Chapter 3

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Unsicher gehe ich ein paar Schritte in den Klassenraum hinein und drehe mich dann zu Herr Kingston um.

„Setzt dich.“ Er deutet auf einen Stuhl direkt vor dem Lehrerpult und lehnt sich dann gegen den Tisch vor mir.

„Ich habe die Lösung für unser Problem gefunden.“ Seine Augen mustern mich von oben bis unten, scheinen jede Bewegung wahrzunehmen.

„Welches Problem?“, entgegne ich möglichst cool und lehne mich zurück.

Ein ganz kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht, aber es ist nicht freundlich. Plötzlich kommt es mir so vor, als warte er auf irgendwas. Er sieht mir genau in die Augen.

„Ich will dir jemanden vorstellen. Dabei kennt ihr euch eigentlich schon, genau genommen.“

Ich höre eine Tür und mein Blick schießt zu der zweiten Klassentür, welche direkt auf den Schulhof führt. Mein Mund öffnet sich, doch kein Ton kommt heraus, ich starre die Frau im hellen Mantel starr vor Schreck an.

„Meine Frau.“ Herr Kingston scheint meinen Schrecken mit Genugtuung zu sehen. Ich stehe auf und weiche ein Stück zurück.

„Willst du etwa schon gehen? Schön dich wieder zu sehen, Elizabeth!“

Ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weg gezogen wird und ich taumel. Auf einen Schlag ist alles wieder da, alle Erinnerungen: Die Frau, Frau Kingston die Heimleiterin, das Waisenheim, der Schmerz, die Angst die ich schon vorher gespürt hatte und Panik. Wie hatten sie mich gefunden? Und vor allem nach so langer Zeit?

Der nächste Versuch, ein paar Schritte nach hinten zu machen endet auf dem Fußboden.

„Ich hätte wirklich nicht gedacht dich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Aber wie es aussieht scheinst du ja in bester Form zu sein.“ Ihre Stimme ist kalt wie Eis, ich fühle mich wieder wie ein kleines Mädchen, das Mädchen, bevor ich weggelaufen bin. Voller Angst.

„Und das ausgerechnet Nico dich aufnimmt. Dieser Bastard!“

In mir scheint ein Hebel umgelegt zu werden. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen von damals. Ich bin stark, ich kann kämpfen, und diese Frau wagt es nicht, Nico in meiner Gegenwart zu beleidigen.

Doch bevor ich sie anschreien kann kommen zwei große Typen herein. Auch an sie erinnere ich mich, sie sind die beiden, die alle Prügelstrafen ausgeführt haben.

Die beiden kommen auf mich zu und wollen mich packen, doch ich weiche zurück.

„Sie Mistkerl! Haben sie das etwa geplant?“, fauche ich meinen Mathelehrer an, der völlig ungerührt dabei zusieht, wie die beiden Kerle meine Arme packen. Nun bin ich wieder ganz die alte.

Ich kratze wie wild und beiße den einen in den Arm. Sein Schrei ist laut, aber nicht so laut, wie ich erhofft habe, und er lässt auch nicht los.

„Dieses Biest!“ Er reißt meinen Kopf an den Haaren zurück und Tränen steigen mir in die Augen.

„Packt sie und betäubt sie, wir haben nicht Ewig Zeit!“ Frau Kingston Blicke brennen wie Nadeln auf meiner Haut. Der ganze Hass auf das Heim, auf sie und die ganze Ungerechtigkeit, den ich tief in mir verschlossen hatte kommt wieder hoch, kocht in mir und lässt mich verbittert kämpfen, selbst, als ich halb auf einem Tisch liege und der eine mir ein mit Betäubungsmittel getränktes Tuch auf das Gesicht presst.

Meine Finger tasten nach etwas, mit dem ich zuschlagen kann, erreichen einen Stuhl. Ohne groß zu überlegen nehme ich ihn und donner ihn gegen die beiden Männer.

Ehe ich reagieren kann hebt der eine die Hand und schlägt mich ins Gesicht. Ich schreie und atme viel von dem süßlichen Zeug ein.

Es wird immer anstrengender die Augen offen zu halten, schließlich kämpfe ich nur noch gegen das Mittel ein, doch dann fallen meine Augen zu, ich reiße sie wieder auf, sehe verschwommen eine große Kiste wo Catering Service draufsteht, bevor ich endgültig ohnmächtig werde.

Als ich wach werde brummt mein Schädel gewaltig. Ich kneife die Augen ganz fest zu und öffne sie, doch um mich herum ist alles schwarz. Pechschwarz.

Vorsichtig strecke ich meine Beine aus und stoße gegen eine Wand. Langsam erinnere ich mich an die Box im Klassenraum. Na toll, wahrscheinlich haben die mich da reingesteckt!, denke ich und reibe mir meinen Kopf.

Plötzlich dringt gleißendes Licht zu mir in die Kiste und ich drücke mir beide Hände vor die Augen.

„Schleppt sie raus und bringt sie in den Gemeinschaftsraum“, höre ich Frau Kingstons Stimme. Dann werde ich auch schon gepackt und aus der Kiste gezogen. Ich strample mit den Beinen und erwische einen von den beiden Männern am Kinn. Sein Fluchen ist ziemlich ungehalten. Vorsichtig nehme ich die Hände vor den Augen weg und das Licht erscheint mir auch nicht mehr so grell. Als ich aus einem Lastwagen geschleppt werde entdecke ich die Sonne, die schon ziemlich tief am Himmel steht.

„Lasst mich los!“, schreie ich und trete und kratze wieder, doch ich bekomme nur eine große Hand auf den Mund gepresst und werde in das leicht schäbig aussehende Gebäude geschleppt. Es sieht noch genauso aus wie an dem Tag, wo ich abgehauen bin. Die gleiche teilweise zerfetzte Tapete, die gleichen Räume.

Ich werde an ein paar verschlossenen Türen vorbei gebracht, jedoch eher getragen, als geführt und schließlich in einen großen Raum geworfen. Schimpfend lande ich auf dem ausgetretenen und fleckigen Teppich und reibe mir meinen Ellenbogen.

Doch ich springe sofort wieder auf und will gerade wieder rausrennen, als die beiden mich grob zurück stoßen und die Tür hinter sich schließen, dann stellen sie sich zu den anderen Wächtern, die den Gemeinschaftsraum im Auge behalten. Wie damals.

Erst jetzt bemerke ich die ganzen Kinder, die mich teilweise ängstlich, manchmal jedoch einfach nur sonderbar ansehen.

„Ähm, hi.“ Ich rappel mich erneut auf und weiß nicht wo ich hin sehen soll.

Die Kinder weichen ein bisschen zurück, wenn ich sie länger ansehe. In dem Moment ertönt plötzlich eine schrille Klingel und man könnte eine Stecknadel fallen hören. Ehe ich mich versehe befinde ich mich unter den ganzen Kindern, stürme in den Essraum und will mich gerade auf das Essen stürzen, als ich angewidert von mir selbst zurück weiche.

Sofortdrängeln sich weitere Kinder an mir vorbei, stürzen sich auf das wenige Essen, schnappen sich so viel wie sie erwischen können und rennen wieder weg. Manche werden dabei festgehalten, geschlagen und bekommen ihr Essen abgenommen. Ich stehe mitten drin, überrage alle bis auf zwei oder drei um mindestens einen Kopf und erinnere mich. Wie ich gekämpft habe, doch meistens nur einen kleinen Rest erbeuten konnte, wenn überhaupt. Mein Magen zieht sich zusammen und mir ist der Appetit vergangen. Diese Kinder haben es viel nötiger als ich. Sie sind viel abgemagerter, wie konnte ich mich nur so gehen lassen? Langsam weiche ich zurück und beobachte die anderen.

Einen vielleicht dreizehn jähriges Mädchen scheint die stärkste zu sein. Sie stößt die anderen weg und schnappt sich ziemlich viel. Doch, warte … da ist noch ein Junge, die beiden kämpfen kurz, dann nehmen sie beide fast alles weg und verschwinden. Nur ein kleiner Junge begeht den Fehler dem großen Jungen etwas zu Essen klauen zu wollen und landet mit einer blutenden Nase auf dem Boden. Entsetzt komme ich zu ihm und will ihm aufhelfen, doch er sieht mich nur aus großen Augen erschrocken an und rennt dann weg.

Geheimagenten verkauft man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt