht riskieren, dass du noch einmal in Gefahr schwebst. So sehr ich dich auch liebe, kann ich dir das nicht antun.
Ich möchte dir danke sagen. Du hast mir das Leben gerettet, in so vielen Wegen. Du hast mich aus dem Abgrund geholt. Du warst da für mich und hast nichts dafür verlangt. Du hast uns allen gezeigt, was in dir steckt. Du hast mir gezeigt, was in mir steckt.
In meinen dunkelsten Tagen warst du da und hast mit deinem Lächeln alles um mich herum erhellt. Du hast mir die Liebe wieder gegeben. Danke, Lilli.
Danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Nur wegen dir, lebe ich noch. Ohne dich wäre ich jetzt tot.
Und mit meinem Abschied von dir, nehme ich mir selbst das kostbarste. Lilli, wir werden uns nie wieder sehen. Ich werde nie wieder dein Lächeln sehen, werde dich nie wieder küssen können. Verdammt, ich werde dich nie wieder lieben können. Es schmerzt, dich gegen zu lassen. Es ist, als würde ich einen Teil von mir selbst gehen lassen. Aber bitte glaube mir, wenn ich sage, dass ich es für dich tue. Ich werde dafür sorgen, dass du sicher leben kannst. Auch wenn das bedeutet, dass ich gehen muss. Ich werde nicht nach dir suchen, ich werde nicht einen Teil von mir hier lassen. Es wird sein, als hätte es mich nie hier gegeben.
Du bist und wirst auch immer das wichtigste in meinem Leben sein. Aber ich bitte dich darum, dass du weiter lebst. Ich bitte dich nicht um mehr, als dass du mich vergisst. Ich möchte, dass du glücklich bist. Bitte. Lilli, leb für mich weiter.
Um mehr bitte ich dich nicht.

Ich liebe dich,
Markus.

Ich bleibe einen Moment liegen. Ich versuche zu begreifen, was ich da gelesen habe. Er hat mich verlassen. Er wird mich nie wieder sehen. Er wird nicht da sein, wenn ich ihn brauche.
Und er bittet mich, weiter zu leben. Unter den Tränen bringe ich ein freudloses Lachen zu Stande. Ich kann nicht ohne ihn leben. Ich will nicht ohne ihn sein.

Ohne darüber nachzudenken reiße ich mir die Infusionsnadel aus meiner Armbeuge. Ich nehme den Sauerstoffschlauch ab und auch sonstige Kabel, die an mir hängen reiße ich ohne zu zögern ab. Ich springe auf und renne aus dem Zimmer. Vorbei an meinen Eltern, die mit einem Arzt reden. Meine Sicht ist durch die Tränen getrübt, aber das hält mich nicht auf. Ich renne an Ärzten und Schwestern vorbei und suche den verdammten Ausgang. Meine Lunge schmerzt und ich bekomme kaum noch Luft, als ich ins Freie trete.
Der unebene Pflaster bohrt sich in meine nackten Füße, als ich ihn entlang renne. Hinter mir höre ich Stimmen, die mir nachschreien, aber ich renne weiter.

Sie holen mich erst ein, als ich das Gelände schon verlassen habe. Eine junge Frau hält mich fest und ein Mann kommt ihr zu Hilfe. „Lasst mich los!", schreie ich. Die Tränen brennen in meinen Augen, als meine Knie auf dem Boden aufschlagen. „Er kann nicht weg sein!", schreie ich weiter. Ich sehe den Weg entlang und sehe ein Motorradfahrer, der zu mir sieht. Sein Gesicht ist von dem Helm bedeckt, aber an seiner Kleidung erkenne ich ihn. Es ist Markus, der losfährt. Er fährt die Straße entlang und lässt mich gebrochen zurück. „Nein. Markus.", schreie ich ihm nach. Meine Lunge brennt immer mehr, als ich versuche mich den Krankenhauspersonal zu entziehen. Sie halten mich fest und ich kann nichts unternehmen. Markus kann ich nicht mehr sehen und das ist der Moment, in dem ich aufhöre zu kämpfen. „Ich liebe dich doch.", wimmere ich, als der Mann mich auf die Beine zieht.

Er hat mich verlassen. Er hat mich gesehen. Er hat mitangesehen, wie ich zerbrochen bin. Er hat alle kleinen Teile meines Herzens vor ihm liegen sehen und er ist gefahren. Ohne ein Tschüss, ohne ein Versprechen auf ein Wiedersehen. Erneut sacke ich zusammen. Ich bin müde und mir fehlt die Kraft, mich weiter zu wehren. Markus hat diese Kraft mitgenommen, als er gefahren ist.
„Er ist weg.", sagt Mama behutsam, als ich wieder an die Schläuche gehängt werde. „Er wird nicht wieder kommen.", fügt sie traurig hinzu. Meine Mutter geht, zusammen mit der Schwester, zu Tür. Kurz bevor sie rausgeht, dreht sie sich noch einmal um. „Happy Birthday.", flüstert sie. Dann geht sie und lässt mich nun auch allein.

Fortsetzung folgt...
*
Das hier ist für dieses Buch das letzte Kapitel (es tut mir leid), aber es wird eine Fortsetzung geben.
Vielleicht schaffe ich es, alles bis heute Abend vorzubereiten. Aber ich verspreche nichts, da ich, wie schon einmal erwähnt, noch eine andere Story zu Gonzo und Stella schreibe.
Danke an alle, die die Geschichte bis hier hin verfolgt haben:) es hat wirklich großen spaß gemacht, dass hier zu schreiben!

if love could speakWo Geschichten leben. Entdecke jetzt