Chapter 1

4.8K 308 57
                                    

Die Gänge der Schule sind ausgestorben und wirken merkwürdig leblos im kalten Licht der Neonlampen.

„Jetzt fehlt nur noch, dass der Strom ausfällt“, denke ich und sehe unruhig zu den Lampen, welche uns zum Glück stetig den Weg leuchten. Keine Menschenseele begegnet Mate und mir, als wir uns meinem Klassenraum nähern. Wer ist denn auch schon freiwillig um halb acht abends in der Schule?

„Wir schaffen das“, sagt Mate und atmet tief durch. Ich sehe zu ihm hoch und versuche zu lächeln. Das letzte Eltern-Lehrer-Gespräch ist grauenhaft verlaufen. Herr Kingston hatte Nico und mich geradezu vor die Tür geworfen, dass ist auch der Grund, warum diesmal wieder Mate mitkommt. Vor der braunen, mit Kritzeleien verunstalteten Tür bleiben wir stehen und sehen uns an.

„Noch können wir wieder verschwinden“, versuche ich leise, doch Mate schüttelt energisch den Kopf.

„Nein, es ist wichtig. Sonst findet dieser ätzende Sack wirklich noch einen Grund, dich von der Schule zu werfen.“ Ein müdes Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht und er drückt ganz kurz meine Hand. „Wir schaffen das.“

Mate holt tief Luft, drückt die Türklinke hinunter und tritt ein. Ich bin direkt hinter ihm.

„Da sind Sie ja. Es ist fünf nach halb, wir waren um halb verabredet“, begrüßt uns mein Mathelehrer, doch Mate geht auf die Provokation erst gar nicht ein, lächelt freundlich und setzt sich auf einen der beiden Stühle, die Herr Kingston wohl extra für uns aufgestellt hat.

Möglichst unauffällig setze ich mich auf den anderen.

„Also, wo soll ich anfangen?“ Herr Kingston sieht mit seinen Adleraugen erst mich und dann Mate an.

Ich sehe wie Mate sich gerade hinsetzt und ihn stur ansieht, egal wie mein Mathelehrer auch starrt. Schließlich dreht Herr Kingston sich zu mir um und setzt sein bekanntes falsches Lächeln auf. Ich spekuliere darauf, dass er es Nachts vor dem Spiegel übt.

„Ihre Tochter. Ihre Tochter ist ein echtes Problem, ich hoffe, das ist Ihnen aufgefallen?“ Er holt tief Luft und durchbohrt mich mit seinem Blick.

„Entweder sie ist einfach zu schlecht, oder sie gibt sich überhaupt keine Mühe. Oder gleich beides, was meinen Sie?“, fragt er mit einem flüchtigen Blick auf Mate, doch bevor der antworten kann, fährt der Mathe- und Klassenlehrer auch schon fort. „Liz ist ein überaus stures Mädchen, ich wünschte es gäbe noch so was wie Prügelstrafe, dann wäre es wohl einfacher ein Wort aus ihr heraus zubekommen! Sie sagt nämlich gar nichts. Nicht ein Wort. Es ist ja nicht so, dass sie stumm wäre, glauben Sie mir, ich habe sie beobachtet.“ Bei mir stellen sich alle Nackenhaare auf. Beobachtet?

„Wie meinen Sie …“, fängt Mate an, doch wird sofort wieder unterbrochen.

„Sie ist eine Plage!“ Herr Kingston wirft die Arme in die Luft. „Ihr Balg ist nicht nur unfähig, sie sabotiert den Unterricht! Verstehen Sie? Achten sie auf das Wort: Sabotiert!“

„Hören Sie, auch wenn Liz nicht unbedingt sich meldet gibt das Ihnen noch lange nicht das Recht …“, braust Mate auf, doch kommt schon wieder nicht zum Ende.

„Das Recht? Es ist mein Unterricht! Und sie hat gefälligst zu tun, was ich von ihr verlange!“

„Sie ist ein Kind, sie hat das Recht einen eigenen Willen zu haben“, kontert Mate und ich versuche ihm ein bestärkendes Lächeln zu schenken, was jedoch ziemlich schnell wieder verschwindet, als Herr Kingston mich scharf ansieht. Ich habe das Gefühl von eisigen Fingern um meinen Hals. Möglichst unauffällig räuspere ich mich.

„Und dann ihre Arbeiten“, legt er gleich wieder los, doch diesmal bin ich es, die unterbricht.

„Ich schreibe nur einsen und zweien, was wollen Sie denn?“

Geheimagenten verkauft man nichtWhere stories live. Discover now