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„Können wir das schaffen?", frage ich leise.
*
Lilli

Ich kann nicht sagen, wohin wir gefahren sind. Auf jeden Fall habe ich das erste mal gesehen, dass man die Motorräder betankt hat. Jedesmal wenn wir eine Pause gemacht haben, fiel es mir schwerer wieder auf das Motorrad zu steigen. Es fühlt jedesmal an, als würde ich mein Leben zurück lassen. Wer kann mir den sagen, wie lange ich auf der Flucht leben soll?

Wenn ich an das Wort Flucht denke, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Es kommt mir so surreal vor, vor allem wenn ich die anderen dabei beobachte, wie sie lachen und Witze machen. Es scheint, als wäre das ganze hier nur ein Witz für sie. Aber ich kann es ihnen nicht verübeln. Ich war bei ihren vorherigen Abenteuern ja nicht dabei gewesen.

„Was meinst du. Wie weit sind wir von zuhause entfernt?", frage ich Markus. Wir sitzen ein wenig abseits von den anderen. Markus seufzt, „Weiß nicht. Vielleicht hundertfünfzig Kilometer."
Ich lasse meinen Kopf auf seine Schulter sinken und sehe in den Himmel. „Können wir Gonzo eigentlich vertrauen?", frage ich ihn. „Wir hatten unsere Streitigkeiten mit ihm, sagen wir es mal so. Aber er hat nie gelogen und uns eine Zeit lang unterstützt.", erklärt Markus. Das nehme ich mal als ein Ja.
„Weißt du, wenn das hier eine andere Situation wäre, wäre es schön hier.", sage ich und schaue mich um. Die Sonne geht gerade unter, der Wald erstrahlt aber noch grün und in der Nähe hört man einen Bach plätschern. Es ist angenehm warm und um uns herum hört man Vogelgezwitscher.
Markus kichert. „Es ist schön hier.", erwidert er,

„Schlaf etwas.", sagt er, „Du bist schon zu lange wach."
„So müde bin ich gar nicht.", lüge ich. Die Wahrheit ist, dass ich verdammt müde bin. Ich will die Zeit mit Markus nicht verpassen. Die Zeit mit meinen Eltern hat sich so kurz angefühlt. Ich habe durch mein jahrelanges Schweigen so viel verpasst und ich will nicht den selben Fehler noch einmal begehen. Seit ich meine Eltern zurück lassen musste, weiß ich das unsere Zeit nur begrenzt ist.
„Du kannst deine Augen kaum noch aufhalten.", lacht Markus, „Hör auf gegen deine Müdigkeit anzukämpfen. Wenn du wach wirst, bin ich da. Das verspreche ich dir"

Er küsst meine Stirn und lächelt mich an. Ich seufze und sehe wieder in den Wald hinein. Ich blinzle ein paar mal und schließe meine Augen. Ich spüre noch, wie Markus mir Liebevoll über den Arm streicht. Wenig später schlafe ich ein.

Als ich wach werde, ist es kalt. Es ist dunkel und ich liege auf dem Waldboden. Langsam richte ich mich auf und versuche mich zu orientieren. Ich befinde mich noch auf der selben Stelle. Ich blinzle ein paar mal, bevor ich alles klar erkennen kann. Als ich mich umschaue bin ich alleine. Das Lager ist nicht nur verlassen, es wurde abgebaut. Ungläubig sehe ich mich um. Ich stehe auf. „Markus?", rufe ich. Keine Antwort. Es ist still, nicht ein Vogel ist zu hören. „Markus.", ich schreie seinen Namen immer wieder. Auch die anderen Rufe ich, aber ich bekomme keine Antwort. „Sie sind weg.", dringt eine Stimme in mein Ohr. Erschrocken drehe ich mich um. Jonah steht grinsend vor mir. „Sie haben dich verlassen, Lilli.", sagt er. Er kommt auf mich zu. „Sie wollten dich nicht mehr. Sie hatten Angst.", sein Grinsen wird boshaft. Vor mir bleibt er stehen. „Komm mit mir.", sagt er und reicht mir seine Hand.
Ich schüttele meinen Kopf, unfähig zu sprechen. Sie sind gegangen. Seine Worte hallen in meinem Kopf wieder und wieder. Ich fühle mich hohl. Es dringt kein Gefühl zu mir durch, es ist nur diese Leere da. Und diese Leere ist schlimmer, als jeder Schmerz, den ich bislang gefühlt habe. „Sie sind noch da.", bringe ich mühevoll hervor. Jonah grinst. Er macht sich lustig über mich. „Sie kommen wieder.", flüstere ich. Sie müssen. Er hat es versprochen. Markus hat das.
Jonah's Hand legt sich auf meine Wange. Seine Hand ist kühl und hinterlässt ein brennen auf meiner Haut. Als würden mehrere kleine Nadeln hineinstechen. Trotz der Kälte glüht meine Wange, auf eine unangenehme Weise. „Sie sind weg.", wiederholt er sich. Doch ich weigere mich das zu glauben. Als Jonah das merkt, tritt er einen Schritt zurück. Sauer schaut er zu mir. Der Boden beginnt zu Beben, als er seine Hände verkrampft zu Fäusten ballt. „Versteh es doch. Sie waren nie deine Freunde.", schreit er. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckt mich. Ich spüre noch wie ich zu Boden sinke, als er unter mir nachgibt.

