Teil 17 Jonathan

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Timothy hatte mir einen echten Schrecken eingejagt als er die Vorhänge geöffnet hat. Trotzdem bin ich praktisch sofort wieder eingeschlafen als er den Raum verlassen hat.
Als ich aufwachte erinnerte ich mich nur mit Mühe an den Zwischenfall. Erst als ich meine Weste zugeknöpft hatte erinnerte ich mich an alle Einzelheiten des Gesprächs. In solchen Situationen ist es dann doch vorteilhaft, ohne Brille, so gut wie blind zu sein. Da werden Erinnerungen nicht von visuellen Eindrücken gestört.
Ich ging ins Wohnzimmer um mir den möglichen Zettel anzusehen, gespannt wie viel davon ich würde lesen können. Doch ich fand den Raum nicht wie erwartet leer vor. Timothy hockte immernoch in meinem Sessel, hatte sich in eine Decke gewickelt und schluchtzte leise vor sich hin.
Ich ging zu ihm.
"Hey,", sagte ich, überrascht von der Sanftheit meiner Stimme. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Was ist denn los?"
Er antwortete nicht. Mir viel auch erst ein paar Sekunden später auf warum. Timothy weinte, ja, aber er weinte im Schlaf.
"Hey", sagte ich jetzt bestimmter und rüttelte an seiner Schulter.
"Timothy wach auf!"
"Mhhhmh?" Er sah mich an mit seinen großen, bernsteinfarben Augen und mein Herz brach ein wenig bei der Trauer die in ihnen lag. Ich dachte gar nicht weiter darüber nach und nahm ihn in den Arm, setzte mich auf die Armlehne des Sessels und zog ihn fest an die Brust. Sanft strich ich durch sein Haar und wartete bis er sich langsam wieder beruhigt hatte.
"J-jonathan?"
"Ja?"
"D-denkst du ich bin b-beschränkt?"
"Was?"
Er kämpfte sich ein bisschen aus meiner Umarmung frei um mir in die Augen sehen zu können.
"Denkst du ich bin ein hoffnungsloser Fall? Dass ich dumm bin und nie was können werde?"
"Um Himmels Willen Timothy natürlich nicht! Du bist ein toller Schüler. Du lernst schnell, bist aufmerksam und konzentriert bei dem was du tust. Wo hast du denn den Unsinn her?"
"D-das haben die im Weisenhaus immer gesagt."
"Hör Mal Timothy, die im Weisenhaus hatten keine Ahnung. Sie haben vermutlich nichtmal an Vampire geglaubt. Wie hätten sie dann irgendetwas von Halbvampiren verstehen sollen?  Sie haben ein Kind in das Leben mit den Verantwortungen eines Erwachsenen gesteckt mit dem die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht richtig klarkommen. Wie zum Teufel hättest du das packen sollen. Du wärst noch nicht so weit. Du hast dich um ein paar Jahre langsamer entwickelt als alle anderen in deinem Alter. Aber das ist ja jetzt auch egal. Du bist kein Kind mehr. Das ist alles Vergangenheit. Vergiss es einfach. Warum beschäftigt dich das überhaupt?"
Er nickte zu dem Zettel auf dem Tisch. Ich hatte Timothy immernoch im Arm also ließ ich ihn einfach zu mir fliegen. Ich hatte Mühe Timothys Schrift zu entschlüsseln. Er hatte sich zwar Mühe gegeben extra ordentlich zu schreiben aber ich brachte immernoch einige Buchstaben durcheinander. Beispielsweise i und l, d und b, q und p und so weiter. Timothy ließ mir die Zeit die ich brauchte und kuschelte sich einfach wieder an meine Brust. Ich war zu sehr auf das Blatt konzentriert um das wirklich wahrzunehmen.
Letzten Endes hatte ich mich bis zum Ende des Blattes durchgekämpft.
"Aber ist doch eine gute Gelegenheit Timothy.", fing ich an und strich ihm wieder durchs Haar.
"Sie haben alle behauptet du könntest nichts und wärst beschränkt. Das ist die Ideale Gelegenheit ihnen das Gegenteil zu beweisen. Du kannst ihnen zeigen dass du nicht kleinwüchsig, nicht beschränkt und wertvoll bist."
"M-meinst du?"
"Aber sicher doch."
Diesmal löste ich ihn von mir um ihm in die Augen sehen zu können.
"Du bist toll Timothy. Du hast 7 Jahre auf der Straße überlebt, das hätten weiß Gott nicht viele Kinder geschafft. Du bist, wie ich schon sagte ein 1a Schüler, der sehr schnell lernt, sehr aufmerksam und klever ist und dazu noch konzentriert. Dazu hast du ein Herz aus Gold. Ich wüsste nichts an dir was ich auszusetzen hätte."
Der Junge wurde ein bisschen rot und senkte den Kopf.
"D-das sagst du doch jetzt nur so."
"Nein." Ich strich ihm durchs Haar und hob sein Kinn an.
"Das meine ich absolut ernst."

TimothyWhere stories live. Discover now