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6. Barbie-Bitch

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Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, erhob sich Gabriel auch schon wieder und schlenderte wie selbstverständlich aus dem Chemieraum. Auch, wenn mich der Gedanke an den Vorabend immer noch verstörte, war ich ihm dankbar, dass er anscheinend nicht vorhatte, es an die große Glocke zu hängen.

„Was war das denn bitte?", vernahm ich nun Laurens irritierte Stimme direkt neben mir. Ich hatte vor lauter Schreck überhaupt nicht bemerkt, dass sie neben mich getreten war. Sie schob ihren Stuhl so nah neben mich, wie es ihr möglich war und ließ sich anschließend auf ihn fallen.

„Meine Mom wird seinen Dad heiraten", flüsterte ich ihr kurzerhand zu und selbst als ich die Worte aussprach, hörte es sich unwirklich für mich an.

„Du verarschst mich doch?", erwiderte Lauren und ihre braunen Augen blickten mir entgeistert über den Rand ihrer Brille entgegen.

Gerade, als ich etwas erwidern wollte, betrat jedoch unser Chemielehrer den Klassenraum und so gab ich ihr nur mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass ich mir keinen Scherz erlaubte. Während der gesamten Stunde warf mir Lauren immer wieder fragende Blicke zu und ich beschloss, sie gleich nach Unterrichtsende über die Ereignisse der letzten 24 Stunden aufzuklären.

„Also?", wandte sie sich unvermittelt an mich, als endlich der erlösende Pausenton erklang. Ich bedeutete ihr daraufhin mit einer Geste, mir in den Schulkorridor zu folgen, und erzählte ihr in einer ruhigen Ecke detailliert, was sich zugetragen hatte.

„Wie krass ist das denn bitte?" Lauren konnte anscheinend nicht glauben, was sie da gerade von mir gehört hatte und lehnte sich erstmal perplex gegen eines der Schließfächer. Sie gehörte neben Amy und Jackson zu meinen engsten und auch einzigen Freunden, daher war es für mich selbstverständlich, sie über die neuesten Vorkommnisse zu informieren.

„Ich kann es auch noch nicht wirklich fassen", erklärte ich daraufhin mit einem Schulterzucken. „Aber ich bin froh, dass er keine große Sache daraus machen will. Dann wird vielleicht doch alles beim Alten bleiben."

****

Ich hatte mich für die Mittagspause mit Amy verabredet und wartete ungeduldig vor dem Eingang der Mensa auf sie. Es dauerte glücklicherweise nicht lange, da kam sie mir bereits mit eiligen Schritten entgegen.

„Wie war dein Tag bisher?", wollte sie umgehend von mir wissen, als sie mich erreicht hatte. Ihre Augen musterten mich prüfend, aber ich konnte ihr sogleich Entwarnung geben und sie über meine kurze Unterhaltung mit Gabriel informieren.

„Er hat dich mit deinem Nachnamen angesprochen?", erkundigte sich Amy skeptisch, aber mir war es ehrlich gesagt egal, wie er mich nannte. Die Hauptsache war, dass er mich in Ruhe lassen würde.

Nachdem wir schließlich die Mensa betreten hatten, reihten wir uns in die Schlange vor der Essensausgabe ein. Während wir warteten, konnte ich Jackson und Lauren bereits am Ende des Speisesaals ausmachen. Sie saßen wie immer an unserem Stammtisch und warteten auf Amy und mich.

Kurze Zeit später durchquerten wir auch schon mit unseren Kantinentabletts den Speisesaal, um uns zu unseren Freunden setzen zu können. Auf halber Strecke stellte sich mir jedoch plötzlich ein Mädchen in den Weg.

„Hi Sophie! Ich bin Rachel", eröffnete sie das Gespräch und ihr Lächeln legte den Blick auf ihre strahlend weißen Zähne frei. Eigentlich hätte sie sich überhaupt nicht vorstellen müssen, denn obwohl wir noch nie ein Wort miteinander gewechselt hatten, wusste ich sofort, wer sie war: Sie war die Schülersprecherin unserer High School und außerdem seit einiger Zeit Gabriels Freundin.