Erschrocken fahre ich hoch. Mir entfährt ein Schrei, den ich nicht zurück halten kann. Ich sehe mich um und befinde mich in einem Zelt. Die Tür zum Zelt wird aufgerissen und Markus kommt herein. Hinter ihm erscheint Gonzo. „Was ist los?", fragt Markus besorgt, als er sich neben mich fallen lässt. Als er meinen Arm berührt, zucke ich zusammen. „Du warst weg. Ihr alle wart weg.", bringe ich hervor. Markus nimmt mich in seinen Arm. „Es war nur ein Traum.", sagt er leise. Erst als er es sagt, realisiere ich, dass er recht hat. Es war nur ein Traum. Meine Atmung beruhigt sich wieder.
„Ich übernehme deine Wache. Bleib bei ihr.", sagt Gonzo plötzlich. Markus lässt mich los und schaut zu Gonzo. Er scheint zu überlegen und sieht zu mir. Still fragt er mich, wie es mir geht. Ich wünschte er würde bleiben, aber er hat Wache. Also schüttele ich meinen Kopf. „Mir geht es gut.", sage ich. Markus scheint einen Augenblick in sich zu gehen. Es fällt ihm schwer mich allein zu lassen, aber er will auch nicht von Gonzo abverlangen, dass er die Ganze Nacht wach bleibt. „Ich schaff das.", sagt Gonzo. Doch Markus schüttelt seinen Kopf. „Ich gehe.", sagt er. Bevor er aus dem Zelt geht, sieht er noch einmal zu mir. Ich nicke ihm zu und er geht. Gonzo folgt ihm.

Kurze Zeit später taucht Gonzo wieder auf. „Soll ich bleiben?", fragt er. Er wirkt, als würde er mir helfen wollen und es nicht machen wollen, weil er muss. Dennoch zucke ich mit meinen Schultern. Gonzo setzt sich ans andere Ende des Zeltes. Es ist still und irgendwie unangenehm. Unsicher blicke ich zu ihm.
„Woher kennst du Jonah?", frage ich schließlich. Er blickt zu mir und lächelt schüchtern. „Wirklich kennen tue ich ihn nicht. Ich kenne nur Stella und Kalea.", sagt er. Verwirrt sehe ich zu ihm. „Stella und ich waren zusammen. Als ich Jonah's Plan herausgefunden habe, bin ich gegangen. Ich wollte die wilden Kerle warnen, aber ich habe euch nicht gefunden.", erklärt er.

„Wird Stella ihm helfen?", frage ich, als die Stille wieder droht uns zu übermannen. Gonzo seufzt. „Sie muss. Genauso wie Kalea.", sagt er. Ich Winkel meine Beine an und sehe zum Ausgang. „Sie wollen es nicht, aber er wird sie dazu zwingen.", erklärt er weiter. „Warum?", frage ich ihn. Gonzo seufzt erneut. „Weil er sie unter seiner Macht hat. Sie haben sich ihm verschrieben und sie können ihn nicht einfach verlassen. Sie kämpfen um ihr eigenes Leben.", sagt er. Ich schlucke schwer. Die nächste Frage fällt mir schwer, weil ich jetzt weiß, dass Gonzo Jonah besser kennt, als wir. Er ist der einzige, der mir eine ehrliche Antwort geben kann. „Können wir das schaffen?", frage ich leise. Gonzo sieht zu mir. In seinem Blick liegt kaum Zuversicht. „Wenn es jemand schafft, dann die wilden Kerle.", sagt er, aber auch in seiner Stimme liegt nicht viel Zuversicht.
*
Mein Urlaub ist vorbei. Morgen hab ich Schule, dementsprechend wollte ich meinen letzten freien Tag genießen. Aber euch wollte ich auch nicht warten lassen (: nur ab jetzt werden nur noch ein Kapitel kommen und keine zwei, wie in den letzten Tagen :)

if love could speakWhere stories live. Discover now