Doppelte Tarnung

315 23 11
                                    

Nachdem es mir wieder besser ging, besuchte ich wieder die Oberschule. Obwohl ich nun nicht mehr für den CIA arbeitete, sollte ich meine Rolle ersteinmal aufrecht erhalten.
Ironischerweise hatte ich sogar Spaß daran, mit den Kindern Zeit zu verbringen und Subaru nach der Schule zu sehen. Er unterwies mich in die Kunst der verdeckten Ermittlung, besser als es mein Team getan hat. Aber er war auch ein sehr strenger Lehrer, wie ich festellte, als die Frühlingsferien immer näher rückten und unser Auftrag bald schon vor der Tür stand.
Ich wurde zunehmend nervöser.
Zuerst dachte ich, es wäre wegen der Ermittlung, doch es lag eindeutig an dem FBI Agenten. Subaru und ich sahen uns immer öfter, oft sogar mehrmals am selben Tag. Von Zeit zu Zeit wurde er immer ungeduldiger mit mir, jeden Fehler, den ich machte, merkte er an und betonte, dass mich jeder kleine Fehler das Leben kosten konnte. Warum beunruhigte ihn das mehr als mich?
Ich wollte nicht, dass er sich Gedanken um mich machte. Mein Team hatte nie daran gedacht, dass ich sterben könnte, während ich Subaru beschattete, hinter dem die schwarze Organisation noch her war.
Es war anstrengend, mich von ihm in die verdeckte Ermittlung einzuweisen. Ich hatte mich noch nie so verkleiden müssen wie in diesem Falle.
Eine brünette Amerikanerin, die sich einen japanischen Freund angelacht hatte, sollte ich darstellen.
Eine Frau, die gerne auch mal mit fremden Männern flirtete und genau da kam ich an dem Punkt an, an dem ich nicht mehr wollte.
Die Tarnung liegt meist im kompletten Gegenteil des eigentlichen Charakters, hatte er gesagt, demnach müsste er eigentlich ein richtiger Frauenheld sein, doch das traute ich ihm nicht zu.
Ich betrachtete missgünstig mein Spiegelbild, gefiel mir weniger als sonst. Dunkle Schatten zeichneten sich unter meinen Augen ab und tiefe Krähennester, die von wenig Schlaf zeugten. Subaru hatte mich in ein mir viel zu kurzes Kleid gesteckt, dazu nicht einmal eine Jacke. So schamlos zu sein, ließ mich unwohl fühlen. Unglücklich verbog ich mich vor dem Spiegel. >>Warum so viel Busen?<<, zeterte ich in Gedanken und schloß, dass dies wohl Subarus Geschmack war.
"Warum muss ich in einer kalten Gegend ein Kleid tragen?"
Darauf hatte er nur geantwortete, dass Männer bereiter waren sich auf einen Flirt einzulassen, wenn die Frau schon schamlos aussah. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken eine solche Frau spielen zu müssen.
Jodie war besser dran als ich. Sie spielte eine langhaarige Blondine, mit braunen Rehaugen. Eine unschuldige, frisch verlobte Lehrerin sollte sie spielen, die einen Pärchenausflug mit ihren Freunden unternahm.
Das Skurrilste an der Sache war, dass Camel meinen Freund und Subaru den Mann von Jodie spielten. Der bullige Mann und ich waren uns wenig vertraut, hatten bis jetzt kaum ein Wort miteinander gewechselt. Ich konnte nicht sagen, ob ich Camel überhaupt leiden konnte, aber in seiner Nähe fühlte ich mich äußerst unwohl.

Fluchend warf ich meine, viel zu kurze, Perücke ins Waschbecken und entfernte die fast grauen Kontaktlinsen aus meinen Augen. Selbst als ich mein Gesicht wusch und mit kaltem Wasser kühlte, wollten meine Augenringe nicht verschwinden, dass würden sie so bald wohl auch nicht. Nicht, wenn ich weiter von dem Feuer träumte und die Gedanken um meinen Vater mich wach hielten.
"Ich bin für heute fertig mit dir. Ich brauche eine Pause von deinen diktatorischen Forderungen, bei denen ich kein Mitspracherecht habe!", sagte ich, nachdem ich mich umgezogen hatte und verließ die Villa der Kudo Familie. Seit ein paar Tagen war ich nicht mehr Zuhause gewesen, die Schule hatte ich bloß kurzweilig besucht und wieder beiseite geschoben.
Allmählich wurden die anderen Misstrauisch. Ich würde wohl wieder am Unterricht teilnehmen müssen, wenn ich nicht täglich Besuch von den Mädchen haben wollte.

Ich machte mich fertig für den Schultag.
Der Schulweg war quälend lang und eigentlich wollte ich auf halber Strecke wieder umkehren.
Obwohl ich in der Zwischenzeit sogar Spaß daran hatte, mich mit den anderen durch den Unterricht zu quälen und noch einmal selbst Kind sein zu können, war ich dennoch eine Erwachsene. Mein Abschluss bestand bereits und ich hatte bereits die erste Liebe erlebt und meine Chance verpasst. Ich hatte Arbeit und brauchte mich auch nicht mehr damit auseinander zu setzen, wer ich werden wollte. Aber, war ich denn schon die Person, die ich sein wollte?
Als ich vor der Schule stand, sahen mich die Schüler an, als wäre ich ein Geist. Sicher dachten sie, dass ich wieder weggezogen wäre oder sowas.
"Du siehst beschissen aus!"
Masumi liebreizende Wortwahl, als ich das Klassenzimmer betrat war sicher nicht die Beste, aber sie entsprach der Wahrheit und genau deswegen war sie mir mittlerweile sehr sympathisch, mit ihrer vorlauten Art, die mich an Subaru erinnerte. Ich war gern in ihrer Nähe, weil ich dann nicht nachdenken musste, was man von mir erwartete.
"So fühle ich mich auch", grummelte ich und setzte mich auf meinen Platz. "Subaru sollte sich doch um dich kümmern, was hat er denn gemacht?"
Es waren meine Augenringe, die sie damit hatte anmerken wollen. Es gab keine passende Ausrede, die meinen Zustand hätte erklären können, außer ich hatte vor seinen Ruf und meinen gleich mit zu zerstören, wobei dies ziemlich egal war, in Anbetracht unserer gefälschten Identitäten.
Jodie betrat das Klassenzimmer und sah ehrlich überrascht aus, als sie mich sah. Sicher hatte sie vor, mich nach der Stunde noch für ein paar Minuten allein zu sprechen.
"We are going to write a class test."
Sie musste nichts weiter erklären und alle räumten die Tische leer und holten sich etwas zum Schreiben raus.
Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt schrieb ich eine Klausur und ich merkte, wie schwer es mir fiel. Es war eigentlich nicht nötig, sich Mühe zu geben, doch ich wollte meiner neuen Kollegin beweisen, dass ich gut genug war. Leider war das Thema nicht sonderlich mein Fall. Eine Klausur auf Englisch, über die japanische Politik, mit der ich mich seit Jahren nicht beschäftigt habe. Ob sie mich für unfähig hielt, wenn ich ihr meinen Mist vorlegte?
Ich gab meine Klausur mit Absicht als letzte ab, als ich sah, dass meine Freunde auf mich warten wollten.
"I have to talk with Arisu. Please leave us alone for a moment!", sagte Jodie in ihre Richtung. Die drei gingen verwundert und schlossen dabei die Tür. Die Amerikanerin und ich waren nun allein, so wie sie es sicher schon eine Weile gewollt hatte.
"Du siehst erschöpft aus. Macht er dir Ärger?"
Ich setzte mich auf einen der Schülertische, die vor ihr standen und fuhr mir müde durch mein blondes Haar. Heute stand es ausnahmsweise nicht wie Stroh von meinem Kopf ab, nachdem ich es geglättet habe und mir dabei das linke Ohr verbrannte.
"Er ist ein anstrengender Lehrer. Jeder Fehler ist für ihn ein Weltuntergang." Verständnis lag in ihren blauen Augen, als sie mir mitfühlend zunickte.
"Du wurdest nicht verdeckte Ermittlungen vorbereitet, als IT-Spezialistin. Hier kennt dich niemand und du siehst nur halb so alt aussiehst, wie du eigentlich bist. Bei dem kleinsten Fehler könntest du bereits tot sein, nimm dir seine Bemerkungen nicht zu herzen, aber verinnerliche seine Ratschläge, wenn du leben willst."
Für einen Moment schloss ich meine Augen.
"Das rauchen stört mich mehr, als seine Beleidigungen. Ich bin müde, aber er will das ich meine Rolle perfektioniere. Er ist seltsam, obwohl er mich nicht einmal ansieht, merkt er sofort das ich etwas falsch mache!"
Sie nickte verständnisvoll und legte mir mitleidig eine Hand auf die Schulter. Ob sie das auch durchmachen musste?
"Er will bloß nicht das du stirbst. Wir sind füreinander da, verstehst du?"
Ich schnaufte erschöpft.
"Er hat mir erzählt was passiert ist, mit dieser Frau, die er mochte. Er denkt wohl, dass ich auch so Ende... Warum muss ich denn überhaupt mit? Ich dachte ich soll ein paar Computer hacken!", sagte ich verzweifelt und ließ den Kopf hängen.
"Wir haben niemanden im Team der deine Rolle übernehmen könnte."
Ich schüttelte den Kopf.
"Warum müssen Camel und ich ein Paar spielen? Es wird doch sowieso nicht glaubhaft aussehen. Wir sind uns so bekannt, wie der Kunde im Supermarkt mit seiner Kassiererin. Eine flüchtigee Bekanntschaft, der man nur hallo sagt." Sie lächelte mich wohlwissend an und fing an auf ihrem Handy zu tippen.
"Aus diesem Grund habe ich eine Verabredung für euch beide geplant. Ihr müsst euch besser verstehen, wenn ihr glaubhaft sein wollt."
Ich stieß einen empörten Laut aus, der nichts an meiner Situation änderte.
Jodie Starling machte den Anschein, als wäre sie auf irgendetwas Eifersüchtig, doch warum sollte sie?
"Er ist netter als er aussieht, du wirst sehen!", hatte sie gesagt, ganz egal wie ich dabei empfand.
Schließlich sah ich im Gegensatz zu Camel unverschämt jung aus. Da ich nicht so jung aussehen wollte, und es auch nicht durfte, schminkte ich mich. Ein paar Falten der Alterung waren auf meiner Stirn und unter meinen Augen zu sehen, die durch das Puder und die Fondation hervorgehoben wurden. Sie waren sonst nur minimal zu erkennen, immerhin war ich ja gerade Mal dreißig und hatte immer gut auf mich geachtet, nur in diesem Jahr wurde ich nachlässig.

Der bullige Riese saß bereits am Tisch, als ich das kleine Café betrat. Jodie hatte es ausgesucht, weil es nicht im sehr belebten Viertel lag.
Ich war erleichtert, dass es kein Restaurant war.
Camel wirkte verlegen als er mich sah, dabei trug ich bloß einen blauen Hoodie und eine weiße Jeanshose. Ich sah im Vergleich zu ihm schäbig aus, denn er saß in seiner Arbeitskleidung vor mir, einem dunklen Anzug.
"Sie hätten sich ruhig bequemer anziehen können."
Der große Mann murmelte verlegen eine Entschuldigung. Er wirkte nahezu schüchtern, auch wenn seine Augen kalt waren und mich an die fuchsartigen Augen meines Vaters erinnerten.
Harte Schale, weicher Kern, so hieß es.
"Wollen Sie etwas trinken oder essen?"
"Mir wäre es recht, wenn wir woanders hingingen."
Die Bedienung, der sicher auch der Laden gehörte, warf mir einen beleidigten Blick zu, dabei war es gar nicht ihre Schuld, dass ich mich in diesen Räumlichkeiten nicht wohl fühlte. Es lag viel mehr daran, dass mir der Laden zu beengend vorkam, aufgrund der Größe meiner Begleitung.
"Wo steht Ihr Auto?"
Er sah mich verwirrt an, deutete aber dann auf ein dunkles Auto, das vor dem Café parkte.
"Fahren wir ein Stück."
Er nickte und schloss sein Auto mit einer Fernbedienung auf, sodass ich bereits einsteigen und mich anschnallen konnte, während er um den Wagen herumlief und sich auf den Fahrersitz setzte.
"Fahren Sie einfach los, ich möchte einfach nur nicht von jemandem erkannt werden."
Bereitwillig folgte er meiner Bitte.
Eine Weile schwiegen wir nur.
Er, weil er verlegen und sichtlich nervös war und ich, weil ich erschöpft war und eigentlich nur schlafen wollte.
Mir beharrte außerdem nicht der Gedanke, dass Subaru sicher genau sagen konnte, wo ich war. In Gedanken fuhr ich meine Kleidung auf der Suche nach Wanzen ab, wobei ich sie in den Taschen meines Hoodies fand, die ich nie benutzte.
"Brauche ich einen Babysitter?" , grummelte ich und zerquetschte das kleine Metallteil.
"Subaru ist gründlich, wenn es um Überwachung geht. Es wird nicht ewig so sein, dass du beobachtet wirst. Du verstehst sicher, dass man jedes neue Mitglied auf das Genaueste abchecken muss."
Verstehen tat ich es, aber es behagte mir nicht und klarkommen würde ich damit auch nicht.
"Wie konntet ihr ihm denn vertrauen, dass er nicht von der schwarzen Organisation manipuliert wurde und von ihren Plänen überzeugt wurde?"
"Wir kenne ihn sehr gut. Er würde sich niemals von solchen Plänen manipulieren lassen."
Ich sah ihn spöttisch an. Selbst er wusste längst nicht alles über seinen Kollegen.
"Das lässt sich doch über jeden sagen und am Ende sind alle schockiert, wenn das unvorhersehbare passiert." Daraufhin brach eine unangenehme Stille zwischen uns ein.
"Es tut mir leid, dass wir ein Paar zusammen spielen müssen. Sicher wäre es besser gewesen, wenn Subaru Ihr Partner wäre", sagte er und unterbrach nach einigen Minuten die unangenehme Stille. Das beunruhigende Gefühl, in jeder Sekunde etwas falsches zu sagen blieb bestehen.
"Ich würde verrückt werden, wenn es so wäre. Es ist so am besten. Er wird mich auch so sicher nicht ausspannen lassen." Camel sah etwas zufriedener aus, sah meine Worte sicher als Kompliment für sich selbst.
"Sie sind wohl nicht sehr gesprächig?"
Er wurde rot, als ich mich zurücklehnte und ihn geradewegs ansah.
"Kann es sein das Sie Jodie mögen?", fragte ich freiheraus, auch wenn es sicher nicht sehr höflich war und es mich nichts anging. Aber für Höflichkeiten war ich längst zu erschöpft und das FBI trug Schuld daran.
"Wenn ich Sie beide zusammen sah, konnten Sie nicht aufhören sie anzusehen. Ihr Gesicht war rot. Ich glaube, Sie denken auch jetzt an sie." Beziehungen im Kollegenkreis waren fatal. Früher oder später würde man irrational handeln und das durfte man nicht. Man musste an alle denken und musste die Mehrheit retten. Camel stammelte wirre Wortfetzen vor sich hin, ganz ohne Zusammenhang. Mir tat der Anblick fast schon leid, ihn so einzuschüchtern und ihn aus der Fassung zu bringen.
"Sicher weis sie es bereits."
Er seufzte traurig und hielt den Wagen vor einem kleinen Park an.
"Sie mag ihn, daran wird sich nichts ändern."
So war das also.
Ob das wohl der Grund war, warum sich Subaru für diese Paare entschieden hatte? Vielleicht waren sie sogar heimlich zusammen? Jodie wirkte gekränkt, als sie von meiner Zeit mit Subaru sprach, dachte ich und fühlte mich nun selbst schlecht, als das Gefühl von Schadenfreude in mir aufkeimte. Ich freute mich über Subarus Anwesenheit, obgleich es daran lag, dass ich mich weniger einsam fühlte seit er bei mir war.

Undercover ( Detektiv Conan FF) Where stories live. Discover now