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𝑾𝒆𝒏𝒏 𝒆𝒔 𝒔𝒐 𝒓𝒊𝒄𝒉𝒕𝒊𝒈 𝒑𝒐𝒍𝒕𝒆𝒓𝒕 ...
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Bevor ich auch nur halbwegs reagieren konnte, entglitt mir das Tablett mit dem Porzellan. Etwas ungeschickt unternahm ich den Versuch, irgendetwas zu retten, doch das Geschirr zersprang vor mir in tausend Stücke. Ein lauter Krach durchfuhr den Raum, was meinen gesamten Körper mit einer undefinierbar starken Angst erfüllte.

„Elli, jetzt ist es noch gar nicht an der Zeit zum Poltern!" Andi lachte, während ich die Situation verzweifelt auf mich wirken ließ. Wie konnte er denn bitte jetzt einen Witz machen?

Und warum war er hier? Das konnte jedenfalls nur ein Scherz sein. Oder vielleicht hatte ich einen Geist gesehen? Okay, Elli ... Reiß dich zusammen!

Also richtete ich mich abrupt auf und mein Blick schoss erneut durch den Raum über Angie, Andis Mutter, weiter zu Emilia, hin zu Andi und schließlich ... noch mal genau in die ozeanblauen Augen von Herrn Degenhardt, wo er ungläubig verharrte. Wäre auch zu schön gewesen, wenn ich mich getäuscht hätte. Was machte der hier?

„Scheiße!", entfuhr es Andi panisch. „Scheiße Elli, ist alles in Ordnung mit dir? Du ... du blutest."

Wie in Trance suchte ich Andis besorgtes Augenpaar, das mich schockiert musterte. Ich blute? Etwas verunsichert begann ich auf mich herabzusehen. Dort war tatsächlich Blut. Scheinbar hatte ich mich bei meiner unglücklichen Aktion, das Porzellan vor einem Absturz zu bewahren, verletzt. Die leuchtend rote Flüssigkeit klebte bereits an mehreren scharfen Kanten des zerbrochenen Geschirrs. Zusätzlich bemerkte ich, dass von irgendwoher weiter Blut auf den Haufen tropfte.

Das Zerschellen des Geschirrs hallte erneut in meinen Ohren, sodass ich die besorgt klingenden Stimmen nicht mehr hören konnte. Das Blut begann unkontrolliert in meinem Kopf zu rauschen und unnatürlich laut nahm ich das leise Tropfgeräusch meines Blutes auf das Porzellan wahr. Hinzu kam dieser metallische Geruch, der sich augenblicklich im gesamten Raum zu verteilen schien. Auf einmal wurde mir ganz schwummrig, jegliche Kraft verließ meinen Körper und alles um mich herum wurde in ein schwarzes Loch gesogen.

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Völlig benommen fand ich mich in einem Bett wieder. Nach kurzem Begutachten der Umgebung stellte ich fest, dass ich in Andis Zimmer war. Viel hatte sich hier nicht verändert, aber dennoch fehlten mir die Kleinigkeiten, die er mitgenommen hatte. Nachdem mein bester Freund vor zwei Jahren für sein Studium ausgezogen war, besaß er hier zwar noch ein Zimmer, aber sein Lebensmittelpunkt hatte sich von Ingolstadt nach Passau verlagert. Das lag vor allem daran, dass Andi seitdem höchstens einmal im Monat nach Hause kam. Selbst in den Semesterferien verbrachte er mehr Zeit in seiner Studentenbude als in seiner Heimat.

Am Anfang war es mir sehr schwergefallen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, ihn zukünftig seltener sehen zu können. Schließlich stellte er eine Art Bruder für mich dar. Mehr noch. Eigentlich war Andi nicht nur einmal mein Rettungsanker gewesen. Durch ihn hatte ich neue Kraft schöpfen können. Nach alldem, was in meiner Vergangenheit geschehen war.

Meine Vergangenheit ... Warum war sie plötzlich wieder so präsent? Verdammt!

Wäre da nicht dieses schreckliche Klirren gewesen. Wäre da nicht diese unangenehme Stille gewesen, in der ich das Geräusch von tropfendem Blut gehört hatte. Wäre da nicht dieser unerträgliche Geruch gewesen.

Diese ganze Szene hatte Erinnerungen in mir wachgerufen, die ich fein säuberlichst in einer verborgenen Schublade in der hintersten Ecke meines Gedächtnisses verschlossen hatte. Und dort sollten sie auch für den Rest meines Lebens bleiben. Denn ich hatte niemals vorgehabt, sie nochmals hervorzukramen.

UNAUSWEICHLICHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt