2 - London

216 3 0
                                    

04. Mai 2016

Seufzend ziehe ich mir meine Ballettschuhe fester und dehne mich erneut etwas, um meine Muskeln zu lockern. Mittlerweile ist es neunzehn Uhr, die meisten Schüler in meinem Alter gehen bereits in ihre Wohnheime um zu lernen oder sich zu entspannen. Ich jedoch habe noch vor etwas zu trainieren. Ich übe für eine Rolle in Schwanensee. Meine Trainerin meinte zwar es sei schwer hier am Royal Ballet in so jungen Jahren eine Rolle zu bekommen, jedoch nicht unmöglich. Ich möchte unbedingt ein Solo und nicht als kleiner Schwan enden. Seit ich in London tanze sind meine Standards ziemlich hoch geworden. Ich trainiere, trainiere und trainiere. Die Mädchen in meiner Klasse tun das zwar auch, doch bin ich um diese Uhrzeit meistens alleine. Meinen Wickelrock ziehe ich aus um eine bessere Sicht auf meine Beine zu bekommen.

Einundzwanzig Uhr einunddreißig. Meine Schuhe packe ich in meine Tasche und ziehe mir etwas über, um draußen nicht zu erfrieren. Es ist zwar Mai, jedoch befinden wir uns in London wo es öfter regnet und es ist spät. Seufzend trete ich aus der Schule und gehe in Richtung Bushaltestelle, als mein Handy einen Nachrichtenton von sich gibt. Es ist Mina, meine WG Mitbewohnerin. Sie kommt aus Irland, also ist sie englische Muttersprachlerin. Ich habe in Korea zwar Englisch in der Schule gehabt, jedoch hat Mina mir bei vielem geholfen, unter anderem dabei innerhalb von zwei Jahren fließendes Englisch zu sprechen.

Essen ist fertig wenn du Zuhause bist <3

Grinsend schreibe ich ihr eine Nachricht in welcher ich mich bei ihr bedanke, als ich in den Bus steige. Zum Glück wohne ich nicht weit von der Kompanie, weswegen ich nicht weit fahren muss. Mina wartet zuhause wie angekündigt mit dem essen. „Hey", begrüße ich sie, was sie mir gleich tut. Mina ist ebenfalls Tänzerin am Royal Ballett, weswegen wir auch sobald wir konnten zusammen ins Wohnheim zogen. Wir teilen uns hier zwar das Bad mit den Mädchen neben an, jedoch tut es uns gut. Mina ist ziemlich offen, was meiner Meinung nach an ihrer Kultur liegt, ich bin ja in Korea aufgewachsen. „Habe Kartoffeln, Hähnchensticks und Salat gemacht", verkündet sie mir stolz, was mich zum lächeln bringt. Gemeinsam essen wir also. Dabei reden wir über Gott und die Welt. „Auf jeden fall hat mich Jackson dann angeschrieben", erzählt sie mir. „Aber ihr kanntet euch aus Irland, wieso auf einmal?", frage ich sie und stopfe mir meine Kartoffeln in den Mund. „Ja er meinte er hätte uns auf Insta gesehen und er fand mich wohl so Sympathisch, dass er mir geschrieben hat." Während sie mir das erzählt lacht sie Ironisch auf. „Ich meine damals hat er mich dafür gehänselt das ich Ballett tanze und so dürr bin und jetzt will er was? Ganz sicher nicht", sie lehnt sich zurück und hat einen trotzigen Blick in ihrem Gesicht. „Er hat mich doch tatsächlich gefragt ob ich mich mit ihm treffe wenn er nächste Woche mit seiner Klasse hier in London ist", lacht sie sofort auf und beugt sich wieder über ihr Essen. Tatsächlich muss ich darüber schmunzeln wie euphorisch sie sich über ihren ehemaligen Klassenkameraden aufregt. „Dafür haben wir zu wenig Freizeit", seufze ich. Tatsächlich haben wir sehr wenig Freizeit. Von morgens bis zum frühen Nachmittag sitzen wir im Unterricht, dann gehen wir direkt zum Ballett und trainieren bis zum Abend. Wenn uns Zeit bleibt, dann verbringen wir die meistens Zuhause um unseren Körper zu entspannen. Ballett ist hart, fordert unseren ganzen Körper und tatsächlich beansprucht dieser Sport ganz schön unsere Psyche. „Genau!", ruft sie aus. „Als ob ich meine kostbare Zeit mit jemandem wie ihm verbringe." Tatsächlich interessiert Mina sich mehr für Jungs als ich es tue. Also doch ich interessiere mich für Jungs, nur weiß ich meine Prioritäten besser zu setzen. Ich habe keine Zeit für irgendwelche Späße und Liebkosungen mit irgendwem. Im Endeffekt habe ich auch keine Lust darauf.

Meine Kindheit hat mich so geprägt, dass ich mir niemand falschen aussuchen möchte. Meine Mutter hat mir gezeigt wie es ist diesen Fehler zu machen. Sie hat sich anfangs für den falschen Mann entschieden. Im Endeffekt hatte sie Glück, ist mit mir von meinem Erzeuger abgehauen und hat sich mit mir und meinem Papa ein neues Leben aufgebaut. Warum soll ich also meine Jugend damit verschwenden irgendwelchen Jungen hinterher zu rennen, die im Endeffekt kein Ehemann-Potential haben? Viel lieber warte ich, finde den richtigen und entscheide mich weise.

„Hörst du mir zu?", fragt Mina mich lächelnd, die sich etwas über den Tisch zu mir rüber gebeugt hat. „Nein, tut mir leid", gebe ich peinlich berührt zurück und schaue sie entschuldigend an. „Alles gut. Ich habe dich gefragt ob du auch noch ein Glas Zitronenwasser möchtest?", fragt sie mich, woraufhin ich ihr zunicke. Mina und ich trinken sehr viel, wenn wir Zuhause sind ist es meist stilles Wasser mit einigen Zitronenscheiben. Ich persönlich liebe es, es schmeckt frisch und einfach leckerer als normales Wasser. „Schwanensee also", grinst sie mich an. Sie weiß wie sehr ich ein Solo in diesem Stück möchte. Grinsend nicke ich ihr zu und nehme dankend das Wasser entgegen. Wieder ein Kultureller unterschied. Während sie mir das Wasser mit einer Hand reicht, nehme ich es mit zwei Händen entgegen. Es ist mir so einfach als eine höfliche Geste beigebracht worden. Wir reichen Dinge auch mit zwei Händen. „Du bist gut, Jimin. Sehr gut sogar. Deine Haltung ist perfekt, genau wie deine Reihenfolge und deine Linien. Deine Ausstrahlung erst. Ich wüsste nicht was dagegen sprechen sollte", erklärt sie mir ihre Ansicht der Dinge, während ich seufze. „Mein Alter. Ich bin erst in der Tanzausbildung. Klar, bald bin ich fertig, aber es gibt so gute Tänzerinnen in der Kompanie die mehr Erfahrung haben als ich." „Aber die haben auch irgendwann ihr erstes Solo bekommen", grinst sie mich an und wischt sich eine ihrer blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Unser Gespräch wird jedoch von einem Klopfen an unserer Tür unterbrochen. „Ich räume unsere Teller weg und du machst auf", sagt Mina sofort und nimmt unsere Teller. Also stehe ich von meinem Stuhl auf und gehe auf die Tür zu, die ich sofort öffne. Vor mir steht Anna, eines der Mädchen mit denen wir unser Bad teilen. „Hey", begrüße ich sie. Freundlich lächelt sie mich an. „Mir ist langweilig, Lisa schläft schon", seufzt sie. Grinsend mache ich ihr also Platz damit sie in unsere kleine Wohnung treten kann, was sie auch tut. „Hey Anna", begrüßt Mina unsere Nachbarin, die gleichzeitig eine gute Freundin von uns ist. Anna lässt sich auf unsere Couch fallen und schaut uns neugierig an. Keine Ahnung was sie von uns erwartet, jedoch setze ich mich einfach neben sie. „Lisa schläft also?", frage ich sie, woraufhin sie frustriert nickt. „Als sie kam ist sie direkt ins Bett." Lisa ist Anna's Mitbewohnerin. Anna kommt hier aus London, während Lisa aus Australien kommt und Feuerrotes Haar hat.
Anna öffnet ihren Zopf und fährt sich durch ihr Haar. Ich bin von meinen Freundinnen tatsächlich die einzige die braunes Haar hat. Die habe ich von meiner Mutter, denn diese hat ebenfalls Haselnussbraunes Haar. Die anderen haben entweder hellblondes, dunkelblondes oder rotes Haar, was meiner Meinung nach aber nicht wirklich schlimm ist, denn es Symbolisiert unsere verschiedenen Herkünfte. Wir alle kommen aus verschiedenen Ländern, sind mit verschiedenen Sprachen oder Kulturen aufgewachsen und trotzdem sind wir alle durch das Ballett zusammen gekommen.

„Mir ist langweilig. Wollen wir Live gehen?", fragt Mina uns, woraufhin Anna nickt und ich nur die Schultern hebe.
Meine Freundinnen und ich führen gemeinsam einen YouTube Kanal und eine Instagram Seite mit der wir Menschen das Ballett näher bringen wollen. Viele sehen es als einen Sport an der dafür sorgt das junge Mädchen sich abmagern, quälen und darunter psychische Probleme bekommen, was aber nicht immer stimmt. Dazu hat jeder von uns eine eigene Insta-Seite, die wir schließlich als Privatperson führen. Grinsend legt Mina das Handy auf dem Tisch ab und wir schauen auf dieses, bis immer mehr den Livestream betreten und uns dabei zuschauen wie wir über unseren Tag und das Training sprechen.

Love me | Park Jimin - BTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt