Kapitel 5

1.7K 81 1
                                    

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug.
Mr Bucket bekam einen neuen Job in der Zahnpastafabrik, ich hatte gekündigt und eine Stelle in der Bücherei der Stadt bekommen, in der ich mehr Geld verdiente und den Tag damit verbringen konnte neue Geschichten zu lesen und den Leuten – vor allem den Kindern – vorzulesen oder einfach nur zu erzählen. Selbst Charlie suchte sich gelegentlich kleine Arbeiten als Zeitungsjunge oder polierte die Schuhe der Herren, die meiner Meinung nach zu viel Geld hatten und nur zu faul waren es selbst zu tun.
Ich lernte die Kinder der Besitzerin der Bibliothek kennen und hatte gelegentlich ein Auge auf sie, da sie noch zu jung für die Schule waren, aber auch noch nicht alleine zu Hause bleiben konnten.
„Noch eine!", quengelte Lia, die ältere der beiden, als ich gerade mit meiner Geschichte fertig war.
„Noch eine?", fragte ich, „Aber das waren doch schon zwei ganze Geschichten."
„Ach bitte!", bettelte Peter, Lias jüngerer Bruder.
Ich schaute hinüber zur Theke, von der aus mir die Mutter kopfschüttelnd zulächelte. „Na von mir aus", gab sie nach. „Aber es ist schon spät, musst du nicht langsam zurück zu deiner Familie?"
Ich schaute auf die Uhr und merkte erst jetzt, dass es bereits nach acht Uhr war. Erschrocken stand ich auf und suchte meine Jacke.
„Du hast Recht, ich hab' Mrs Bucket versprochen ihr beim Abendessen zu helfen - das ich nun vermutlich sogar verpasst habe."
„Also keine Geschichte mehr?", fragte Lia traurig und schaute mich mit großen Augen an.
Ich hasste es, wenn sie das machte. Sie wusste, dass sie mich damit immer wieder drankriegte und ihr Bruder lernte schnell dazu und guckte mich schon mit dem gleichen Hundeblick an wie sie.
Aber für heute war es wirklich zu spät. Der Laden hatte bereits seit einer Stunde geschlossen.
„Das nächste Mal wieder! Und dann erzähle ich euch ein paar Geschichten vom berühmten Willy Wonka!"
Nachdem ich den Laden verlassen hatte, waren es nur 15 Minuten zu Fuß bis nach Hause.
Mit dem kleinen Unterschied, dass unser Haus, als ich dort ankam, verschwunden war.
Ich drehte mich ein paar Mal um die eigene Achse um sicherzugehen, dass ich mich auch ja nicht verlaufen hatte (in der Dunkelheit sahen immerhin schnell alle Häuser gleich aus).
Vielleicht hatte ich die falsche Abbiegung genommen? Vermutlich. Ich war auf dem Weg so in Gedanken verfallen, dass ich sicher nur an der falschen Kreuzung abgebogen bin. Jedenfalls versuchte ich mir das einzureden.
Aber nach nur wenigen Schritten wurde mir klar, dass ich sehr wohl richtig war.
Ehe ich mich länger wundern konnte und ich befürchtete den Verstand nun komplett verloren zu haben, griff eine Hand nach meiner, woraufhin ich erschrocken zusammenzuckte.
„Mein Gott, Charlie, hast du mich erschreckt! Was-? Wo ist-?"
„Ich habe eine Überraschung für dich!"
Der Junge strahlte über beide Ohren und rannte schon entschlossen die Straße zurück, aus der ich gerade gekommen war. Er ließ meine Hand dabei nicht los und zwang mich wohl oder übel mitzukommen.
„Charlie, wo willst du hin? Sind wir umgezogen?"
„Kann man so sagen", antwortete er schlicht und grinste nun umso mehr.
Meine restlichen Fragen à la wohin und wieso, ignorierte er.
Am Ende der Straße blieben wir schließlich stehen. Ich hielt mich am Gitter zu meiner rechten fest und versuchte erst einmal wieder zu Atem zu kommen. Möglichst so, dass Charlie nicht merkte, wie unsportlich ich zuletzt doch geworden war.
„Und jetzt?", fragte ich.
Er kramte in seiner Hosentasche und drückte mir den Gegenstand in die Hand. Es war ein Schlüssel. Ein großer metallener Schlüssel, der am Griff mit geschwungenen Linien verziert war.
Noch bevor ich fragen konnte, wofür er war, schaut er zur Seite. Ich folgte seinem Blick und erstarrte in meiner Bewegung.
„Aber das ist-"
Während Charlie neben mir das große eiserne Tor aufschloss, kam ich aus dem Starren nicht mehr hinaus.

My Life With Willy WonkaWhere stories live. Discover now