„Ihr Name ist ‚Sophia' und nicht ‚Sophie'", verbesserte Amy sie von der Seite, bevor ich überhaupt dazu kam, ihr zu antworten.

„Wie auch immer", entgegnete Rachel schnippisch und bedachte Amy mit einem abschätzigen Blick, bevor sie sich wieder mir zuwandte, „Was hältst du davon, dich zu uns zu setzen?"

Mit uns meinte sie offensichtlich den Tisch, an welchem sie gemeinsam mit ihren Freundinnen saß. Nicht einmal für eine Millionen Dollar hätte ich mich freiwillig dort niedergelassen, aber selbstverständlich sagte ich ihr das nicht so offen.

„Das ist sehr nett, aber ich sitze immer da hinten bei meinen Freunden", antwortete ich ihr also unbeholfen und deutete mit einem Fingerzeig in die entsprechende Richtung. Mir war die ganze Situation ziemlich unangenehm.

„Dann ist es höchste Zeit, das zu ändern, meinst du nicht?" Ihre blauen Augen blickten mir fordernd entgegen und es war offensichtlich, dass sie es nicht gewohnt war, nicht ihren Willen zu bekommen.

„Rachel, ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen, aber ich muss jetzt echt weiter. Sorry." Ich schenkte ihr noch ein entschuldigendes Lächeln, bevor ich mit schnellen Schritten zu Lauren und Jackson eilte. Dort angekommen stellte ich hastig das Tablett auf den Tisch und ließ mich verwirrt auf einen freien Stuhl fallen.

„Arrogante Barbie-Bitch!", fauchte Amy, als sie unseren Tisch ebenfalls erreicht hatte. „Aber es war ziemlich cool, wie du sie stehen gelassen hast."

„Ich wollte nicht unhöflich zu ihr sein, aber ehrlich gesagt, war ich etwas überfordert mit der Situation", erklärte ich mit gesenkter Stimme. Als ich einen kurzen Blick zu Rachel und ihren Freundinnen warf, konnte ich sehen, dass sie anscheinend über uns sprachen.

„Kann mich vielleicht mal jemand darüber aufklären, was hier eigentlich los ist?" Jackson musterte uns mit zusammengezogenen Augenbrauen und sah ziemlich irritiert aus. Bisher hatte ich noch keine Zeit gefunden, ihn über alles in Kenntnis zu setzen.

„Gabriel Wright wird Sophias Stiefbruder", riefen Amy und Lauren gleichzeitig, woraufhin ich erschrocken einen Zeigefinger auf meinen Mund legte, um sie zum Schweigen zu bringen. Immerhin sollte es eigentlich nicht gleich die gesamte Schule erfahren. Jackson reagierte ähnlich fassungslos wie die beiden, als sie davon erfahren hatten. Glücklicherweise fing er sich recht schnell wieder und wir konnten uns endlich dem Mittagessen zuwenden.

„Habt ihr schon mitbekommen, dass das Planungskomitee das Ziel für die diesjährige Senior-Fahrt bekanntgegeben hat?" Lauren rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, während sie auf eine Reaktion von uns wartete.

„Noch nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich dieses Thema komplett verdrängt hatte. Im Moment hatte ich andere Dinge in meinem Kopf und keine Zeit mich mit solchen Nebensächlichkeiten auseinanderzusetzen.

„Es ist New York geworden", verkündete Lauren daraufhin und klatschte aufgeregt in die Hände. Einen kurzen Moment beneidete ich sie um ihren Enthusiasmus, setzte aber trotzdem ein freundliches Lächeln auf. Ich wusste nämlich, dass New York ihr absolutes Wunschziel gewesen war.

Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt an der Abschlussfahrt teilnehmen wollte. Im Moment war mir einfach alles ein wenig zu viel.

(In)Visible - How To Survive Senior High SchoolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt