10. Gute-Nacht-Milch

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„Ich glaube, wenn ich ne halbe Stunde nur nachdenke, werd ich depressiv." Marcel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ich dachte an das Ende seines Buches.

„Geld allein macht wohl auch nicht glücklich.", gab ich zurück.

„Vor allem, wenn man nicht mal Franzbrötchen damit bezahlen kann.", grinste er und ich musste ebenfalls lachen.

„Wie ist es denn in deinem neuen Haus? Hab das erste Video gesehen, mit der Garage.", fragte ich dann.

„Joa", gab er zurück „Noch neu halt. Ist schon sehr nice geworden, aber fühlt sich noch nicht so richtig wie zuhause an. Wie ist es denn bei dir, du wohnst doch auch noch nicht lange hier?"

Ich musterte ihn, diesen armen, reichen Typen.

„Ich hab ja viele Möbel mitgenommen, und vor allem meine Bücher. Dann ist da mein Job und ich kenne auch genug Leute hier. Ich hab mich ziemlich schnell eingelebt."

Marcel sah sich um und dann grinsten wir uns beide an.

„Vielleicht sollte ich mir auch nen richtigen Job suchen. Obwohl...gar kein Bock auf sowas."

Ich musste lachen.

„Du musst nur was finden, was dir Spaß macht. Und du arbeitest doch auch viel, oder? Mit deinen Videos und deinem Onlineshop und so."

„Schon, aber ich hab auch viel Freizeit, wenn halt alle anderen arbeiten oder abends mit ihrer Familie chillen und so. Aber ich jammer hier auf hohem Niveau. Andere ackern den ganzen Tag und wissen trotzdem nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.

Ich schüttelte den Kopf und Marcel hob fragend die Brauen.

„Nimm es mir nicht übel, aber ich hätte nie gedacht, dass man mit dir solche Gespräche führen kann." Entschuldigend zog ich die Schultern hoch.

„Wenn Omi nicht eingesprungen wäre, hättest du es nie rausgefunden."

Wir lachten. Er hatte ja recht, ohne seine Oma hätte ich mich wahrscheinlich nicht mehr bei ihm gemeldet. Oder jedenfalls nicht so schnell. Und nun saß ich hier mit Deutschlands bekanntestem Gamer, wie eine Tageszeitung getitelt hatte. Marcel war mir lieber.

„Hätte ich wohl wirklich nicht. Ich hatte ein paar Vorurteile, ich gebs zu. Außerdem fand ich es ein bisschen gruselig, wie du zwei Mal bei mir in der Buchhandlung gestanden hast, du Stalker."

Ich sah ihn streng über den Rand meiner Tasse hinweg an , aber Marcel grinste nur verschmitzt.

„Ich hab dich echt gestalkt. Bin durch alle drei Buxtehudener Buchhandlungen, war klar, dass du erst in der letzten bist."

„Du bist nicht normal, Marcel, ehrlich. Wieso zur Hölle machst du sowas?"

Kopfschüttelnd stelle ich meine Tasse ab und zog ein Bein an. Mein Kühlschrank begann zu brummen. Er hing voller Postkarten und Magnete, weil ich diesen Kleinkram liebte und genau wie Notizbücher immer kaufte, obwohl ich gar keine Verwendung dafür hatte.

„Ich fand dich sympathisch. Außerdem warst du der erste Mensch seit langem, der mich einfach als Marcel kennen gelernt hat. Das war...ich fand das angenehm."

Sein Grinsen wurde zu einem ehrlichen Lächeln und ich kniff ein wenig die Augen zusammen, als ich zu ihm zurückschaute. Ich fand seinen Look nach wie vor grenzwertig, aber sein Lächeln glich vieles wieder aus, denn es war immer ein ehrliches Lächeln, soweit ich das beurteilen konnte.

„Der arme, geplagte Superstar, ja?", fragte ich und schüttelte den Kopf. „Du kannst mir nicht erzählen, dass jeder dich kennt. Ich habe mein ganzes Leben keine dreißig Kilometer von dir entfernt verbracht und vorher noch nie von dir gehört."

Ich wollte ihn ja nur ungern auf den Boden der Tatsachen zurückholen, aber er war nicht Jogi Löw oder so.

„Du hast ja auch nicht mal Insta.", gab Marcel augenverdrehend zurück. „Aber ich lern nicht gern neue Leute kennen. Find ich anstrengend. Und die, die über meinen Freundeskreis oder geschäftlich dazukommen, kennen mich halt eben doch als Monte. Die wissen, wie ich drauf bin, was ich schon für Scheiße gebaut habe, die kennen meinen Hund und meine Ex und meine Großeltern und schlimmstenfalls wissen sie, ob ich eben noch Döner essen war."

„Alles hat seinen Preis. Viel Geld bekommt man nur sehr selten geschenkt, ohne selbst etwas dafür geben zu müssen. Bei dir wars dann wohl die Privatsphäre. Mein Beileid, das stelle ich mir wirklich schrecklich vor. Wenn einen alle an der Supermarktkasse kennen, aber man selbst kennt niemanden von denen. Gruselig!"

Nun war es an mir, den Kopf zu schütteln. Ich fand die Thematik ja spannend, wie oft konnte man sich schon mit jemandem unterhalten, der das Berühmtsein aus eigener Erfahrung kannte, aber wenn ich mir vorstellte, selbst berühmt zu sein, für was auch immer...nein, auf gar keinen Fall.

„Also willst du kein Shoutout von mir?", fragte Marcel nach einem kurzen Moment, in dem wir beide geschwiegen hatten und wohl über das Berühmtsein nachgedacht hatten.

„Nee, du Influencer, verteil deine Rabattcodes mal schön selber!"

Marcel grinste, ich grinste, und fand, dass Marcel vielleicht gar keine so schlechte Erweiterung meines Bekanntenkreises war. Auf jeden Fall konnte man mit ihm lachen.

A whole new Level (MontanaBlack)Where stories live. Discover now