Unter Verdacht

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Wir liefen neben dem Meer entlang, auf dem Weg zu einem der vielen Shinto-Schreine. Wir kamen an weitläufigen Wiesenflächen vorbei. Leuchtend gelbe Butterblumen stachen aus dem saftigen grün hervor. Auf unserem Weg liefen wir an Kanälen vorbei, manche davon waren bereits seit längerer Zeit trocken gelegt. Wir mussten über eine Brücke, an der noch ein altes Schleusentor stand, das nur noch als Sehenswürdigkeit dort stand, da es bereits vom Rost zerfressen war. Es dürfte nicht mehr zu bedienen sein, sollte man versuchen die Schleuse hoch zu kurbeln, um das Wasser darunter durchfließen zu lassen.
Ich konnte mich vor Freude kaum zügeln. Nachdem ich so lange in England lebte, hatte ich die japanische Landschaft beinahe vergessen und erfreute mich besonders an dem Grün.
Wäre ich allein nach Chiba gefahren, hätte es mich in die Berge gelockt, die ich mir in den nächsten Tagen nicht ansehen können würde, da wir eigentlich zum Angeln hier waren.
„Wenn noch Zeit bleibt, könnten wir zu den Schlossruinen, an der Küste gehen. Es würde nur eine halbe Stunde dauern“, erklärte ich und musterte die Gegend. Sie erinnerte mich an die frühen 70er, wie ich sie von alten Bildern in Erinnerung hatte. Die Wiesen standen hoch, luden Kinder zum Versteckspielen ein. Das Stromnetz war eher minder ausgebaut. An den Dächern hingen hunderte von Kabeln, die die Häuser mit Strom versorgten. Eine gefährliche Methode, die in der modernen Großstadt nicht existieren könnte.
„Wir haben gut 3 Stunden Zeit. Das dürften wir sicher hinbekommen“, sagte Subaru und tippte mit seiner rechten Hand etwas auf seinem Handy ein.
„Ich dachte du bist Linkshänder?“, bemerkte ich verwirrt, da er sonst alles mit der linken Hand machte, wenn ich ihn sah.
„Ich benutze beide Hände.“
Mir schien das mehr eine Ausrede zu sein, doch für heute ließ ich es bleiben. Ein bisschen wollte ich das Wochenende ja auch genießen. Mein Chef würde mich zurechtweisen, wenn er das wüsste. Ich musste meinem Team bald meinen ersten Bericht schicken und viel habe ich nicht zusammen gebracht.
Nervös biss ich mir in meine Unterlippe. Für mein Team war ich immer noch eine Fremde. Sie vertrauten mir nicht und ich konnte ihnen genauso wenig vertrauen. Im Ernstfall würde ich davon ausgehen, nicht gerettet zu werden.
„Dafür, dass du ursprünglich nicht mit wolltest, willst du doch ziemlich viel von Chiba sehen.“
Conan blitzte mich mit seinen großen blauen Augen neugierig an, wobei seine Brille reflektierte und meine Augen zum brennen brachten. Ich ließ von meiner Lippe ab und verscheuchte mit meiner Hand ein paar Mücken, die vor meinem Gesicht herum schwirrten.
„Ich wollte nicht mit, weil ich niemanden kenne. Aber Chiba hat viel an Natur zu bieten, auch wenn ich all zu viel davon sehen werde“, erklärte ich und wollte etwas im Internet suchen, um später einkaufen gehen zu können, doch mein Internet versagte. Ein Funkloch.
„Scheint ganz so, als wäre diese Gegend nicht gut ausgerüstet, um in Verbindung zu bleiben“, murmelte ich und steckte mein Handy ein.

„Da wären wir. Der Shinto-Schrein“, hörte ich Subaru neben mir sagen und sah mich um.
„Ob das wirklich würdevoll ist? Direkt neben einem Supermarkt“, wunderte ich mich und musterte den, nicht wirklich großen Schrein, der förmlich vom Schatten des Ladens verschluckt wurde.
„Diese Gegend hier ist bekannt für ihre zeitlosen Schreine. Was hast du denn erwartet?“
„Ein bisschen mehr, als einen Schrein, direkt neben einem Supermarkt“, seufzte ich. Ich hatte mehr sowas wie einen Inari Schrein erhofft, oder zumindest einen Schrein, der nicht direkt auf dem Schotterpfad stand. Direkt neben diesem Schrein einen Laden zu eröffnen empfand ich doch recht respektlos und unwürdig. Obwohl ich nicht an Götter glaubte, so verstand ich es doch, was ein, in Ruhe gelegener Schrein, für Sicherheit ausstrahlen konnte. Doch bei diesem Schrein spürte ich weder Sicherheit noch Ruhe. Es war eher ein beklommenes Gefühl in meiner Brust, diesen Schrein an einem so trostlosen Ort zu sehen. Besonders schmerzte es zu sehen, dass sich noch nicht einmal jemand um den Schrein gekümmert hat. Das Dach und das Geländer waren voll mit Vogelmist und das ganze Gebäude verströmte einen seltsamen Geruch, der nach etwas verrottetem roch.
Die Salzluft und die Feuchtigkeit haben das Holz ausgebleicht, das einst rot lackiert worden war. Es war morsch und ich traute mich nicht weiter ins innere, nachdem ich bei der dritten Stufe beinahe durchgebrochen wäre.
„Ihr Stadtleute habt immer nur zu meckern!“
Ein alter Mann lief auf einem Gehstock gestützt an uns vorbei. Während er sprach, blieb er stehen und wedelte mit seinem Stock in meine Richtung, berührte mich fast.
„Verzeihen Sie“, entschuldigte ich mich beschämt und verbeugte mich. Dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf von dem alten Mann, der meckernd weiterlief. Murrend rieb ich mir die schmerzende Stelle und richtete mich auf.
„Die meisten hier wohnen seit Generationen in dieser Gegend. Du solltest sie nicht dafür kritisieren, wo sie einen Schrein aufstellen“, sagte Conan seltsam erwachsen und sah dem alten Mann nach.
„Woher kommst du eigentlich? Du hast einen seltsamen Dialekt.“
„Ursprünglich bin ich aus Gifu. Aber mein Japanisch ist ein wenig eingerostet, nachdem ich eine Weile in England war. Ich hatte ein Stipendium“, erklärte ich und wurde von beiden seltsam angesehen. Es war nur die halbe Wahrheit. Es stimmte, dass ich ein Stipendium hatte, aber das lag schon etwas länger zurück und ich bin nicht deswegen in England geblieben. Ich war geflüchtet, vor meiner Vergangenheit, die mich langsam, aber sicher, einholte.
„Dann solltest du wissen, wie sich die Menschen in solchen Gebieten fühlen, wenn du sie kritisierst!“, belehrte mich Conan schuldzuweisend.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Du weißt doch gar nicht, wie lange ich dort lebte du Naseweis“, sagte ich, ihm in seine Nase kneifend.
„Lasst uns gehen, sonst wird es dunkel bevor wir einkaufen gehen.“
Subaru blickte auf uns herab. Er strahlte eine väterliche Aura aus, die mir in diesem Moment irgendwie bekannt vorkam.
>>Ob wir uns vielleicht vorher schon mal begegnet sind?<<, grübelte ich, konnte jedoch keine Erinnerung an ihn finden. Er benahm sich für sein Alter viel zu erwachsen. Studenten in seinem Alter benahmen sich zu meist immer noch wie Oberstufler und eher weniger erwachsen und verlässlich.
„Dich kann man wohl nicht zum lachen bringen, was?“
Anstatt mir eine Antwort zu liefern drehte er sich resigniert um und lief voraus. Ob ich ihn beleidigt habe?
„Was hat er denn?“, fragte ich Conan, doch dieser zuckte auch nur nichtssagend mit den Schultern und lief dem Studenten eilig hinterher. Einen Moment lang blieb ich noch an Ort und Stelle, bis Conan mir nachrief: „Beeil dich, oder wir gehen ohne dich!“

Undercover ( Detektiv Conan FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt