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Die Stille ist wieder da, dabei ist es in meinem Kopf so laut.
*
Lilli

„Drei Wochen.", sagt Juli, „Ich habe drei Wochen mit euch verbracht und bin jetzt auf der Flucht vor einem Alien."
Trotz seiner Worte, wirft er es den anderen nicht vor. Im Gegenteil er lacht, so wie die anderen. Sie benehmen sich alle normal, als wären unser aller Leben nicht in Gefahr.
Ich jedoch mache mir Sorgen. Wir sind Stunden gefahren und sind nun Gott weiß wo. Mitten in der Einöde und weiter weg, als ich jemals geglaubt zu haben zu kommen. Versteckt in einem fremden Wald. Ich habe den ganzen Tag nicht mehr gesprochen, weil es nichts mehr gab zum reden. Ich habe früher nicht geredet, weil ich es wollte. Jetzt, lässt mich meine Angst verstummen.

Mir ist kalt, mein Kopf brummt und mir tun alle Gelenke weh. Ich denke an meine Eltern, die sich sorgen um mich machen. Sie glauben, dass ich zurück komme, aber ich bin weiter weg, als sie glauben. Und am schlimmsten ist, dass ich nicht sagen kann, wann ich wieder zurück komme. An weit schlimmeres denke ich erst gar nicht.
In einer Woche sollte ich in der Schule sitzen und lernen. Ich sollte mit Markus diese letzte Woche genießen. Gerade wünsche ich mir mein altes Leben zurück. Diese Action ist nichts für mich. Ich würde die Zeit zurückdrehen, um ein normales Leben weiter zu führen.
Aber dann sehe ich zu Markus und all diese Gedanken sind verschwunden. Wenn ich ihn sehe, geht es mir selbst jetzt besser. Ich würde alles tun, um bei ihm zu sein und mit ihm, erscheint es nur halb so schlimm.

Markus sitzt mir gegenüber. Er gibt sich die Schuld daran, dass ich hier mit rein gezogen wurde. Aber es ist nicht so. Ich habe mich entschieden zu bleiben und ich habe mich entschieden zu reden. Nichts davon ist die Schuld von Markus. Es hätte ihm geholfen, wenn ich ihm widersprochen hätte, aber mir haben die Worte gefehlt. Sie fehlen mir noch immer. Die Stille ist wieder da, dabei ist es in meinem Kopf so laut. Das Kopfbrummen wird zu starken Kopfschmerzen. Ich schließe meine Augen. Vor mir sehe ich wieder meine Eltern, die mich besorgt ansehen. Sie halten sich gegenseitig fest und ihre Blicke sind auf mich gerichtet. Es ist, als wäre alles meine Schuld.

Die Zeit verstreicht nur langsam. Die anderen haben sich schlafen gelegt. Markus hat versucht mich zu überreden, dass ich auch schlafen gehe. Aber ich habe vehement mit dem Kopf geschüttelt. Ich habe ihm damit weh getan, aber er hat es aufgegeben. „Es tut mir leid.", hat er gesagt und in seiner Stimme lag so viel Schmerz. Ich wollte ihn umarmen, ihm sagen, dass alles okay ist, aber das wäre gelogen gewesen. Die Wahrheit ist, dass nichts okay ist. Ich kann mich nicht bewegen. Einige Meter von mir entfernt steht Joschka, der die erste Wache übernimmt.
Er ist ein Zeichen für die Gefahr. Er erinnert mich daran, warum ich hier bin.

Joschka redet nicht. Er steht einfach da und sieht sich um. Zwischendurch sieht er zu mir und mustert mich besorgt. Dann ist er kurz verschwunden und in dieser Zeit wird die Angst noch größer. Er ist nicht nur ein Zeichen der Gefahr, sondern auch eins der Sicherheit. Jetzt wo er geht, geht auch die Sicherheit.
Aber er kommt wieder. Er setzt sich neben mich und legt mir eine Decke um. „Du solltest schlafen gehen.", sagt er. Ich will ihm sagen, dass ich nicht kann. Ich will ihn von meiner Angst erzählen und erklären, dass sie mich wach hält. Aber ich schweige.

Ich höre ihn seufzen. Als ich zu ihm sehe, sieht er in den Himmel. Ich folge seinem Blick. Wir sind umringt von Bäumen, aber der dunkelblaue Himmel ist noch zu erkennen. Die Sterne funkeln und auch der Mond erhellt den Himmel. „Markus wirft sich das alles vor.", sagt Joschka plötzlich. Ich schließe bei diesem Satz meine Augen. Ich wusste das, aber es von anderen zu hören, macht es nur noch schlimmer für mich. „Ich weiß, du hast Angst. Aber wir sind da, Lilli. Auch wenn du kein Fußball spielst, gehörst du jetzt zu uns und wir werden dich beschützen.", sagt Joschka. Schlagartig öffne ich meine Augen und sehe zu ihm. Joschka lächelt mich schwach an und es muntert mich auf. Ich schaffe es sein Lächeln zu erwidern und es ist nicht gelogen.

„Ich weiß es fällt dir gerade schwer, aber du musst mit Markus reden.", sagt Joschka dann. Mein Lächeln erstirbt. Wenn ich nur könnte. „Er ist mein Freund und ich habe ihn in all den Jahren noch nie so gesehen. Nichtmal als Düsentrieb verschwunden war. Ich mache mir Sorgen um ihn.", redet er weiter. Mein Blick fällt auf Markus Zelt, in dem er schläft.  Und ich nicke.

Dann kommt Maxi auf uns zu. „Lilli?", fragt er verwirrt. Ich sehe zu ihm auf. „Sie kann nicht schlafen.", antwortet Joschka für mich. Er löst Joschka ab, der gähnend in sein Zelt verschwindet. Maxi nimmt seinen Platz ein. Er winkelt seine Beine an und sieht sich einmal um. „Wie geht es dir?", fragt er. Er kennt die Antwort, das hört man heraus, aber er will es von mir hören. Ich seufze. Ich ziehe die Decke, die Joschka mir gegeben hat, näher um mich. Ich zitter auch ganzen Körper. „Ich weiß es nicht.", bringe ich hervor. Auch meine Stimme zittert und klingt mir völlig fremd. Maxi nickt, „Verständlich. Ich hab auch Angst."
Ich sehe zu ihm. „Das haben wir alle.", fügt er hinzu. Es macht mir auf unerklärlicher Weise Mut. Es fühlt sich gut an, dass ich nicht alleine mit der Angst bin.

Die Nacht geht vorüber und Maxi und ich sitzen noch immer da, während die anderen langsam aus ihren Zelten kommen.
Markus stellt sich vor mich und reicht mir seine Hände. Ohne weiter darüber nachzudenken ergreife ich sie. Er zieht mich hoch und dann ein Stück weiter. Die anderen können wir noch sehen, aber sie sind außer Hörweite.
Als ich zu Markus sehe, taumel ich ein Stück zurück. Markus sieht fertig aus. Die Schuld, die er sich selber gibt, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Markus hält mich und sieht mich an. „Markus.", flüstert ich. Er sieht mich an. „Du..", ich breche ab, weil mir die Worte fehlen. Er legt seine Hand auf meine Wange und schließt seine Augen, als müsste er überprüfen, dass ich noch da bin.
„So lange du mich brauchst.", erinnere ich ihn und lege meine Hand auf seine. „Auch wenn es für immer ist?", fragt er. Ich lache leise. „Selbst dann.", flüstere ich. Er sieht wieder auf.

„Es ist nicht deine Schuld.", sage ich. Markus nickt, „Es fühlt sich aber so an.", erwiesener er. „Das ist in Ordnung. Aber vergiss nicht, da wo du bist, gehöre ich auch hin.", sage ich. Markus lächelt.
„Wir müssen los.", unterbricht uns Leon.
Markus nickt, ohne zu ihm zu schauen. „Wir kommen.", sage ich.
*
Erinnert ihr euch, als ich euch von meinem Versuch vom Inliner fahren erzählt habe? Mein Knie ist blau, also eigentlich grün, und zwar komplett. Ich hab auch drauf gedrückt, tut weh. Um sicher zu sein habe ich nochmal drauf gedrückt. Wäre ich auf die Seite geflogen und auf meinem Tattoo gelandet, hätte ich geheult.

Und was ist eigentlich mit dem Wetter? Gestern bin ich spazieren gegangen und bin fast erfroren, meine Hände waren so kalt, dass die sich wieder warm angefühlt haben, und heute sterbe ich fast vor Wärme, um zehn Minuten später wieder zu erfrieren. Kann das Wetter sich mal bitte entscheiden?

if love could speakWhere stories live. Discover now